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Panzer Lieberman startet durch

Israels Außenminister gibt sich als Anti-Diplomat - auch weil die Linke so schwach ist

Von Max Böhnel, Tel Aviv *

Israels neuer Ministerpräsident Benjamin Netanjahu hat eine »Neuausrichtung« des Friedensprozesses angekündigt. Wenn es nach seinem Außenminister Lieberman geht, kann man auf diesen auch ganz verzichten. Protest dagegen gibt es kaum, denn die israelische Linke ist schwächer denn je.

Der israelische Rechtsaußen, der zum Außenminister aufgestiegene Avigdor Lieberman, stahl der politischen Elite zur Amtseinführung des neuen Regierungskabinetts die Schau. Nachdem Premierminister Benjamin Netanjahu politisch korrekt mit Blick auf das Ausland Israels Bereitschaft zur Fortführung des »Friedensprozesses« erklärt hatte, gab sich der neue Chefdiplomat militaristisch. Israel sei weder an den Friedensprozess noch an das Prinzip »Land gegen Frieden« gebunden, es lehne die im November 2007 in Annapolis vereinbarten Absichtserklärungen ab. Dagegen gelte ab sofort das lateinische Motto: »Si vis pacem, para bellum« (Wenn du Frieden willst, bereite den Krieg vor).

Israelische Medien gaben sich über Liebermans Worte, wie bereits vorher über den erdrutschartigen Wahlerfolg seiner Rechtsaußenpartei »Unser Haus Israel«, erschreckt und listeten die rassistischen und gewaltverherrlichenden Sätze des nationalistischen Demagogen auf.

Der neue Außenminister hatte in den vergangenen Jahren Massentötungen von palästinensischen Gefangenen, die Ausweisung der 1,2 Millionen palästinensischen Staatsbürger, die Bombardierung des Assuan-Staudamms in Ägypten und den Abwurf einer Atombombe auf den Gaza-Streifen vorgeschlagen. Seine jüngsten politischen Vorstöße reichten von der Forderung nach einem »Loyalitätsschwur« arabischer Israelis auf den Staat bis zum Abbruch der Beziehungen zu Ägypten mit den Worten »Fahr zur Hölle« an die Adresse von Präsident Hosni Mubarak.

Der Tenor in den großen Medien lautet, Lieberman sei wegen seiner Äußerungen eine »Peinlichkeit« und schade den Beziehungen Israels zum westlichen Ausland. Die Zeitung »Haaretz« warnte, Israel könne sich die »hohen Studiengebühren, die die Ausbildung Liebermans zum Außenminister kostet, nicht leisten«. Das Ausland werde sich vom »diplomatischen Gesicht Israels« abwenden. Am Wochenende wurde allerdings berichtet, USA-Außenministerin Hillary Clinton habe ihrem Kollegen Lieberman telefonisch gratuliert. Sie freue sich auf ein baldiges Treffen.

Die versprengte israelische Linke, die kurzzeitig darauf gehofft hatte, wenigstens das Ausland werde wegen Lieberman mit dem Zeigefinger drohen, wurde also enttäuscht. Der einsame Friedensaktivist Uri Avnery schrieb über den rechtsextremen Königsmacher Lieberman, dessen autoritärer Stil sei dazu gedacht, den politischen Gegner einzuschüchtern und gleichzeitig den »primitivsten Typen in der Gesellschaft zu imponieren«. Mit seiner militaristischen Erklärung zur Vereidigung habe er Netanjahu »die Pistole an den Kopf gesetzt« und sich die Aufmerksamkeit der Medien gesichert. Dies werde so bleiben, bis Lieberman aus Machtkalkül seine Regierungsbeteiligung aufkündigt. Doch Avnery repräsentiert selbst in der israelischen Linken nur sehr wenige. Auch die Restlinke ist zu sehr damit beschäftigt, ihren Niedergang zu verdauen. Die Reaktionen auf den Machtzuwachs der extremen Rechten sind seit den Knessetwahlen weniger von Versuchen geprägt, einen Ausweg aus der Krise zu finden, als von Seelenforschung und Wundenlecken.

Der entscheidende Grund ist die gesellschaftliche Rechtsentwicklung. Denn die traditionelle Sozialdemokratie, auf Parteienebene die Arbeitspartei, ist zum ersten Mal in ihrer Geschichte auf den vierten Platz zurückgefallen -- hinter den konservativen Likud, die Likud-Abspaltung Kadima und die rechtsextreme Lieberman-Partei. Auch die Fraktion der linkszionistischen Bürgerrechtspartei Meretz schrumpfte auf drei Sitze zusammen. Dabei hatte Israels berühmter Autor Amoz Oz versucht, mit Meretz und Unabhängigen eine Bewegung zu kreieren, die in das von der Arbeitspartei hinterlassene ideologische Vakuum vorstoßen sollte.

Das Unterfangen scheiterte, da die Parteimehrheit für den Gaza-Krieg gestimmt hatte. Die ehemalige Meretz-Abgeordnete Zahava Gal-On, die sich dagegen ausgesprochen hatte, bezeichnete die Partei in »Haaretz« als »marginal, praktisch bedeutungslos«. Das »Sterben der Linken« und der allgemeine Rechtsruck hätten im Jahr 2000 begonnen, als die israelisch-palästinensischen Verhandlungen unter Premier Ehud Barak scheiterten, die zweite Intifada der Palästinenser begann und nicht-kriegerische Alternativen vom linkszionistischen Spektrum aufgegeben wurden, so Gal-On. Derselbe Fehler sei im zweiten Libanon-Krieg und beim Krieg gegen die Bevölkerung im Gazastreifen gemacht worden.

Der linke Faschismusforscher Professor Zeev Sternhell von der Hebräischen Universität Jerusalem bezeichnete die Kriegsbefürwortung als »selbstmörderischen Pfad«. Einzig das Wahlbündnis Chadasch aus der israelischen KP und Teilen der Friedensbewegung erzielte einen Sitzgewinn, laut Wahlforschern dank der Stimmen enttäuschter Meretz-Anhänger.

Doch mit vier Abgeordneten und ihrem ausschließlichen Standbein in der arabischen Bevölkerung Israels befindet sich die Partei weit entfernt von relevanten Bündnispartnern, die das politische Spektrum beeinflussen könnten. »Statt sich gegen einen Orkan von ganz rechts aufzulehnen, müssen wir uns jetzt ducken«, sagten im ND-Gespräch mehrere Chadasch-Wähler aus dem Kibbuz Gezer zwischen Jerusalem und Tel Aviv.

* Aus: Neues Deutschland, 8. April 2009


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