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"Eindeutig und ausschließlich" pro Krieg

Die Bundesregierung sabotiert sogar die französischen Bemühungen um Zügelung Israels

Von Jürgen Elsässer *

Merkel und Steinmeier haben sich mit provozierender Deutlichkeit hinter die israelische Kriegspartei gestellt.

Erinnert sich noch jemand an die Tage im August 2008, als Russland sich auf sein Selbstverteidigungsrecht berief und mit Waffengewalt gegen die Aggression in Südossetien vorging? Die Bundeskanzlerin eilte in die Hauptstadt des vermeintlich angegriffenen Georgiens und versprach großzügige Wirtschaftshilfe und zur Belohnung die Aufnahme in die NATO. US-Kriegsschiffe patroullierten vor den Küsten und warnten damit den russischen Präsidenten vor einer Ausweitung des Krieges. In Warschau wurde der vorher umstrittene Vertrag über neue US-Raketen binnen weniger Stunden unterschrieben.

Was aber passiert, wenn Israel eine völkerrechtliche Grenze missachtet und seine blutigste Militäraktion seit dem Junikrieg 1967 beginnt? Fliegt Merkel nach Gaza und verspricht Hamas-Regierungschef Hanija Millionensummen und künftigen NATO-Beistand? Nähert sich die 6. US-Flotte dem Hafen der bombardierten Millionenstadt, um den Angreifer abzuschrecken? Werden in Beirut und Damaskus westliche Abwehrraketen aufgestellt, um das strategische Gleichgewicht in der Region wiederherzustellen?

Das Gegenteil geschieht. Angela Merkel ließ am Montag (29. Dez.) verkünden, dass die Verantwortung für die kriegerische Entwicklung »eindeutig und ausschließlich« bei Hamas liege. Diese müsse den Beschuss israelischer Siedlungen mit Raketen »sofort und dauerhaft« einstellen. Kein Wort zur monatelangen Abschnürung Gazas durch Israel. Kein Wort zum Wortbruch der israelischen Regierung, die noch vor Ablauf ihres eigenen Ultimatums am vergangenen Wochenende mit den mörderischen Attacken begonnen hatte.

Frank Walter Steinmeier, der sich bei den Bundestagswahlen im September 2009 als Alternative zu Merkel präsentieren wird, machte schnell deutlich, dass er das nicht ist. Auch er übte sich in einseitiger Schuldzuschreibung, sprach von dem »legitimen Recht« Israels auf Selbstverteidigung mit Bomben.

Als am vergangenen Dienstag (30. Dez.) der Noch-Ratspräsident der EU, Nicolas Sarkozy, nach Paris einlud, um eine gemeinsame Stellungnahme der Europäer zu beschließen, boykottierte Steinmeier das Treffen und schickte seinen Staatsminister Günter Gloser. Offensichtlich wollte er den französischen Vorstoß für einen 48-stündigen Waffenstillstand nicht durch seine Anwesenheit aufwerten. Stattdessen telefonierte Steinmeier mit der israelischen Außenministerin Zipi Livni und warnte zahnlos vor einer »Eskalation der Gewalt«. Seit Mittwoch ist der deutsche Außenminister und SPD-Kanzlerkandidat in Sachen Nahostkrieg abgetaucht.

Stattdessen meldet sich die zweite Reihe. Jürgen Rüttgers, der CDU-Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, sagte: »Ich ärgere mich über Berichte, die eine einseitige Schuldzuweisung in Richtung Israel betreiben. (...) Es gibt in diesem Konflikt nicht nur einen Schuldigen und ein Opfer.« Der letzte Satz wäre diskutabel, wenn der erste nicht wäre: Im offiziellen Deutschland gibt es niemanden, der eine »einseitige Schuldzuweisung in Richtung Israel« betreibt.

Selbst die Vereinzelten, die sich um ein bisschen Ausgewogenheit bemühen, muss man mit der Lupe suchen. Dazu gehört der SPD-Bundestagsabgeordnete Rolf Mützenich mit seiner Stellungnahme vom Mittwoch (31. Dez.): »Es kommt zum jetzigen Zeitpunkt überhaupt nicht darauf an, über Schuld in diesem Zusammenhang zu diskutieren.« Die Menschen brauchten eine Waffenruhe. »Dafür sollten wir uns politisch aktiv einsetzen.«

Auch der Nahost-Experte Udo Steinbach zeichnete ein differenziertes Bild. Die unmittelbare Verantwortung für die Eskalation liege zwar bei der Hamas, »die tiefere Ursache aber bei Israel«, das mit seinen wirtschaftlichen Sanktionen der Hamas im Gazastreifen «nie eine Chance gegeben» habe, dort eine «stabile Regierung» herzustellen.

Auch die Grünen gaben Hamas die Schuld an der aktuellen Entwicklung, sprachen aber wenigstens von »unverhältnismäßigen militärischen Aktionen« Israels. Nicht einmal diese wohlfeile Kritik hört man bis dato aus den Chefetagen der Union und der SPD. Sarkozy reist nächste Woche ins Krisengebiet. Steinmeier kneift.

* Aus: Neues Deutschland, 3. Januar 2009


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