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Scharon sucht Quisling

Powells schiefes Terrorbild - Antikriegs-Kundgungen in Israel

Von Hans Lebrecht, Kibbutz Beit-Oren

Scharon sucht einen Ouisling, einen von ihm eingesetzten Palästinenserführer, weil ihm der vom Palästinenservolk mit 87 Prozent der Stimmen gewählte Yasser Arafat nicht gefällt. Dabei hat Scharon mit seiner "Schutzwall" Offensive und den diese begleitenden groben Verletzungen der ureigensten Menschenrechte dafür gesorgt, dass Arafat heute mehr denn je von dem Palästinenservolk als DER Führer seiner nationalen Ehre angesehen wird. Ob dies Scharon gefällt oder nicht sollte nicht zur Debatte stehen.

Der jungen Generation bedeutet vielleicht die Definition Quisling nichts, oder wenig. Deshalb möchte ich daran erinnern, dass ein norwegischer Faschist, Vidkun Quisling, von Hitler und seiner Besatzungsarmee in dem 1940 von den Nazihorden vergewaltigten Norwegen als "Führer" Norwegens eingesetzt wurde und dieser voll und ganz mit der Besatzermacht kollaborierte. Daher wurde das Wort "Quisling" zum Inbegriff der während des Zweiten Weltkriegs mit den Nazi Okkupanten in Europa kollaborierenden regierenden Faschistenhäuptlinge. Ob Scharon einen palästinensischen Quisling finden wird, ist noch fraglich. Möglich wäre es schon. Ohne Scharon mit einem Hitler und sein Regime mit den Nazis zu vergleichen - das liegt mir fern - könnte man doch annehmen, dass ein eventueller palästinensischer Quisling von seinem Volk, wie seinerzeit der norwegische Quisling, am Ende als verhasster Kollaborateur mit den Unterdrückern zum Tode verurteilt und erhängt werden wird.

Nun ist gerade der US-Außenminister Colin Powell dabei, seine und seines Herren, des Präsidenten Bush sich selbst angeeignete angeblich neutrale Vermittlerrolle unter Beweis zu stellen. Allerdings hinkt da doch einiges. So zum Beispiel knüpfte Powell sein Treffen mit Arafat an die Bedingung, dass dieser sich von den Terrorakten der Selbstmörder Attentäter distanziere und diese verurteile. Vorher noch erklärte er in Madrid und danach in Jerusalem, man käme nicht umhin Arafat als den gewählten "Vorsitzenden" der Autonomiebörde anzuerkennen. Nun habe ich den ach so neutralen Vermittler Powell mit keinem Wort seine Begegnung mit dem israelischen Kolonialherrn Scharon an die Bedingung geknüpft zu haben, dieser solle sich vorher von den Schandtaten seiner in den palästinensischen Städten einmarschierten und dort menschenrechtswidrig wütenden Besatzerarmee distanzieren..

Arafat zögerte nicht lange und gab die salomonische Antwort (zitiert aus dem offiziellen PNA-Wortlaut): "Alle Terroranschläge auf Zivilisten, ob diese Israelis sind oder Palästinenser, sind zu verurteilen, gleichgültig ob der Terrorismus von einem Staat, einer Gruppe, oder von Einzelpersonen verübt wird. Dementsprechend verurteilt die palästinenische Führung (PNA) die Massaker, welche die israelische Besatzerarmee während der beiden vergangenen Wochen gegen palästinensische Zivilpersonen und Flüchtlinge in Nablus, in dem Flüchtlingslager von Dschenin, oder nahe der Geburtskirche in Bethlehem und anderen Orten verübt haben". Gleichzeitig wiederholte Arafat die Ansicht der PNA, dass "nur ein gerechter Frieden" zwischen Israel und Palästina sowohl Sicherheit für Israel als auch Unabhängigkeit und Sicherheit für das Palästinenservolk bringen kann. "Okkupation und militärische Gewalt, Massaker und Terroraktionen gegen Zivilpersonen können weder Frieden noch Sicherheit für keines unserer Völker bringen".

Zum Schrecken von Scharon und seinen Sprechern, alias Gehirnwäscher-Experten, akzeptierte der hohe amerikanische Gast diese Antwort, welche, wenn auch wohl kaum ganz in seinem Sinne, er doch als genügend einschätzte. Und der hohe Gast aus Washington hat sich doch, wenn auch mit Verspätung von einem Tag, mit Arafat in dessen von israelischen Tanks und Elitetruppen umstelltem Verließ zu einem Gespräch getroffen. Die Israelis hatten zu Ehren diese Besuchs sogar die Wasser- und Stromzufuhr zu Arafats Verließ repariert und eine ausnahmsweise Versorgung mit Getränken und Speisen zugelassen.... Ohne Zweifel ist der Sinneswandel von Powell nicht nur in der Antwort von Arafat zu suchen, sondern er musste wohl auch die gewaltigen, sich mit der palästinensischen Sache solidarisierenden Massenkundgebungen in Washington, New York, Chicago und anderen USA Städten, in europäischen Großstädten, darunter Frankfurt/Main, Berlin, Stuttgart und anderen in Betracht gezogen haben. Auch Israel sah über's Wochenende (in Israel Freitag/Samstag) verhältnismäßig massive Anti-Kriegs-Kundgebungen, Proteste gegen die unmenschlichen Gewaltakte der agressiven Besatzerarmee und Solidarität mit dem vergewaltigten Palästinenservolk. Am Freitag zog wiederum eine Mahnwache von einigen hundert Israelis vor der US-Botschaft an der Tel-Aviver Strandpromenade auf.

Samstagmittag (13. April) zog eine mehr als 3.000 starke Soldaritäts-Demo israelischer jüdischer und arabischer Bürger von der Überlandstraßenkreuzung bei dem Megiddo Militärgefängnis in Richung nach Dschenin im besetzten Palästina. Gleichzeitig fuhren etwa 30 LKWs mit mehr als 300 Tonnen Hilfsgüter für die ausgehungerte Bevölkerung des Flüchtlingslager bei Dschenin dorthin. Diese durch Spenden aus der israelischen Bevölkerung zusammengetragenen Hilfsgüter bestanden hauptsächlich aus dringend benötigten Nahrungsmitteln, Babynahrung, Windeln, Arzneien und anderen medizinischen Mittel und einer riesigen Menge von Mineralwasserflaschen. Die Aktion wurde von der arabisch-jüdischen Ta'ayush Bewegung gemeinsam mit dem Gusch-Schalom, der Chadasch, der Frauen-für-Frieden-Koalition und anderen Gruppierungen des konsequenten Friedenslagers organisiert.

Die von Kampfgeist gezeichnete Marschkolonne, darunter auch einige arabische Knessethabgeordnete und Geistliche, mit einer Menge von Transparenten und Posters, roten, schwarzen und palästinensischen Fahnen, wurde an der befestigten Straßensperre einige Kilometer vor Dschenin aufgehalten und durfte nicht passieren, woraufhin dort eine Kundgebung stattfand. Ein Teil der LKWs mit den Hilfsgütern, welche eine andere Landstraße nahmen, konnten nach einigen Palavern in das Flüchtlingslager einfahren und ihre Last an die örtlichen Komitees abliefern, die anderen wurden, nach Protesten in Jerusalem, auch am Sonntag durchgelassen.

Am Samstagabend gab es, so wie schon die vergangenen paar Sonnabenden, eindrucksvolle, von der Frieden-Jetzt und ihrer Friedenskoalition einberufene Anti-Kriegs-Kundgebungen vor der Residenz von Scharon in Jerusalem, gegenüber dem Kriegsministerium in Tel-Aviv und dem Platz am Zentral-Karmel in Haifa. (Euer Korrespondent war sowie bei dem Marsch nach Dschenin, wie auch bei der Haifaer Kundgebung dabei.)

14. April 2002


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