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Krieg als Ablenkung?

Israels Premier beschwört eine iranische Gefahr, hat aber wohl ein anderes Problem im Sinn

Von Norman Paech *

Israel zeigt sich weiter entschlossen, Iran anzugreifen. Ein Schlag gegen die iranischen Atomanlagen sei »keine Frage von Tagen oder Wochen, aber auch nicht von Jahren«, drohte Ministerpräsident Netanjahu am Donnerstag (8. März) nach der Rückkehr von seinem USA-Besuch.

Kein Zweifel, Benjamin Netanjahu hat in Washington nicht das bekommen, was er wollte. 13 000 frenetisch jubelnde Kriegsenthusiasten mit den republikanischen Präsidentschaftskandidaten Mitt Romney und Newt Gingrich an der Spitze bei der proisraelischen Lobby AIPAC sind eben nicht dasselbe wie Barack Obama und Leon Panetta im Weißen Haus und Pentagon. Diese haben ihm offensichtlich eindeutig zu verstehen gegeben: kein Krieg vor den Wahlen im November. Erst wenn alle diplomatischen Mittel und Wirtschaftssanktionen versagen, würde Washington militärisch gegen Teheran vorgehen. Nun verhandeln israelische Militärs im Pentagon über die Lieferung von Flugzeugen zum Auftanken von Kampfjets in der Luft und von bunkerbrechenden Bomben des Typs GBU-28. Sie sind notwendig, um überhaupt die in Iran anvisierten Ziele erreichen und zerstören zu können. Bereits Präsident George Bush jun. hatte eine derartige Anfrage auf dem Tisch, die er jedoch ablehnte. Washington hat also die Leine selbst in der Hand, mit der es einen kriegslustigen Netanjahu zügeln kann. So bleibt diesem derzeit nichts anderes übrig, als immer wieder zu betonen, dass Israel auf seinem Recht bestehe, selber über seine Verteidigung zu entscheiden. Er hat aber wohl lernen müssen, dass letztlich Washington darüber entscheidet, wann er entscheiden kann.

So unbefriedigend die Reise in die USA für Netanjahu auch gewesen sein mag - einen Erfolg, an dem er schon lange arbeitet, hat er dennoch erreicht. Forderungen nach sichtbaren Schritten zur Wiederbelebung des toten Friedensprozesses mit den Palästinensern sind vom Tisch. Der Siedlungsbau geht unvermindert voran und wird nicht mehr durch Forderungen nach seinem Stopp gestört. Außenminister Lieberman hatte ohnehin schon im Oktober verfügt, dass es solange keine Abmachungen mit der PLO geben werde, wie Mahmud Abbas ihr Präsident sei. Hinter den seit langem aufgebauten Existenzängsten und den nun fast täglich wiederholten Kriegsdrohungen gegen Iran kann die israelische Regierung relativ ungestört Fakten zur weiteren Annexion palästinensischen Landes schaffen.

Netanjahu hat seit Jahren die internationale Aufmerksamkeit auf das iranische Atomprogramm zu lenken versucht. Mit den immer lauter werdenden Kriegsdrohungen ist ihm dies nun auch gelungen. Dass dahinter jedoch ein anderes strategisches Ziel lag, nämlich den sogenannten Friedensprozess von der Tagesordnung zu nehmen, wird jetzt auch in den USA von erklärt pro-israelischen Autoren offen eingestanden. So hat der Direktor von »Foreign Policy«, David Rothkopf, Iran als »die große Ablenkung« für Netanjahu bezeichnet. Das Atomprogramm sei für Israel gegenüber dem Palästina-Konflikt und den großen Problemen aus dem »Arabischen Frühling« nur ein zweitrangiges und durchaus handhabbares Problem. Und Daniel Levy von der »New America Foundation« bezeichnet die ständigen Angriffsdrohungen als ein gezieltes Ablenkungsmanöver von der Palästina-Frage. Israel sei nicht etwa von existenziellen Ängsten getrieben, sondern wolle Washington langfristig auf einen Konfrontationskurs mit Iran festlegen. Damit würde die israelische Machtposition im Nahen Osten gefestigt und eine Friedenslösung mit den Palästinensern nachhaltig blockiert.

»Netanjahu zieht Raketen auf Tel Aviv Atomwaffen in Iran vor« schrieb die israelische Zeitung »Haaretz« am Mittwoch. In der Tat können die permanenten Untergangsbeschwörungen, die Netanjahu in den USA noch mit der Auschwitz-Anrufung dramatisierte, und die Verantwortungslosigkeit einer unkalkulierbaren Angriffsdrohung nur mit der Ablenkung von Bedrohungen erklärt werden, die viel tiefer und gefährlicher für die israelische Gesellschaft sind. Es wäre nicht das erste Mal, dass eine Regierung ihre größten Probleme durch das Anzetteln eines Krieges retten wollte.

* Aus: neues deutschland, 12. März 2012


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