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Gefährlicher Bauboom in Ostjerusalem

Weltweite Kritik an Israels Siedlungspolitik

Von Olaf Standke *

Mit massiver Kritik hat die internationale Gemeinschaft auf den Beschluss Israels zum Bau neuer Wohnungen in Ostjerusalem reagiert.

Ungeachtet der internationalen Bemühungen um Nahost-Friedensgespräche haben die israelischen Behörden jetzt 1100 neue Wohneinheiten im annektierten Ostjerusalem genehmigt, wo inzwischen rund 190 000 Israelis leben. US-Außenministerin Hillary Clinton zeigte sich tief enttäuscht über die Entscheidung. Sie sei kontraproduktiv für direkte Verhandlungen mit den Palästinensern. Allerdings war es die Obama-Regierung, die im UN-Sicherheitsrat eine Verurteilung der Siedlungspolitik mit ihrem Veto verhindert hat.

Auch Deutschland sieht die Genehmigung mit Sorge. Wie Bundesaußenminister Guido Westerwelle betonte, stehe sie nicht im Einklang mit der Erklärung des Nahost-Quartetts, das nach dem palästinensischen Antrag auf staatliche Anerkennung durch die UNO ein Friedensabkommen bis Ende 2012 anstrebt. Drastischer formulierte es der palästinensische Chefunterhändler Saeb Erekat, der von einer »Ohrfeige für die internationalen Friedensbemühungen« sprach. »Israel hat auf den Vorschlag des Nahost-Quartetts mit 1100 Neins reagiert.«

Die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton kritisierte die Baugenehmigung ebenfalls scharf. Sie sollte rückgängig gemacht werden, denn »die Siedlungsaktivitäten gefährden eine Zweistaatenlösung«. Die palästinensische Seite hatte einen Baustopp zur Bedingung für neue Gespräche gemacht. »Wir haben bereits geliefert«, konterte der israelische Regierungschef Benjamin Netanyahu in der »Jerusalem Post« mit Blick auf ein zehnmonatiges Moratorium, das seine Regierung vor einem Jahr beendet hat. Ohnehin betraf es nur nicht angelaufene Bauarbeiten und nahm Ostjerusalem aus. Israel befürchtet, dass die UNO-Anerkennung eines palästinensischen Staates dazu führen könnte, dass der Siedlungsbau künftig vor dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag verhandelt wird. Der arabischstämmige israelische Abgeordnete Ahmed Tibi hält eine Klage für wahrscheinlich, weil es hier um einen »eindeutigen Verstoß gegen das internationale Recht« gehe.

Die Siedlungen in den besetzten Gebieten sind eines der größten Hindernisse für Friedensverhandlungen. Seit 1967 hat Israel im Westjordanland rund 130 für über 300 000 Bewohner errichtet. Ihr Ausbau wurde laut einer Analyse der Friedensorganisation »Peace now« zwischen September 2010 und Ende Juli 2011 mit 2598 neuen Wohnungen besonders stark vorangetrieben. Das entspreche einer neuen Wohnung pro 123 Einwohner. In Israel selbst habe das Verhältnis im selben Zeitraum 1:235 betragen. Hinzu kommen etwa 100 »wilde« Siedlungen.

Zugleich zerstört Israel nach Erkenntnissen der Vereinten Nationen seit Jahresbeginn verstärkt Gebäude im Westjordanland und in Ostjerusalem, insgesamt mindestens 387, darunter 140 Wohnhäuser. Das habe zur Vertreibung von 755 Palästinensern geführt, mehr als im ganzen Vorjahr. Außerdem habe Israel mindestens 20 Zisternen und zwölf Brunnen zerstört, was Folgen für den Wasserzugang von zehntausenden Palästinensern habe, so die UN-Experten. Sie sprachen jetzt vor dem Menschenrechtsrat in Genf von »nicht hinnehmbaren Menschenrechtsverletzungen«.

* Aus: Neues Deutschland, 29. September 2011


Israels Nein zum Frieden

Von Karin Leukefeld **

Die Antwort Israels auf den Plan des Nahost-Quartetts ist 1100 mal nein.« So reagierte Saeb Erekat von der Palästinensischen Autonomiebehörde auf die Entscheidung des israelischen Innenministeriums, in der Siedlung Gilo in Ostjerusalem 1100 neue Wohneinheiten für jüdische Siedler zu bauen. Die Baumaßnahme sei ein »Schlag ins Gesicht« internationaler Vermittler, die den Frieden in der Region bewahren wollten. Die Regierung Netanjahu habe »alle blamiert«, die Israel für einen »Partner für den Frieden« hielten.

Die westlichen Verbündeten Israels reagierten hilflos auf die Entscheidung. »Die Siedlungsaktivitäten bedrohen die Durchführbarkeit der Zwei-Staaten-Lösung«, sagte die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton. Sie sei »zutiefst enttäuscht«, der Plan sollte »rückgängig« gemacht werden. Der britische Außenminister William Hague sagte, der Siedlungsausbau untergrabe »das Grundprinzip Land für Frieden«. US-Außenministerin Hillary Clinton nannte die Entscheidung »kontraproduktiv« für neue Friedensgespräche. Der Bundestagsabgeordnete Wolfgang Gehrcke (Die Linke) sagte, die israelische Regierung türme »bewußt weitere Hindernisse für Friedensverhandlungen auf«.

Ein namentlich nicht genannter Regierungsvertreter Israels wies alle Kritik an der Entscheidung zurück. Gilo sei keine Siedlung, sondern »integraler Bestandteil des Zentrums von Jerusalem«. Man setzte nur »die Politik aller israelischen Regierungen seit 1967« fort und baue »in den jüdischen Vierteln der Stadt«.

Die Baubewilligung sei »ein schönes Geschenk zu Rosh Hashanah«, dem jüdischen Neujahrsfest, kommentierte Yair Gabai vom Jerusalemer Planungskomitee gegenüber der Onlinezeitung Ynet. Die Siedlung Gilo entstand 1967 im besetzten Ostjerusalem und wurde völkerrechtswidrig annektiert. Jenseits der »Grünen Linie« von 1967 leben heute rund 500000 jüdische Siedler in illegalen Siedlungen.

Das israelische Kabinett konnte sich derweil nicht auf neue Friedensgespräche einigen, wie das Nahost-Quartett – UN, USA, EU und Rußland – vor einer Woche vorgeschlagen hatte. Ministerpräsident Benjamin Netanjahu sagte in der Jerusalem Post, er denke nicht daran, den Palästinensern einen Siedlungsstopp anzubieten, um sie wieder an den Verhandlungstisch zu holen.

Zustimmung findet der Siedlungsbau bei Organisationen auch außerhalb Israels. Die Jüdische Verteidigungsliga (JDL, Jewish Defense League) suchte kürzlich auf ihrer Webseite »Militante mit militärischer Erfahrung«, um den Siedlern gegen die »Aggression palästinensischer Besatzer« zu helfen. Als Einsatzort wurden »jüdische Städte in Judäa und Samaria« genannt, wie die Siedler die besetzte Westbank nennen. 55 Franzosen, Männer und Frauen, seien dem Aufruf gefolgt und hätten »die Siedlungen gegen jeden Angriff der Palästinenser verteidigt«, bestätigte ein JDL-Sprecher dem Nachrichtensender Al Dschasira.

UNO-Kreise weisen derweil auf eine »dramatische Zunahme« von Zerstörungen palästinensischer Häuser seit Jahresbeginn hin. »Solche Aktionen der israelischen Behörden verletzen die Menschenrechte (…) und müssen sofort aufhören.« Das Israelische Komitee gegen Hauszerstörungen, ICAHD, hat in den letzten acht Monaten allein im Jordantal eine Verfünffachung solcher Attacken im Vergleich zum Vorjahr registriert.

** Aus: junge Welt, 29. September 2011


Makulatur

Von Olaf Standke ***

Zutiefst enttäuscht zeigt man sich in Washington angesichts der jüngsten Baugenehmigung für die jüdische Siedlung Gilo. Die liegt im von Israel annektierten arabischen Ostjerusalem und gehört wie jene im besetzten Westjordanland zu den größten Stolpersteinen auf dem Weg zu einem tragfähigen Friedensabkommen. Dem war mit der jüngsten Erklärung des Nahost-Quartetts wieder einmal ein Fahrplan verordnet worden. Und alle Seiten sollten Provokationen vermeiden, um Ende 2012 endlich am Ziel zu sein.

Doch Präsident Obama hätte es wissen können, er wird von seinem wichtigsten Verbündeten in der Region ja nicht zum ersten Mal auf diese Weise brüskiert. Trotzdem haben sich die USA in den Vereinten Nationen immer wieder für Israel stark gemacht und im Weltsicherheitsrat mit ihrem Vetoprivileg eine Verurteilung seiner Siedlungspolitik verhindert. Obwohl diese gegen die Genfer Konvention verstößt und von den meisten Staaten als völkerrechtswidrig gebrandmarkt wird. Weit über 200 Siedlungen, genehmigte wie »wilde«, mit 500 000 Bewohnern bei etwa 2,4 Millionen Palästinensern, immer wieder neue »Vorposten«, mit denen Fakten geschaffen werden, 522 Sperren und Kontrollposten der Armee allein im Westjordanland – was Israel mit legitimen Sicherheitsbedürfnissen rechtfertigt, macht die Existenz eines souveränen lebensfähigen palästinensischen Staates letztlich unmöglich. So bleibt auch der neue Friedensfahrplan Makulatur.

*** Aus: Neues Deutschland, 29. September 2011 (Kommentar)


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