Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Netanjahu teilt gegen Kerry aus

Verärgerung in Israel, dass Genfer Iran-Gespräche nicht in die erwünschte Richtung gingen

Von Oliver Eberhardt, Jerusalem *

Mit aller Macht stemmt sich Israels Regierungschef Netanjahu gegen einen Atomdeal mit Iran – und erhält deshalb Gegenwind von seinen Partnern im In- und Ausland.

Nie war die Kritik eines hochrangigen Vertreters der US-Regierung an Israels Premierminister Benjamin Netanjahu so deutlich – und so öffentlich: »Die Zeit, gegen etwas zu sein, ist dann gekommen, wenn man sieht, was es ist, und nicht dann, wenn man herausfindet, was möglich ist«, sagte der US-amerikanische Außenminister am Montag in Abu Dhabi während eines Pressegesprächs.

Am Tag zuvor war Netanjahu im US-Sender CBS auf Konfrontationskurs mit John Kerry gegangen, nachdem dieser erklärt hatte, Israel sei in die Verhandlungen in Genf nicht involviert und werde nicht auf dem Laufenden gehalten. Der Entwurf sei Israels Regierung von US-Quellen zugespielt worden, so Netanjahu, bevor er anfügte, der Deal sei »schlecht« und »gefährlich«. Er sei sich sicher, dass viele Regierungen in der arabischen Welt der gleichen Ansicht seien.

Israels Kampagne gegen das iranische Atomprogramm ist damit in eine Schlammschlacht umgeschlagen. Dass sich Netanjahu dafür ausgerechnet den engsten Verbündeten, die Vereinigten Staaten, als Gegner ausgesucht hat, schreckte auch viele seine engsten Partner auf. So erklärte Avigdor Lieberman, der nach seinem Freispruch in der vergangenen Woche wieder als Außenminister vereidigt wurde, kurz nachdem er den Amtseid geleistet hatte, das gute Verhältnis zu den USA müsse auf Fälle bewahrt werden – es sei lebenswichtig für den jüdischen Staat.

Noch problematischer ist, dass sich ein Großteil der Führung des Likud-Blocks kritisch über ihren Vorsitzenden und Regierungschef äußert. In wenigen Wochen steht beim Parteitag nicht nur die Wiederwahl Netanjahus an, sondern auch das Wahlbündnis mit Liebermans Jisrael Beitenu auf dem Prüfstand: Auf beiden Seiten bereitet man sich bereits auf eine Trennung vor.

Auffällig ist auch, dass die amerikanische Pro-Israel-Lobby AIPAC zu der Auseinandersetzung zwischen Netanjahu und Kerry schweigt. In der vergangenen Woche war das Gerücht umgegangen, AIPAC habe die Lobbyarbeit für härtere Sanktionen gegen Iran für 80 Tage eingestellt. Die Organisation bestreitet dies. Allerdings sagen Mitarbeiter, dass das Thema »keine Priorität« habe, so lange an einem Deal mit Iran gefeilt wird: »Wir müssen realistisch bleiben.«

Realismus ist ein Wort, das in Gesprächen über die aktuelle Eiszeit zwischen Washington und Jerusalem-West in diesen Tagen immer wieder auftaucht. Amerikanische Diplomaten wie israelische Politiker werfen Israels Regierung vor, unrealistische Forderungen zu stellen. »Würden wir etwas nicht tun, weil das Ausland es von uns fordert?«, fragt beispielsweise Schelly Jachimowitsch, Vorsitzende der Arbeiterpartei: »Wahrscheinlich würden wir auch versuchen, das Beste aus einem Deal heraus zu holen.«

Die »New York Times« vertritt ebenfalls diese Ansicht, und wirft Netanjahu dabei indirekt vor, er treibe das iranische Atomprogramm durch seine Verweigerung sogar noch voran: »Es wäre schön, wenn Iran davon überzeugt werden könnte, sein Atomprogramm vollständig abzuwickeln, wie Netanjahu es fordert, aber es ist unwahrscheinlich, dass dies jemals passiert. Präsident George W. Bush hat ähnliche Forderungen aufgestellt und sich geweigert, ernsthaft zu verhandeln. Das Ergebnis ist ein iranisches Programm, das fortgeschrittener als je zuvor ist.«

Mitarbeiter Netanjahus verwahren sich allerdings gegen den Vorwurf, ihr Chef handele irrational und setze damit die Partnerschaft mit den USA aufs Spiel: »Wir sind Partner, ja, aber wir sind auch eigenständig. Wir müssen unsere Interessen vertreten.« Sie monieren vor allem, dass Israel nun zum wiederholten Male draußen gelassen wurde, und verweisen auf die Debatte um die syrischen Chemiewaffen, die sich ohne Netanjahu abgespielt hatte. Sie wollen die aktuelle Eiszeit als »Warnzeichen« verstanden wissen. Allerdings wird auch offen eingestanden, dass sich eine weitere Hoffnung bislang nicht materialisiert hat: Man war davon ausgegangen, dass Kerry Gegenwind von AIPAC erhalten würde, der ihn dazu zwingt, seinen Druck in den innenpolitisch brisanten Verhandlungen mit den Palästinensern zurückzufahren. Doch dieser Gegenwind ist vorerst zumindest ausgeblieben.

US-Diplomaten gehen nicht davon aus, dass Netanjahu künftig wieder stärker in internationale Angelegenheiten eingebunden werde. Seine ständige Oppositionshaltung habe keinen »diplomatischen Nährwert«.

* Aus: neues deutschland, Mittwoch, 13. November 2013


Zurück zur Israel-Seite

Zur USA-Seite

Zurück zur Homepage