Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

"Wir rufen die israelische Botschaft auf, ihre diskriminierende Politik aufzugeben"

Der Fall Firas Maraghy ist exemplarisch für die alltägliche israelische Politik. Drei Stellungnahmen zum Hungerstreik des Palästinensers Firas Maraghy in Berlin

Seit dem 26. Juli befindet sich der Palästinenser Firas Maraghy in einem Hungerstreik vor der israelischen Botschaft in Berlin. Die Gründe für diese Aktion hat Herr Maraghy in einem ausführlichen Brief benannt: Ihm geht es vor allem darum, sein und seiner Tochter Recht, jederzeit in seine Heimatstadt Jerusalem zurückzukehren und dort bzu leben, durchzusetzen. Wir haben seinen Brief hier dokumentiert: "Man will sie aus der Stadt herausekeln".
Im Folgenden dokumentieren wir drei Stellungnahmen, die sich mit dem Anliegen von Firas Maraghy solidarisch erklären:


Gegen die Verdrängung

Hungerstreik im Grunewald: Der Palästinenser Firas Maraghy kämpft für sein Recht, mit seiner Familie in Ostjerusalem leben zu dürfen. Israels Botschaft stellt sich quer

Von Rolf Verleger *


Seit mehr als zwei Wochen befindet sich Firas Maraghy im Hungerstreik vor der israelischen Botschaft in der Auguste-Viktoria-Straße in Berlin-Grunewald. Maraghy ist Palästinenser aus Ostjerusalem. Ostjerusalem ist seit Juni 1967 von Israel besetzt und mittlerweile annektiert; Palästinenser aus Ostjerusalem haben Bewegungsfreiheit in Israel, erhalten aber von Israel keine Staatsbürgerschaft. Nun verweigert die Botschaft der im Dezember 2009 geborenen Tochter von Herrn Maraghy, Zaynab, die Ausstellung eines »Laissez Passer«, des Reisedokuments für Ostjerusalemer Palästinenser. Dieses Papier und damit ihre Registrierung würde seiner Tochter das Recht auf ein Leben in Jerusalem verschaffen.

Das Personal der Konsularabteilung legte Firas Maraghy nahe, seiner Tochter einen deutschen Paß ausstellen zu lassen, da ihre Mutter – Firas Maraghys Frau – deutsche Staatsbürgerin ist. Mit einem deutschen Paß könnten jedoch israelische Grenzbeamte der kleinen Zaynab jederzeit die Einreise verwehren.

Zudem wurde Herrn Maraghy im Mai 2009 von den israelischen Behörden bedeutet, er werde sein Aufenthaltsrecht in Jerusalem verlieren, sollte er nicht spätestens im Mai 2011 für mindestens eineinhalb bis zwei Jahre nach Jerusalem zurückkehren. Außerdem weigerte sich die dortige Behörde, die Ehe der Maraghy zu registrieren. Wird die Ehe nicht eingetragen, bekommt Maraghys Frau wahrscheinlich keine Aufenthaltsgenehmigung in Jerusalem.

Unter diesen Umständen muß Firas Maraghy eine unzumutbare Entscheidung treffen. Er muß zwischen seiner Herkunftsfamilie und seiner Heimat in Ostjerusalem einerseits und seiner Familie in Berlin andererseits wählen. Um sein Recht auf ein Leben in Jerusalem nicht zu verlieren, wo seine Herkunftsfamilie seit mehr als 150 Jahren lebt, müßte sich Herr Maraghy von Ehefrau und Kind trennen.

Der Fall von Firas Maraghy ist exemplarisch für die alltägliche israelische Politik an Tausenden von Palästinensern. Seit Jahrzehnten führen die israelischen Behörden eine Verdrängungspolitik in den besetzten Gebieten und Ostjerusalem durch. Dies geschieht in einer Vielzahl von Fällen auf bürokratische Art und Weise, etwa indem Palästinenser, die ihre Häuser für einige Zeit verlassen hatten, ihre Aufenthaltsberechtigung mühsam unter Vorlage zahlreicher Dokumente nachweisen müssen wie zum Beispiel mit Quittungen über bezahlte Steuern aus den letzten zwanzig Jahren. Ihnen wird das Recht, nach Jerusalem zurückzukehren, abgesprochen, ihre israelische Krankenversicherung wird für unwirksam erklärt etc.

Im Stadtteil Silwan, wo Firas Maraghy geboren wurde, gaben die israelischen Behörden dem EL-AD-Verein, einer rechtsextremen Organisation, die Genehmigung, archäologische Grabungen unter den Häusern der Palästinenser zu unternehmen. Man versucht sich ihrer zu entledigen, indem man aus Silwan einen archäologischen Park macht.

Die Beamten im Innenministerium von Jerusalem, die Firas Maraghy erklärten, er besitze keine Rechte in seiner Heimat, leben selbst möglicherweise erst seit 15 Jahren in Israel. Sie beanspruchen diese Rechte, weil sie Juden sind und Herr Maraghy nicht. Wir als Juden in Deutschland, Nachkommen von Menschen, denen als Juden vom deutschen Staat die Staatsbürgerschaft entzogen wurde, schämen uns dafür, daß ein Staat, der sich als »Jüdischer Staat« bezeichnet, so mit unseren Mitmenschen umgeht.

Wir rufen daher die israelische Botschaft auf, ihre diskriminierende Politik aufzugeben, ihren Ermessensspielraum auszunutzen und der kleinen Zaynab Maraghy ein Laissez Passer auszustellen.

* Prof. Dr. Rolf Verleger ist Vorsitzender der Gruppe »Jüdische Stimme für gerechten Frieden in Nahost«.


Brief von Norman Paech an den Israelischen Botschafter in Berlin, Yoram Ben-Zeev

Hamburg, d. 10. August 2010

Sehr geehrter Herr Botschafter,


ich habe lange gezögert, Ihnen zu schreiben, da mir angesichts der Politik Ihrer Regierung gegenüber den Palästinensern in Israel und in den besetzten Gebieten zunehmend die Worte ausgehen. Was Ihre Regierung dem normalen demokratisch-rechtsstaatlichen Verständnis zumutet, ist offensichtlich auch den regierungstreuesten Medien in Deutschland so peinlich, dass sie es nur mit Schweigen übergehen können.

Es geht um die Familie von Herrn Firas Maraghy, die Ihre Regierung offensichtlich zu einem weiteren Beispiel ihrer Politik der definitiven Entarabisierung und Judaisierung Ost-Jerusalems zu machen beabsichtigt. Damit soll die Annexion Ost-Jerusalems, die den Makel der eindeutigen Völkerrechtswidrigkeit nicht los wird, mit dem grausamen Mittel der Vertreibung aus den Häusern und Zerstörung der Familien vollendet und unwiderruflich gemacht werden. Ist Ihre Regierung angesichts der eigenen furchtbaren Geschichte so vollkommen unempfindlich geworden gegenüber dem menschlichen Leid, welches durch den willkürlichen Raub der Heimat den eigenen Nachbarn angetan wird? Meint sie wirklich, mit diesen durch keine Rechtsordnung zu rechtfertigenden Mitteln dem eigenen Volk in einem letztlich rein jüdischen Staat eine friedliche und sichere Zukunft in der arabischen Welt des Mittleren Ostens zu garantieren?

Da ich nicht daran glauben will, dass Ihre Regierung keinem Argument der Vernunft und Menschlichkeit mehr zugänglich ist, bitte ich Sie eindringlich, bei Ihrer Regierung in Jerusalem eine Änderung ihrer Haltung gegenüber der Familie Maraghy herbeizuführen.

Vor genau einem Jahr schrieb ich das letzte Mal an Sie, damit sie die Ausreise von 12 Deutsch-Palästinensern aus Gaza ermöglichten, die dort ihre Verwandten besucht hatten. Nach langen quälenden Wochen gelang ihnen schließlich die Ausreise über den Grenzübergang in Rafah nach Ägypten. Eine solche Lösung ist für die Familie Maghir nicht möglich. Sie steht für die Bedrohung der ganzen palästinensischen Bevölkerung in Jerusalem. Sollte es nicht gelingen, ihr Heimatrecht zu bewahren, so wird dies nicht nur für die Familie unabsehbar traurige Folgen haben, sondern auch für Israel das Ziel einer friedlichen Zukunft in erträglicher Nachbarschaft zwischen den beiden Völkern in noch weitere Ferne rücken.

Mit vorzüglicher Hochachtung
Norman Paech

PS. Dass ich auch der Rechtfertigung, die gestern Ministerpräsident Netanyahu für den Angriff auf die Free Gaza-Flotille vor der israelischen Untersuchungskommission vorgetragen hat, nicht zustimmen kann, entnehmen Sie bitte meinem Gutachten, welches ich Ihnen beifüge.



"... weil er ein Mensch ist"

Die Berliner Gruppe »Israelis gegen die Besatzung« bekundete in einer am 10. August 2010 verbreiteten Erklärung ihre Solidarität mit Firas Maraghy:

Seit mehr als zwei Wochen macht Firas Maraghy einen Hungerstreik vor der israelischen Botschaft in Berlin, weil er keinen anderen Weg sieht, sein unveräußerliches Aufenthaltsrecht in seiner Heimatstadt Jerusalem durch den Staat Israel anerkannt zu bekommen.

Wir sind israelische Bürgerinnen und Bürger, die in Berlin wohnen und auf die Dienste der konsularischen Abteilung der israelischen Botschaft angewiesen sind: Unsere Pässe werden dort verlängert, Kinderpässe ausgestellt usw. Kürzlich versuchte jemand, seine beiden israelisch-jüdischen Töchter auszubürgern, doch dieses Recht wurde den Beiden durch die israelische Botschaft in Berlin abgesprochen. Wir dürfen uns so lange in Deutschland aufhalten, wie es das deutsche Gesetz erlaubt; unsere Rechte als Israelis bleiben dabei unberührt.

Weil wir Juden sind.

Firas Maraghy, einem Palästinenser aus Ostjerusalem, wurde das Residenzrecht abgesprochen, obwohl seine Familie seit mehr als 150 Jahren in Ostjerusalem wohnt, während unsere Familien zum großen Teil Migrationshintergrund in Israel haben. Da das seit Juni 1967 von Israel besetzte und später durch Israel widerrechtlich annektierte Ostjerusalem unter israelischer Herrschaft steht, ist die israelische Botschaft für Herrn Maraghys Anliegen zuständig. Die israelische Botschaft aber entzieht sich ihrer Verantwortung und legt Herrn Maraghy nahe, er solle seiner Tochter einen deutschen Paß ausstellen lassen, da ihre Mutter – also Herrn Maraghys Frau – deutsche Staatsbürgerin sei.

Weil er Araber ist.

Die israelischen Behörden behandeln auch andere Palästinenserinnen und Palästinenser auf diese Art, um die ethnische Säuberung Palästinas fortzusetzen. Palästinenser in den besetzten Gebieten werden gedrängt, ihre Wohnorte zu verlassen: Mehr als 55000, die Hebron wegen der gegen sie gerichteten Gewalt der israelisch-jüdischen Siedler verlassen haben, oder auch zahlreiche Ostjerusalemer Palästinenser, denen ihr Residenzrecht aberkannt wurde, da sie aufgrund eines bürokratischen Formfehlers ihren langjährigen Aufenthalt in der Stadt nicht nachweisen können.

Weil sie Palästinenser sind. (...)

Wir rufen die israelische Botschaft auf, ihre diskriminierende Politik aufzugeben und Zaynab Maraghy ein »Laissez Passer« auszustellen, wie es das Völkerrecht vorschreibt. Ferner fordern wir, daß Herr Maraghy sein Recht auf ein Leben in Jerusalem garantiert bekommt und die Drohung, ihm seine Papiere zu entziehen, zurückgenommen wird. Er hat einen Anspruch darauf, jederzeit nach Jerusalem zurückzukehren, egal wie lange er und seine Familie in Deutschland bleiben.

Wir fordern die israelische Botschaft in Berlin auf, Firas Maraghy so zu behandeln, als ob er Jude wäre, weil er ein Mensch ist.

Quellen: Der Beitrag von Rolf Verleger und die Stellungnahme der "Israelis gegen die Besatzung" sind in der "jungen Welt" vom 12. August 2010 dokumentiert; den Brief von Norman Paech erhielten wir durch einen Newsletter.


Zurück zur Israel-Seite

Zur Palästina-Seite

Zurück zur Homepage