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Eskalation in der Westbank

Israel reagiert mit Ausbau der illegalen Siedlungen auf Mord an Familie

Von Karin Leukefeld *

Die israelische Regierung hat am Sonntag (13. März) den Bau von 500 neuen Wohnungen in den Siedlungen Gush Etzion, Maale Adumim, Ariel und Kyriat Sefer in der besetzten palästinensischen Westbank genehmigt. Diese völkerrechtswidrig errichteten Siedlungen sollen Ministerpräsident Benjamin Netanjahu zufolge Israel einverleibt werden, falls es jemals zu einem Friedensvertrag mit den Palästinensern kommen sollte. Der UN-Sonderkoordinator für den Friedensprozeß im Mittleren Osten, Robert Serry, ließ über einen Sprecher gegenüber der palästinensischen Nachrichtenagentur Maan darauf hinweisen, daß jeder Siedlungsbau in den besetzten palästinensischen Gebieten illegal und ein Hindernis für die Wiederaufnahme von Verhandlungen sei. Nabil Abu Rudeina, ein Sprecher von Palästinenserpräsident Mahmud Abbas, sprach von einem »Fehler« Israels, der »große Probleme« verursachen werde. Der Siedlungsbau sei »unakzeptabel« und werde »alles zerstören«.

Die provokative Entscheidung Israels wird allgemein als Strafmaßnahme gegen die Palästinenser eingestuft, nachdem am Freitagabend (11. März) eine israelische Familie in der ebenfalls illegalen Siedlung Itamar bei Nablus erstochen worden war. Während die Eltern und drei ihrer Kinder offenbar im Schlaf ermordet worden waren, konnten drei weitere Kinder der Familie fliehen, berichteten israelische Medien. Netanjahu erklärte, die Baumaßnahme sei eine »klare politische Botschaft« nach dem Überfall in der entlegenen Siedlung, die von privaten israelischen Sicherheitskräften geschützt wird. Der israelische Außenminister Avigdor Lieberman kündigte eine Beschwerde bei der UN an. Er erwarte eine »weltweite Verurteilung des teuflischen Mordes an einer ganzen Familie«.

Am Samstag (12. März) übernahm eine angebliche Fraktion »Gruppe Imad Mughniyya« der Al-Aksa-Märtyrerbrigaden, die der Fatah zugeordnet werden, die Verantwortung für die Tat. Die »Operation« sei eine »natürliche Reaktion auf die Massaker der faschistischen Besatzung gegen unser Volk im Gazastreifen und in der Westbank«, hieß es in einer Erklärung. Die Führung der Gruppe in Gaza dementierte allerdings umgehend eine Verwicklung in das Attentat. Man kämpfe für »Freiheit und Würde« und habe in der Vergangenheit häufig Anschläge nicht ausgeführt, weil man keine Kinder töten wollte.

Unmittelbar nach dem Attentat hatte das israelische Militär seine Sicherheitskontrollen in der Westbank massiv erhöht und bei Razzien mindestens 20 Personen festgenommen. Die Anwohner von Nablus wurden angewiesen, in ihren Häusern zu bleiben. Zuvor war es seit mehr als einer Woche immer wieder zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Siedlern und Palästinensern gekommen. Die als extrem fanatisch geltenden religiösen Israelis zerstörten Geschäfte in Hebron, setzten Häuser und Felder in Brand und fällten 500 Olivenbäume, die Palästinenser auf dem Gelände eines zuvor geräumten illegalen Vorpostens frisch angepflanzt hatten. Am Ende des jüdischen Feiertages Schabbat am Samstag abend stürmten einem Bericht der Nachrichtenagentur Maan zufolge Hunderte Siedler mit Gewehren, Knüppeln und Messern bewaffnet palästinensische Häuser in Nablus, Burin und Huwwara, wo sie Flugblätter mit Todesdrohungen hinterließen.

* Aus: junge Welt, 15. März 2011


Fünf Worte – ein Konflikt

Von Roland Etzel **

Sie morden, und wir bauen.« Es ist dieser Zynismus, der Israels Regierungschef immer kennzeichnete und einen der Spitzendemagogen der Gegenwart hat werden lassen. Die Mörder der israelischen Siedlerfamilie sind noch flüchtig, und man darf davon ausgehen, dass sie auch von der Palästinensischen Autonomiebehörde verfolgt werden, aber Netanjahu hat noch am Tag der Tat bereits gerichtet: Als Sühne für den Mord bauen wir jetzt. Für diese israelische Regierung ist das völlig selbstverständlich: Ein palästinensisches Dorf, aus dem die Mörder nicht einmal kommen, wird kollektiv bestraft; und Netanjahu sagte nicht »auf der Westbank«, sondern spricht von »unserem Land«. Da lebt er wieder, der verlogene John-Wayne-Habitus des vorvorigen Jahrhunderts, der nur Gut und Böse kennt; hier friedliche Siedler und dort hinterrücks mordende Indianer.

Bei aller berechtigten Empörung über den Mord – warum fragt niemand, wie die bisherigen 500 000 jüdischen Siedler auf die palästinensische Westbank kamen? Welche palästinensischen Verbrechen waren dem vorausgegangen? Spielt es für die Beurteilung denn gar keine Rolle mehr, wo der Mord geschah, wie die jüdische Familie dorthin kam und welches Recht sie hatte, dort zu sein? Und was würde Netanjahus Satz im Umkehrschluss bedeuten? Gibt er nun auch Land ab für jedes von seiner Armee getötete palästinensische Kind? Dann würde es sehr bald sehr eng in Israel.

Sie morden, und wir bauen. Es lassen sich kaum fünf Worte finden, die den Nahostkonflikt treffender kennzeichnen, wenn man ihn denn spiegelverkehrt wahrnehmen will.

** Aus: Neues Deutschland, 15. März 2011 (Kommentar)

Netanjahu: "Wir legen die Siedlungen fest!"

Einen Tag nach dem entsetzlichen Mord auf eine Siedlerfamilie in Itamar bei Nablus gab der israelische Ministerpräsident Netanjahu eine Erklärung ab, die an Eindeutigkeit nichts zu wünschen übrig lässt. Nicht nur wird darin der hinterhältige Mord - zu Recht - aufs schärfste verurteilt, Netanjahu verkündet auch die Fortsetzung des Siedlungsbaus und die alleinige israelische Zuständigkeit für die Festlegung der israelischen Grenzen. Damit heizt er den israelisch-palästinensischen Konflikt weiter an. Nebenbei wird die internationale Staatengemeinschaft beschuldigt, einseitig immer nur aufzuschreien, wenn den Palästinensern angebliches Unrecht geschieht, während alle Verbrechen, die an Israelis verübt werden, unkommentiert blieben oder verharmlost würden. Damit schafft sich Netanjahu nicht unbedingt neue Freunde in der Welt. Er scheint das aber auch nicht nötig zu haben - jedenfalls solange die USA hinter ihm stehen. Die derzeitige israelische Politik, so muss mit größter Sorge konstatiert werden, ist eine Gefahr für die Palästinenser, deren Recht auf einen eigenen zusammenhängenden Staat in definierten Grenzen bestritten wird. Sie gefährdet letztlich aber auch Israel selbst. Noch nie war Israel in der Welt so isoliert wie heute. Und die Natanjahus und Liebermans tun alles dafür, dass es so bleibt.

Im Folgenden dokumentieren wir die Erklärung Netanjahus im vollen Wortlaut.


Ministerpräsident Binyamin Netanyahu gab am Samstag (12. März) eine Erklärung ab, in der er sich auch die Palästinensische Autonomiebehörde (PA) und die internationale Gemeinschaft wandte:

„Ich möchte mein tiefes Entsetzen zum Ausdruck bringen, ein Entsetzen, das sicherlich von jedem Israeli gefühlt wird – über den Mord an einer jungen Familie – dem Vater, der Mutter, einem elfjährigen Jungen, einem vierjährigen Jungen und einem vier Monate alten Mädchen. Drei Kinder dieser Familie bleiben verwaist zurück. Eines der Mädchen sah seine erstochenen Eltern und Geschwister. Die Familie wurde brutal im Schlaf am Shabbat-Abend ermordet.

Wir umarmen und unterstützen die Waisen und die anderen Familienangehörigen. Wir umarmen und unterstützen unsere Brüder, die in Judäa und Samaria wohnen. Lasst euch nicht entmutigen. Ich weiß, dies ist eine schwere Zeit für uns, aber die ganze Nation ist mit euch. Nachdem dieses Desaster, dieser fürchterliche Mord bekannt wurde, habe ich mit Verteidigungsminister Ehud Barak, Generalstabschef Benny Gantz, dem Leiter des Allgemeinen Sicherheitsdienstes (SHABAK) Yuval Diskin und anderen hochrangigen Vertretern des Sicherheitsapparats Beratungen abgehalten. Ich habe sie angewiesen, alles zu tun, um die Mörder zu finden, und nicht zu ruhen, bis sie gefunden und vor Gericht gebracht worden sind.

Ich erwarte von der internationalen Gemeinschaft, diesen Mord, den Mord an Kindern, aufs Schärfste und unzweideutig zu verurteilen. Ich bemerke, dass zahlreiche Staaten, die es immer eilig haben, Israel, den Staat der Juden, vor dem UN-Sicherheitsrat wegen der Planung eines Hauses an irgendeinem Ort oder für die Verlegung von Fliesen an irgendeinem anderen Ort zu verurteilen, sehr zögerlich dabei sind, den Mord an jüdischen Kindern scharf zu verurteilen. Ich erwarte von ihnen, solche Verurteilungen unverzüglich, ohne Ausgewogenheiten, ohne Verständnis, ohne Rechtfertigungen vorzubringen. Es gibt keine Rechtfertigung, und es kann weder Entschuldigung noch Vergebung für den Mord an Kindern geben.

Ich erwarte eine ähnliche Verurteilung, und ich fordere eine ähnliche Verurteilung von der Palästinensischen Autonomiebehörde. Ich bin enttäuscht von den schwachen und undeutlichen Äußerungen. So verurteilt man den Terrorismus nicht. So bekämpft man den Terrorismus nicht. Man sehe, wie israelische Ministerpräsidenten, unter ihnen ich, in ähnlichen Situationen reagiert haben; aber es hat nie etwas Vergleichbares gegeben, dass Terroristen in ein Haus eindringen und Kindern die Hälse durchschneiden.

Dies erfordert eine scharfe und unzweideutige Verurteilung. Dies erfordert noch etwas anderes. Dies erfordert ein Ende der Hetze. Ich verlange, dass die Palästinensische Autonomiebehörde die Hetze beendet, die tagtäglich in ihren Schulen, Moscheen und Medien vonstatten geht. Es ist Zeit, das doppelzüngige Gerede zu beenden, mit dem die Palästinensische Autonomiebehörde nach außen hin von Frieden spricht und gleichzeitig die Hetze erlaubt – und manchmal initiiert. Es ist Zeit, die Hetze zu stoppen und zu beginnen, die Leute zum Frieden zu erziehen.

Trotz all des fürchterlichen Leids rufe ich alle Israelis dazu auf, verantwortungsbewusst zu handeln, mit Zurückhaltung, und das Gesetz nicht in die eigene Hand zu nehmen. Wenn man das Gesetz in die eigene Hand nimmt, gibt es kein Gesetz. Die Israelischen Verteidigungsstreitkräfte (ZAHAL) und die Sicherheitskräfte werden ihrer Verantwortung nachgehen; nur sie. Wir werden es dem Terrorismus nicht gestatten, die Siedlungslandkarte festzulegen. Die Siedlungslandkarte wird von der Regierungspolitik bestimmt, die mit unseren nationale Interessen überienstimmt, allem voran mit der Sicherheit. Der Terrorismus wird die Siedlungslandkarte nicht festlegen. Wir werden sie festlegen.“

(Außenministerium des Staates Israel, 12.03.11)

Quelle: Newsletter der Israelischen Botschaft in Berlin, 14. März 2011




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