"Nächstes Mal einsperren!"
Interview mit dem palästinensischen Theater- und Filmregisseur Samieh Jabbarin (41), der in Israel unter Hausarrest steht
Samieh Jabbarin wird vorgeworfen, am Tag der Knesset-Wahlen einen Kommandeur des israelischen Grenzschutzes angegriffen zu haben. Beweise konnten dafür nicht erbracht werden. Dennoch wird der israelische Staatsbürger im Anschluss an eine 16-tägige Haft seit fast vier Monaten in seinem Elternhaus in Umm al Fahm festgehalten, weit ab von seinem Wohnort Jaffa. Dort engagiert sich Jabbarin seit Jahren mit friedlichen Protesten gegen die Vertreibung der arabischen Bevölkerung – Aktionen, die den israelischen Behörden ein Dorn im Auge sind. Mit Samieh Jabbarin telefonierte für das "Neue Deutschland" (ND) Susann Witt-Stahl.
ND: Wie ist Ihre aktuelle Situation?
Jabbarin: Ich habe am 26. April einen Antrag auf Lockerung des Hausarrests gestellt, der mir ermöglichen soll, meinen Beruf auszuüben und meinem Masterstudium nachzugehen. In der Regel werden solche Anträge akzeptiert – das bestätigen Anwälte, die in solche Verfahren involviert sind. Während das Gericht dem Antrag eines Mitbeschuldigten, der am gleichen Tag wie ich festgenommen wurde, stattgegeben hat, ist meiner immer noch »in Behandlung«. Kürzlich hat die Richterin die Verhandlung erneut vertagt. Begründung: Ich hätte diese Lockerung nicht verdient, weil ich mich während des Hausarrests politisch äußere.
Was geschah am 10. Februar in Umm al Fahm?
Einer der gefürchtetsten rechtsradikalen Politiker Israels wollte sich als »Wahlbeobachter« in einer der größten palästinensischen Städte des Landes aufhalten: Baruch Marzel. Seine Ideologie lässt sich auf einen Satz reduzieren: Vertreibung aller Palästinenser aus »Großisrael«. Dieser Akt war eine reine Provokation mit dem Zweck, die palästinensische Bevölkerung einzuschüchtern und zu terrorisieren. Einwohner und Aktivisten von außerhalb organisierten Proteste. Nach langen Verhandlungen mit dem Bürgermeister sagte die Polizei schließlich zu, den Faschisten nicht in die Stadt zu lassen. In Wahrheit aber ließ sie seinen noch schlimmeren Komplizen, den Knesset-Abgeordneten Arie Eldad, in einer Wahlurne in die Stadt schleusen. Die Proteste wurden daraufhin fortgesetzt. Wenige Sekunden nachdem der Kommandeur und Mitglieder einer Polizeispezialeinheit mich erblickt hatten, attackierten sie mich mit Schlagstöcken und nahmen mich fest.
Der Vorwurf lautet, Sie hätten den Kommandeur angegriffen.
Viele Leute, die vor Ort waren, können das Gegenteil bezeugen. Es gibt auch Fotos, die beweisen, dass in Wahrheit ich der Angegriffene war. Trotz wiederholter Aufforderung der Verteidigung weigert sich die Polizei, die jede politische Aktion akribisch filmt, das Material vorzulegen. Hätten sie belastende Aufnahmen, wäre ich längst verurteilt worden. So oder so – sie wollen mich um jeden Preis hinter Gittern haben.
Wie kommen Sie darauf?
Mir wurde schon im Laufe der Protestaktionen gegen die Gaza-Massaker gedroht, dass ich dafür bezahlen werde. Mir wurde wörtlich gesagt, man werde mich »bei der nächsten Gelegenheit einsperren«.
Welche Gefahr könnte von Ihnen ausgehen?
Seit der Staatsgründung praktizieren die Zionisten eine Politik, die das palästinensische Kollektiv in unterschiedliche Gruppen aufspalten soll: Palästinenser in den besetzten Gebieten, israelische Araber und Flüchtlinge. Jeder, der dieser Praxis im Wege steht, wird als »gefährlich« eingestuft. Meine Genossen und ich verstehen unser politisches Engagement nicht als einen solidarischen Akt mit den Palästinensern in den besetzten Gebieten und Gaza, sondern als unseren gemeinsamen Kampf gegen jegliche Besatzung. Die Angriffe auf Gaza empfinden wir als Angriffe gegen uns. Wir treten offen für eine Einstaatenlösung ein: einen säkularen demokratischen Staat, in dem Juden und Palästinenser ohne Rassismus zusammenleben. Das wollen die Geheimdienste nicht tolerieren. Aber sie haben ein Problem: Wir agieren immer im Rahmen der Gesetze. Während der Gaza-Massaker wurde ich dreimal festgenommen, aber nicht vor Gericht gestellt. Es lag nichts gegen mich vor. Am Wahltag dann haben sie »die Gelegenheit« genutzt.
Wie sind die Bedingungen Ihres Hausarrests?
Ich trage eine elektronische Fußfessel. Zwei meiner Geschwister wurden verpflichtet, mich 24 Stunden am Tag »vor Augen« zu haben. Das ist wörtlich zu verstehen. Sie müssen sich abwechseln. Was auch immer passiert – ich darf das Haus nicht verlassen: Vor fünf Wochen ging es meinem Vater, einem achtzigjährigen herzkranken Mann, nicht gut. Auf Anraten eines Arztes beschlossen wir, ihn ins Krankenhaus zu bringen. Ich habe die Polizei um Erlaubnis gebeten, ihn mit meiner Mutter begleiten zu dürfen. Das wurde strikt abgelehnt und behauptet, das sei nicht nötig, weil wir meinen Vater mit dem Krankenwagen in die Klinik schicken könnten. Dass ich meine Mutter in dieser schweren Stunde nicht allein lassen wollte, interessierte die Polizei wenig.
Nicht zufällig wurde ich weit weg von Jaffa, wo ich wohne und politisch aktiv bin, unter Arrest gestellt. Dennoch besuchen mich viele meiner Genossen und planen mit mir gemeinsame Aktivitäten. Ich schreibe für viele Zeitungen. Kürzlich habe ich angefangen, Schauspiel-Workshops zu organisieren für die Jugend hier im Kiez.
Erfahren Sie Solidarität aus der jüdischen und arabischen Bevölkerung?
Schon während meiner Zeit im Gefängnis fanden Solidaritätsaktionen statt. Anfangs haben sich hauptsächlich Palästinenser beteiligt und nur wenige jüdische Aktivisten, die vorwiegend von Anarchists Against the Wall kamen – ich stehe ihnen politisch sehr nahe. Mittlerweile haben sich auch viele jüdische Akademiker und Künstler engagiert, einen Solidaritätsabend in Tel Aviv organisiert und eine Online-Petition.
Gibt es eine nennenswerte linke Opposition gegen die israelische Rechtsregierung?
Die neue Regierung ist nicht das Problem. Die Entwicklungen der vergangenen Jahre zeigen, dass die sogenannten Mitte-Links-Regierungen die Siedlungen vergrößert, die Zerstückelung der Westbank durch die Apartheid-Mauer eifrig voran getrieben und zwei Kriege initiiert haben. Das Gefährliche an der neuen Regierung kommt allerdings zum Vorschein, wenn wir sie als Spiegel der israelischen Gesellschaft betrachten. Die Mehrheit der Wähler beurteilt die rassistische und kriegerische Politik der vorherigen Regierungen als zu »moderat« und verlangt nach mehr Aggressionen. Es ist ein Fakt, dass keine einzige zionistische Partei, ob links oder rechts, bereit wäre, das Rückkehrrecht der palästinensischen Flüchtlinge zu akzeptieren. Für uns heißt das, die richtigen Partner müssen jenseits der zionistischen Ideologie gesucht werden. Überraschenderweise schließen sich immer mehr jüdische Antizionisten unserem Widerstand an.
Sie haben während Ihres Arrests Regie bei einem Theaterstück geführt, das auf dem Rabin Square in Tel Aviv zu sehen war. Was ist das für ein Werk, wie verlief Ihre Arbeit und wie war die Resonanz auf die Aufführung?
Das Stück heißt Seven Jewish Children und wurde von der britischen Dramatikerin Caryl Churchill während der Gaza-Massaker geschrieben. Es ist eine Kombination aus poetischer Schönheit und politisch-intellektuellem Mut. In dem Monolog geht es um Tabus, Mythen und unterdrückte Erkenntnisse in der Geschichte des Zionismus. Dabei wird aber keine klare Haltung eingenommen – das wird dem Zuschauer überlassen.
Die Arbeit daran war anstrengend, weil ich die Regie per Internet und Telefon zu bewerkstelligen hatte. Hinzu kommt, dass wir das Projekt binnen fünf Tagen auf die Bühne kriegen mussten. Die Aufführung war Teil einer Kampagne gegen die Gaza-Blockade, die von zwei feministischen Organisationen getragen wurde: der israelischen Women Coalition for Peace und der amerikanischen Pink Code. Wir haben eine Menge positiver Reaktionen bekommen. Viele Zuschauer, die unser Stück in Tel Aviv unter blauem Himmel gesehen haben, beschrieben es als »bewegend, wichtig, mutig und schön«. Das gibt Hoffnung!
* Aus: Neues Deutschland, 24. Juni 2009
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