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Der israelisch-palästinensische Zermürbungskrieg eskaliert

68 Tote in drei Tagen - Das israelische "Friedenslager" macht mobil

Von Hans Lebrecht, Kibbutz Beit-Oren

An den drei Wochenendtagen mussten mindensens 46 Palestinenser und 22 Israelis die aggressive Besatzerterrorpolitik des Scharon-Ben-Elieser Regimes mit ihrem Leben bezahlen, während hunderte weitere zum Teil schwer verwundet wurden. Der Teufelskreis der gegenseitigen Vergeltungsschläge hat sich zu einem regelrechten und blutigen Zermürbungskrieg ausgeweitet. Gleichzeitig setzt das israelische Friedenslager die Kampagne unter den Losungen "Raus aus den besetzten Gebieten - Zurück zu uns selbst" (nach Israel in den Grenzen von vor 1967) und "Die Besatzung tötet uns alle", sowie Solidaritätskundgebungen mit den schon zu hunderten angewachsenen "Refuseniks", Offiziere und Soldaten, die den Dienst in den besetzten Gebieten aus Gewissensgründen verweigern, verstärkt fort.

Die jüngste Eskalation wurde durch das Eindringen israelischer Panzer und Elitetruppen in zwei der größten, in von der PNA verwalteten und dicht besiedelten Flüchtlingslager im Norden des Westjordangebietes, Balata bei Nablus und Nur a-Schams bei Dschenin und deren wütendes Zerstörungswerk dort ausgelöst. Mit Steinen, primitiven Brandbomben und Steinen bewaffnete Palästinenser setzten den Angreifern heftigen Widerstand entgegen, bei dem mindestens drei Besatzersoldaten fielen, und der trotz der unvergleichlichbaren, mit modernster Ausrüstung und schweren Panzern bewaffneten Übermacht der israelischen Besatzer während der ganzen drei Tage nicht gebrochen werden konnte. Israelische Regierungs- und Armeesprecher erklärten, die zeitweilige Aktion in den beiden Flüchtlingslager hätte der Aufdeckung und Vernichtung von palästinensischen "Terrorzellen" und Waffenlagern gegolten. Dass dabei auch Zivilisten, darunter auch Kinder ums Leben kamen, sei bedauerlich, aber kaum zu vermeiden gewesen. Gleichzeitig griffen auch israselische Kampfhubschrauber Ziele in Bethlehem und dem Gazastreifen an.

In der israelischen Presse wird vielfach darauf hingewiesen, dass die von Scharon und seinem Kriegsminister Ben-Elieser eskalierte Gewaltaktionen, wie diejenigen in den Flüchtlingslagern erfolgten, in keiner Weise den paläsinensischen Widerstand gegen die Okkupation und seine Bewaffnung brechen könne. Selbst wenn noch so viele, als Terroristen bezeichnete Widerstandskämpfer und noch so viele Waffen "sichergestellt" werden, jede solcher Gewaltaktionen gebiert neue Generationen von Selbstmordkandidaten, und neue geheime Waffenlieferungen aus den arabischen Nachbarländern, sowie neue, in den Gebieten selbst erzeugte Waffen.

Die ziemlich sanft ausgefallene Zensur des Vorgehens der israelischen Besatzer in den beiden Flüchtlingslagern durch die USA Busch-Powell Drahtzieher und deren Ruf nach Einstellung der Aktion veranlasste wohl die bis zum Sonntag mittag vollzogene Räumung der beiden Lager. Die abziehenden Besatzer hinterließen, außer den genannten Toten und Verletzten, schreckliche Verwüstungen, eingerissene Häuserwände in ganzen Straßen- und Gassenzügen, sowie durch Panzerraupen aufgerissene Straßen.

Der israelische Gusch-Schalom Friedensblock sandte Warnungen an drei Offiziere, den Oberkommandierenden der Besatzertruppen im Westjordangebiet, Brigadegeneral Gershon Yitzhaki, Oberst Aviv Kochavi und Oberst Mosche Tamir, die beiden Letzteren die kommandierenden Offiziere der Invasonstruppen in jeweils der Flüchlingslager Balata bei Nablus und Nur a-Schams bei Dschenin. Sie könnten gewiss sein, in der näheren oder weiterliegenden Zukunft sich vor einem israelischen, oder eventuell einem internationalen Gerichtshof für Kriegsverbrechen verantworten zu müssen, unter anderem für die Taten. die unter ihrem Kommando dieser Tage in diesen beiden Flüchtlingslagern verübt wurden.

Wie erwartet und von Vielen vorausgesagt, löste diese neue israelische Terrorwelle Vergeltungsaktionen palästinensischer Widerstandsgruppen aus. Einige dieser konnten zwar von den, in erhöhte Bereitschaft mobilisierten israelisichen Sicherheitskräften verhindert werden, aber eben nicht alle. So löste ein Selbstmord Attentäter am Sonnabend abend die an seinem Körper befestigte Bombenladung in einem dicht von ultra-orthodoxen Juden bevölkerten Stadtteil von Jerusalem aus und riss 9 Zivilisten, darunter ein einjahr altes Kind und einen neunjährigen Jungen mit sich in den Tod, mehr als 50 wurden, zum Teil sehr schwer verletzt. Am Sonntag früh beschossen palästinensische Guerillas an einer israelischen Besatzer Strassensperre nahe der Kolonistensiedlung Ofra nördlich von Ramallah einen Konvoy israelischer Fahrzeuge. Dabei wurden mindestens acht Israelis, Siedler und Militärpersonen, getötet und weitere 15, zum Teil schwer verletzt. Die Angreifer konnten entkommen. Ein israelischer Motorrad fahrender Polizeioffizier, Einwohner der Siedlung Ma'aleh Adumim, wurde auf einer Landstraße in der westjordanischen Judäischen Wüste erschossen. Seine Leiche wurde von Beduinen gefunden und an einem israelischen Wachposten abgeliefert. Ein weiterer israelischer Offizier kam durch eine, auf eine israelische Patrouille geschleuderte Bombe bei der Kissufim Übergangsstelle in den Gazastreifen ums Leben.

Dieser kriegerischen Entwicklung setzten auch dieses Wochenende Friedenskräfte ihre Aktivitäten verstärkt fort. Die in schwarz gekleidete Frauenkoalition für Frieden waren auch diesen Freitag an all ihren gewohnten Straßenkreuzungen und städtischen Plätzen im Ganzen Land mit ihren Losungen mit der Forderung nach unverzüglichem Rückzug aus den besetzten Gebieten und Evakuierung der auf palästinensischen eingenisteten Siedlungen, für gerechten Frieden mit den Palästinensern angetreten. Am Sonnabend abend marschierten einige Tausend Aktivisten der Friedenskoalition, bei einer, von der Frieden-Jetzt Bewegung initiierten Demonstration vom Zionsplatz in der Innenstadt von West Jerusalem zu der Residenz des Regierungschefs Scharon. Gleich nach Beginn des Marsches kam die Nachricht über das gleichzeitige, neun Opfer fällende Selbstmordattentat in einem anderen Stadtteil von Jerusalem. Nach Rücksprache mit der Polizei wurde die Demonstration trotzdem planmäßig fortgeführt.

Im Anschluß an die Demonsration und der Kundgebung bei der Scharon Residenz fuhren mehr als einhundert der Teilnehmer der Ta'ajusch Solidaritätsgruppe in Autobussen zu dem, im besetzten Ostteil der Stadt befindlichen palästinensischen Makasset Krankenhaus und spendeten Blut für die Opfer des israelischen Terrors in den Flüchtlingslagern Balata und Nur a-Schams.

Das blutige Attentat des Selbstmörders in Jerusalem wurde von dem Palästinenserpräsident Arafat und der palästinensischen PNA Verwaltung scharf verurteilt. Dies wurde allerdings von Scharon und seinen Propagandisten, wie üblich, abfällig als Scheinheiligkeit wahrgenommen. Für sie ist und bleibt Arafat der Urheber allen Übels, der den, ihren als anti-Terror Kampagne verschleierten Ölkrieg in Zentralasien führenden USA Warlords und der Welt als ein Zwillingsterorist von Osama Bin-Laden angepriesen wird.

Kibbutz Beit-Oren (Israel
3. März 2002


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