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Eine Kette von Provokationen

Palästinenser reagieren am "Tag des Zorns" auf israelische Willkür

Von Karin Leukefeld, Sulaimania *

Mit einem »Tag des Zorns« haben Palästinenser in den von Israel besetzten Gebieten auf die Öffnung der Hurva-Synagoge am Montag reagiert. In der Ostjerusalemer Altstadt lieferten sich palästinensische Demonstranten und israelische Sondereinheiten von Armee und Polizei während des gesamten Dienstags Kämpfe. Die Palästinenser warfen Steine auf die Soldaten, die ihrerseits Tränengas und Blendgranaten einsetzten. Berittene Polizisten trieben die Demonstrationen wiederholt in die Wohnviertel zurück. Tränengasgranaten landeten auch in Wohnungen. Aufgerufen zu dem Protesttag hatte die Führung der islamischen Hamas, die auch verurteilte, daß der Zugang zur Al-Aksa-Moschee für Muslime unter 50 Jahren von den israelischen Besatzungstruppen verhindert wurde.

Dieses Vorgehen Tel Avivs reiht sich ein in eine Reihe von massiver Provokationen gegen die Palästinenser in den vergangenen zehn Tagen. Zunächst erklärte Tel Aviv einseitig zwei in den besetzten Gebieten gelegene historische Stätten zum nationalen Kulturerbe Israels. Dann verkündete das Innenministerium pünktlich zur Ankunft von US-Vizepräsident Joseph Biden am vorvergangenen Dienstag, 1600 neue Wohneinheiten in Ostjerusalem bauen zu wollen, 50000 weitere seien in den besetzten Gebieten insgesamt geplant. Zwar entschuldigte sich Ministerpräsident Benjamin Netanjahu später für den Zeitpunkt der Bekanntgabe, nicht aber für die Tatsache an sich und provozierte weiter.

Eine zweitägige Abriegelung der Westbank wurde am Wochenende um drei Tage verlängert, ebenso die Absperrung der Al-Aksa-Moschee. Im Westjordanland wurden die beiden Orte Bilin und Nilin für die nächsten sechs Monate jeweils an Freitagen zur »militärischen Sperrzone« erklärt. Das geschieht offensichtlich, um weitere Proteste zu verhindern: In den Städten arbeiten aktive Bürgerkomitees seit fünf Jahren effektiv und gewaltfrei gegen den Bau der israelischen Mauer.

International werden die neuen Maßnahmen Israels zwar verurteilt, Sanktionen, wie die Einstellung von Rüstungs- und Wirtschaftshilfe, bleiben aber aus. Offenbar unter dem Druck der von Tel Aviv geschaffenen Realitäten rang sich aber George Mitchell, US-Sondervermittler für den Mittleren Osten, dazu durch, seine geplante Nahost-Vermittlerreise »zu verschieben«. Das wurde am Dienstag bekannt.

Die am Montag (15. März) neu eröffnete Hurva-Synagoge liegt im historischen jüdischen Wohnviertel Ostjerusalems. Erbaut 1694, im Laufe der Zeit umkämpft und zerstört begannen nach der israelischen Besetzung Ostjerusalems 1971 die ersten Wiederaufbauarbeiten, im Oktober 2009 wurde die Hurva-Synagoge fertiggestellt. Daß sie nun zu einem Zeitpunkt eingeweiht wird, wo Israel sich hartnäckig jeglicher Verpflichtung nach internationalem Recht entzieht, wird von den Palästinensern als zusätzliche Beleidigung verstanden.

Der brasilianische Ministerpräsident Luis Inácio »Lula« da Silva, der sich zu Gesprächen in Israel aufhält, nahm dementsprechend nicht an der Eröffnung teil. Daraufhin sagte der israelische Außenminister Avigdor Lieberman seine Teilnahme an allen geplanten Begegnungen mit da Silva ab. Brasilien ist der größte Handelspartner Israels in Südamerika, in die Freihandelszone Mercosur wurde Israel kürzlich als erstes nicht südamerikanisches Land aufgenommen.

* Aus: junge Welt, 17. März 2010


Obamas Grenzen

Beleidigte USA, zornige Palästinenser

Von Werner Pirker **


Dem amerikanischen Unmut über die von der israelischen Regierung just während des Besuches von US-Vizepräsident Biden getroffene Entscheidung zur Fortsetzung des Siedlungsbaus in Ostjerusalem folgte der palästinensische Zorn. Netanjahu und die Seinen scheint beides nicht sonderlich zu beeindrucken. Den Ärger, den sie in Washington vor allem ob des gezielt »ungeschickten« Timings auslösten, brauchen sie tatsächlich nicht sonderlich zu fürchten – US-Außenministerin Clinton preist bereits wieder die »unverwüstliche Verbundenheit« zwischen beiden Ländern. Auch den Zorn der Palästinenser meint man inzwischen gut genug zu kennen, um von ihm noch überrascht werden zu können.

Die Israelis meinen, ein legitimes Recht auf den Bau jüdischer Siedlungen in Ostjerusalem zu haben. Weil sie den Ostteil der Stadt von ihrem Moratorium, das einen vorübergehenden Siedlungsbaustopp auf der Westbank vorsieht, ausgenommen haben. Und das deshalb, weil sie Jerusalem als Israels ewige ungeteilte Hauptstadt betrachten. Mit diesem »Rechtsstandpunkt« stehen sie allerdings weitgehend allein da. Die vom UN-Sicherheitsrat im August 1980 verabschiedete Resolution 478 verurteilt die Annexion Ostjerusalems durch Israel als »völkerrechtswidrig« und erklärt sie für »null und nichtig«. Selbst wenn die Zionisten ernsthaft an Friedensverhandlungen interessiert wären, widerspräche bereits die Position, von der aus sie solche zu führen gedenken, internationalem Recht. Doch will Washington den Israelis ohnedies nicht zumuten, mit den Palästinensern auf der Basis von UN-Resolutionen zu verhandeln. Alles, was die Obama-Administration von Israel wollte, war, als Vorleistung für Friedensverhandlungen den Siedlungsbau einzustellen.

Die Friedensvereinbarung von Oslo 1992 beinhaltete für die Palästinenser die Hoffnung auf einen Staat in den Grenzen der von Israel 1967 besetzten Gebiete. Doch diese sind inzwischen von Siedlerwällen durchzogen und damit für einen souveränen Staat unbrauchbar geworden. Am Apartheid-Charakter des israelisch-palästinensischen Verhältnisses hätte auch ein Eingehen der Regierung Netanjahu auf Obamas bescheidene Forderungen nichts geändert. Daß die Aussicht auf einen gerechten Nahost-Frieden heute schlechter denn je sind, liegt nicht nur an der Politik der gegenwärtigen Regierung, sondern an der grundsätzlichen Weigerung der zionistischen Elite, den Palästinensern eine gleichberechtigte Existenz zuzugestehen. In dieser Nahost-Frage aller Nahost-Fragen gibt es zwischen Israel und den USA keine Meinungsverschiedenheiten.

Wenn US-Präsident Obama tatsächlich eine Friedenslösung im Auge gehabt haben sollte, dann ist der »mächtigste Mann der Welt« schneller als gedacht an die Grenzen seiner Macht gestoßen. Denn so unterwürfig kann ein palästinensischer Führer gar nicht sein, als daß er das israelische Diktat noch hinnehmen könnte.

** Aus: junge Welt, 18. März 2010


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