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Jerusalem: Eine Stadt - zwei Hauptstädte?

Israel muss nachgeben - War Baraks Vorschlag ein erster Schritt?

Mehr als fünf Jahrzehnte, nachdem Israel seinen Regierungssitz gegen den Willen der UNO in die heilige Stadt der drei monotheistischen Weltreligionen verlegte, ringen Israelis und Palästinenser um die Zukunft Jerusalems, arabisch: Al Quds (El Kuds). Ministerpräsident Ehud Barak hat nun erstmals öffentlich erklärt, dass es in Jerusalem zwei Hauptstädte geben wird: Jerusalem und Al Quds (die arabische Bezeichnung) würden nebeneinander bestehen und die Hauptstadt Israels und der Palästinenser sein, sagte der Premier in einem Interview für die Zeitung "Jerusalem Post" am 27. September 2000. Schon früher hatte der palästinensische Präsident Yasser Arafat von einem "Nebeneinander nach dem Modell Rom/Vatikan" gesprochen. "Jerusalem und Al Quds werden Seite an Seite sein, wie zwei Hauptstädte", sagte Ministerpräsident Barak in dem Interview. Diese Formel sei ein wesentlicher Bestandteil eines Friedensabkommens, von dem er aber noch nicht wisse, ob es realisiert werde. Wenn das Abkommen zu Stande komme, bedeute dies das Ende des Konflikts und "die Anerkennung der Grenzen Israels durch die ganze Welt".

Palästinenser fordern Hauptstadt Jerusalem als Teil eines unabhängigen Staates

Die Palästinenser stellen etwa ein Drittel der Einwohner im heutigen Stadtgebiet Gesamt-Jerusalems. Sie wollen die palästinensische Fahne über Ostjerusalem als Hauptstadt ihres Staates sehen. "In Anerkennung des legitimen Rechts der Palästinenser auf einen unabhängigen Staat" hatte der verstorbene jordanische König Hussein 1988 die staatsrechtliche Ausgliederung des Westjordanlandes mit Ostjerusalem aus seinem Reich proklamiert. Bereits 1996 kursierten Berichte, nach denen der Stellvertreter Arafats, Mahmud Abbas (Abu Mazen), und der israelische Minister Yossi Beilin über die Möglichkeit verhandelten, eine palästinensische "Quasi-Haupstadt" im arabischen Vorort Abu Dis einzurichten. Damit, so das Konzept, könnten beide Seiten "das Gesicht wahren". Die Palästinenser dementierten dies. "Jerusalem ist mehr als Abu Dis", betonten sie.

Barak: Tempelberg kommt nicht unter palästinensische Souveränität

Indessen beharrt Barak weiterhin darauf, dass der Tempelberg nicht unter palästinensische Souveränität komme. Die israelische Rechte wartet nur auf ein Stichwort, um eine Kampagne gegen die "neue Teilung Jerusalems" zu lancieren, wie der von schweren Ausschreitungen gekennzeichnete Tempelberg-Besuch von Oppositionschef Ariel Sharon am Donnerstag, den 28.09.2000, gezeigt hat. Ägyptens Präsident Hosni Mubarak hatte den Israelis und Palästinensern einen Kompromissvorschlag unterbreitet, der eine geteilte Souveränität auf dem Tempelberg vorsieht. Das Gebiet, auf dem sich die Al-Aksa- und Felsendom-Moscheen befinden, sollte unter palästinensische, das Gebiet der Klagemauer und ihrer Umgebung unter israelische Souveränität kommen.

Delegationen Israels und Palästinas setzen ihre Beratungen über den Nahost-Friedensprozess in den USA fort.

Unterhändler der beiden Seiten trafen am Mittwoch, den 27.09.2000, an einem geheim gehaltenen Ort nahe Washington mit dem US-Nahost-Koordinator Dennis Ross zusammen. Ein neuer Kompromissvorschlag sieht dem Vernehmen nach vor, den Tempelberg unter internationale Aufsicht zu stellen. - Scharon wuste also mit seiner Provokation am Tempelberg am 28. September genau, was er tat: Eine - aus seiner Sicht: drohende - Teilvereinbarung über den Status Jerusalems sollte verhindert werden.Das Manöver ist bisher geglückt. Die vielen Toten und Verwundeten scheren den israelischen Hardliner nicht.

Informationen: Der Standard, 29.09.2000

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