"Krieg ohne Gnade"
Von Karin Leukefeld *
Israel hat der palästinensischen Hamas am dritten Tag seiner
Militäroffensive, einen »Krieg ohne Gnade« erklärt. Zugleich verstärkte
Tel Aviv das Truppenaufgebot an der Grenze zum Gazastreifen weiter. »Wir
haben nichts gegen die Einwohner von Gaza, aber wir führen einen Krieg
ohne Gnade gegen die Hamas und deren Verbündete«, so
Verteidigungsminister Ehud Barak am Montag vor dem Parlament in
Jerusalem. Die Operation »Gegossenes Blei« werde »ausgeweitet und
vertieft, soweit es erforderlich ist«.
Die Zahl der getöteten Palästinenser wurde am Montag vom UN-Hilfswerk
für die Palästinensischen Flüchtlinge (UNRWA) mit 310 angegeben,
darunter 51 Zivilisten, Frauen und Kinder. Mehr als 1000 Personen wurden
verletzt, von denen 80 Prozent wegen der Schwere ihrer Verletzungen
keine Überlebenschance hätten, wie ein Arzt des zentralen
Al-Shifa-Krankenhauses in Gaza-Stadt sagte. Den Krankenhäusern fehlt es
nach Augenzeugenberichten an Betten, medizinischen Geräten und
Medikamenten, an Blutkonserven und Narkosemitteln.
80 Lastwagen mit Hilfsgütern der Vereinten Nationen, vom Internationalen
Roten Kreuz, aus der Türkei und Jordanien konnten am Montag zwei
Grenzposten nach Gaza passieren, während die Luftangriffe der Israelis
fortgesetzt wurden. Dabei starben im Flüchtlingslager Jabalia und in der
südlichen Grenzstadt Rafah sechs Kinder. Die Islamische Universität und
ein dazu gehöriges Gästehaus, das Innenministerium sowie das Nachbarhaus
des palästinensischen Expremiers Ismail Hanija wurden bombardiert.
Zerstört wurden auch rund 40 Tunnel an der Grenze zu Ägypten, die der
Versorgung der Bevölkerung dienten.
Tausende Soldaten Tel Avivs warteten am Montag indes darauf, die
angekündigte Bodenoffensive zu beginnen. Eine drei Kilometer breite Zone
entlang der Grenze zu Gaza wurde von der israelischen Führung zum
militärischen Sperrgebiet erklärt. Weder Zivilisten noch Journalisten
dürfen sich dort aufhalten. Bei den zu befürchtenden Straßenkämpfen in
einer so dicht besiedelten Stadt wie Gaza werden die Bewohner
unweigerlich ins Kreuzfeuer geraten. Selbst wer wollte, könnte nicht
entkommen, denn die Bevölkerung ist eingesperrt.
Unterdessen gingen die Proteste gegen die Angriffe in vielen Teilen der
Welt weiter. Bei Massendemonstrationen in Jemen, Irak, Syrien, Jordanien
und Ägypten zeigten Hunderttausende ihre Solidarität mit den
Palästinensern und ihre Wut über die arabischen Führer. »Ich schließe
mich den palästinensischen Anführern an, die eine dritte Intifada
gefordert haben«, sagte Hassan Nasrallah, Chef der libanesischen
Hisbollah, am Montag in einem Vorort der libanesischen Hauptstadt
Beirut. Im dortigen Stadion El Raja demonstrierten Zehntausende ihre
Solidarität mit den Palästinensern. Er kritisierte Ägypten dafür, daß
Kairo die Grenzen zum Gazastreifen nicht öffne, und forderte, an die
Adresse der arabischen Regime gerichtet, sie sollen die Palästinenser
unterstützen, anstatt sie gegeneinander auszuspielen: »Die arabischen
Regime haben genug Geld und die politische Macht, um das Blutbad in Gaza
zu stoppen.«
Auch in vielen europäischen Städten, darunter in Paris, Athen und
Berlin, gingen Tausende Menschen auf die Straße. Die Solidaritätsgruppe
»Free Gaza« kündigte derweil an, am Montag abend ein weiteres Mal ihr
Schiff »Dignity« mit mehr als drei Tonnen Hilfsgütern und Ärzten nach
Gaza zu schicken.
* Aus: junge Welt, 30. Dezember 2008
Mubaraks Dolchstoß
Enthüllungen über Rolle des ägyptischen Geheimdienstes beim Überfall auf
Gaza sorgen in Kairo für Tumulte. »Höchste Alarmbereitschaft« verfügt
Von Jürgen Cain Külbel **
Die innenpolitische Lage in Ägypten spitzt sich zu. In Folge der
israelischen Bombardements im Gazastreifen und der Haltung Kairos dazu
wächst die Kritik in großen Teilen der Bevölkerung; am Montag versetzte
das Innenministerium in Kairo die Sicherheitskräfte in höchste
Alarmbereitschaft. Jegliche antiisraelischen Proteste sollten
unterbunden werden, verlautete in der Hauptstadt.
Noch am Samstag (28. Dez.) hatte der ägyptische Präsident Hosni Mubarak von einer
»militärischen Aggression in Gaza« gesprochen und »Israel als
Besatzungsmacht für die Toten und Verwundeten verantwortlich« gemacht.
Allerdings sorgte sein Außenminister Ahmed Abdul Gheit bereits für
Empörung, als er die Hamas beschuldigte, »Israel zum Angriff auf den
Gazastreifen provoziert« zu haben.
Am Sonntag (29. Dez.) dann debattierte das ägyptische Parlament den Angriff Tel
Avivs auf Gaza, und Hussein Ibrahim, Vorsitzender der Fraktion der
Muslimbrüderschaft, bezeichnete Mubaraks Position als »pure Heuchelei«.
Die stärkste Oppositionskraft, die über 88 als »Unabhängige« gewählte
Abgeordnete verfügt, warf dem Präsidenten vor, Israels Außenministerin
Zipi Livni bei ihrem Besuch in Kairo in der vergangenen Woche grünes
Licht für die Attacken gegeben zu haben. Und Außenminister Abdul Gheit,
so Ibrahim weiter, »wirke eher als der oberste Diplomat Israels«.
Am selben Tag sorgten die Enthüllungen der Tageszeitung Al-Quds Al-Arabi
für Tumelte in Kairo. Diese hatte in ihrer Sonntagausgabe »diplomatische
Quellen« zitiert, wonach »Ägyptens Minister für Geheimdienste, Omar
Suleiman, die Hamas betrogen habe, da er sie glauben machte, Israel
würde den Gazastreifen in der nahen Zukunft nicht angreifen«. Diese
»Desinformation« habe dazu geführt, so die Zeitung, »daß die Hamas ihre
Sicherheitseinrichtungen und Hauptquartiere nicht evakuierte«. Al-Quds
Al-Arabi zitierte eine Quelle aus dem Umfeld des ehemaligen
palästinensischen Außenministers Mahmud Al-Zahar. Demnach hatte Kairos
Geheimdienst »noch am Freitag abend« der Hamas mitgeteilt, »Israel sei
jetzt zu Gesprächen über einen Waffenstillstand bereit und werde nicht
vor Ende der diplomatischen Bemühungen angreifen«.Die Zeitung behauptete
darüber hinaus, Geheimdienstchef Suleiman habe insgeheim eine Reihe
arabischer Führer überzeugt, daß Israel nur eine »begrenzte Operation«
in Gaza führen werde, um die Hamas zu einem neuerlichen Waffenstillstand
zu zwingen. »Unfug«, klagte der palästinensische Publizist Hakam
Abdel-Hadi am Sonntag: Die Waffenruhe, die von Juni 2008 bis Mitte
Dezember bestand, sei »ohnehin von Israel nicht eingehalten worden«.
Israel habe in diesen sechs Monaten etwa 200 Palästinenser liquidiert.
Dafür, daß die Enthüllungen der in London erscheinenden Al-Quds Al-Arabi
zutreffen, sprechen zahlreiche Agenturberichte aus dem Gazastreifen,
wonach die Hamas »von den Angriffen offenbar völlig überrascht« worden
sei –und das trotz der Drohungen Tel Avivs. So seien unter anderem
»Hunderte neuer Hamas-Polizisten mitten in Gaza während der
Abschlußzeremonie ihrer Ausbildung »mit einer speziell gegen Menschen
gerichteten Rakete mit Tausenden Metallpfeilen angegriffen« worden: »40
Uniformierte waren auf der Stelle tot«, so Agenturberichte (zitiert laut
Tagesspiegel, 29.12.).
Die israelische Zeitung Yediot Aharonot sprach am Sonntag von einem
»brillanten Schlag« der Luftwaffe. Der Überraschungsangriff sei auf die
außerordentliche Sorgfalt, mit der »die Hamas in ein Gefühl der
Selbstsicherheit eingelullt wurde«, zurückzuführen. »Desinformation und
Geheimhaltung« hätten die Palästinenserorganisation in der Woche vor der
Bombardierung die Einschätzung nahegelegt, »daß ein größerer Angriff
nicht unmittelbar bevorsteht«.
Zu den »cleveren Täuschungsmanövern« zählen israelische Medien Livnis
Besuch in Ägypten, die kurzzeitige Aufhebung der Blockade des
Gazastreifens für humanitäre Lieferungen durch Verteidigungsminister
Ehud Barak sowie Premier Ehud Olmerts Ankündigung, daß ein Angriff nicht
vor Ende des 48stündigen Ultimatums, also vor Sonntag, erfolgen würde.
Hamas habe den »Köder« geschluckt, meinte die Zeitung Haaretz. Und
Yediot Aharonot konstatierte: »Das Element der Überraschung steigerte
die Zahl der Menschen, die getötet wurden.«
Die ägyptische Tageszeitung El-Dustour kommentierte derweil am Sonntag:
»Die Verräter, die dieses Verbrechen erlaubt haben, sind – auch – unter
uns.« Kairo könnten unruhige Zeiten bevorstehen.
** Aus: junge Welt, 30. Dezember 2008
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