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Gnadenloser Abriss

In Lod (Israel) zerstörten die Behörden die Häuser von 67 Menschen

Von Martin Lejeune, Lod *

Im arabischen Viertel der Stadt Lod hat die »Israel Land Administration« sieben Häuser von Beduinen abgerissen – ein politischer Skandal und eine soziale Grausamkeit. Inzwischen debattiert auch das israelische Parlament, die Knesset, das rabiate Vorgehen der Behörde, durch das 67 Menschen obdachlos wurden.

Die 12-jährige Laila Abu Eid schreibt mit blauem Filzstift ihre Hausaufgaben auf die weiße Plastikplane einer Zeltwand. »Ich löse die Rechenaufgabe an der Zeltwand, weil meine Schreibhefte und Schulbücher unter den Trümmern unseres Hauses verborgen liegen«, erklärt das Beduinenmädchen. Mit ihm wurden weitere 66 Mitglieder der Abu-Eid-Großfamilie obdachlos, als ihre Häuser abgerissen wurden.

Die »Israel Land Administration« (ILA) ist eine 1960 gegründete Regierungsorganisation, die 19 508 Quadratkilometer Land verwaltet, 93,5 Prozent der Fläche Israels. Neben dem Staat ist der größte Eigentümer dieses Bodens der 1901 gegründete Jewish National Fund (JNF), der jederzeit durch die ILA Gebäudezerstörungen auf seinem Grund ausführen lassen kann. Der JNF erkennt die von den Abu Eids errichteten Wohnhäuser nicht an. Daraufhin ordnete die ILA den sofortigen Abriss an, trotz laufender Verhandlungen über den rechtlichen Status der Immobilien. »Eine Abrissverfügung sollte das letzte und nicht das erste Mittel in einem baurechtlichen Streit sein«, sagt die jüdische Rechtsanwältin Lea Tsemel aus Jerusalem, die seit über 40 Jahren die Interessen von Palästinensern vertritt.

Die Abu Eids sind 1948er-Palästinenser und gehören zu den etwa 200 000 arabischen Flüchtlingen mit israelischem Pass, die seit den Vertreibungen bei der Staatsgründung Israels nicht auf ihr Land im Norden zurückkehren dürfen. Seither leben die Flüchtlinge in selbst errichteten Häusern am Rande der Stadt Lod, wenige Kilometer entfernt vom internationalen Ben-Gurion-Flughafen.

Hier muss die Familie nun am Ort der Zerstörung in notdürftig errichteten Zelten hausen, in denen der Staub des Bauschutts wirbelt und es nicht nur an Wasser und Strom mangelt. Die acht Zelte, sieben Wohnzelte und ein Diwan-Zelt, in dem ein Gaskocher und ein Dutzend Plastikstühle stehen, konnten durch eine Spendensammlung in der Nachbarschaft angeschafft werden.

Aus dem ganzen Land kommen Abgesandte der Beduinenstämme nach Lod, um den Abu Eids ihr Mitgefühl und ihre Solidarität auszudrücken. Die Szenerie ähnelt einem Schlachtfeld. Die Bagger mit Abrissbirne und Hydraulikhammer und die Planierraupen der ILA haben ihr Zerstörungswerk gründlich getan. Am 13. Dezember waren sie bei strömendem Regen angerückt. Nur einen Straßenzug weiter, auf der Rehov Tzahal, fahren Busse und Taxis, dort ist die Welt scheinbar völlig in Ordnung.

»Wie können Männer, die selber Väter von Kindern sind, anderen Menschen so etwas antun?«, fragt Samir, Lailas Vater. »Es ist schlimm für mich als Vater, wenn ich meinen Kindern plötzlich nicht mehr ihre elementarsten Bedürfnisse wie ein Dach über dem Kopf erfüllen kann.«

Auch llan Harari, Bürgermeister von Lod, ist erbost über das Vorgehen. »Die Zerstörung der Gebäude war eine humanitär nicht vertretbare Maßnahme.« In einem Brief an ILA-Direktor Yaron Bibi, der ND vorliegt, schreibt Harari: »Ich fordere Sie dringend auf, das Problem der obdachlosen Familie zu lösen. Angesichts Ihrer Zerstörungen sind 32 Kinder in meiner Stadt ohne Obdach, davon 27 Kleinkinder.«

Doch genau das Gegenteil ist der Fall. Die »Jerusalem Post« berichtete am Dienstag (21. Dez.) , dass die ILA bereits am Mittwoch (22. Dez.) wiederkommen wolle, um auch die provisorisch errichteten Notunterkünfte zu zerstören. Auch habe die ILA 100 weitere Wohneinheiten in Lod für die kommenden Tage zum Abriss freigegeben. 4000 Häuser sollen in den kommenden Monaten folgen.

Bibi wollte sich dazu gegenüber ND nicht äußern. »JNF und ILA wollen Lod und andere Städte durch die Zerstörung arabischer Häuser judaisieren – unter dem Vorwand fehlender Baugenehmigungen«, kritisiert im Gespräch mit ND der Knesset-Abgeordnete Ahmed Tibi von der Vereinigten Arabischen Liste. »Damit macht die ILA diese Familien erneut zu Inlandsflüchtlingen.« Ahmed Tibi will daher das Thema noch in dieser Woche in die Knesset einbringen.

* Aus: Neues Deutschland, 23. Dezember 2010


Hilfswerk der Vereinten Nationen für Palästina-Flüchtlinge im Nahen Osten verurteilt Hauszerstörungen

Israeli demolitions traumatic for Palestinian children, says UN official

23 December 2010 – A senior United Nations official today condemned the demolition of two refugee homes in East Jerusalem, stressing in particular the trauma caused to Palestinian children forced to witness their homes being destroyed.

“These condemnable acts have a devastating impact,” Barbara Shenstone, the West Bank Field Director for the UN Relief and Works Agency for Palestine Refugees in the Near East (UNRWA), said in a news release.

“I call on the Israeli authorities to cease demolitions and evictions in occupied areas which are in contravention of Israel’s obligations under international law, including the UN Convention on the Rights of the Child, to which Israel is a party.”

The nine-member extended Subuh family, whose home in the Ras Al Amud district of East Jerusalem was destroyed on 21 December, has been living at the location of their demolished home in two tents.

The Jerusalem Municipality gave the family just one day to destroy their home and threatened to demolish the house in 24 hours unless they complied. The family destroyed the house themselves at a cost of 60,000 new Israeli shekels rather than pay the Municipality to do so, which costs twice as much.

Also under orders from the Jerusalem Municipality, the four-member al Shukiwi family destroyed their home in the Ath Thuri district of East Jerusalem on 19 December.

Ms. Shenstone noted that while children around the world are enjoying the holiday season in their homes, the children from these families have suffered the trauma and indignity of watching their homes being destroyed.

After witnessing the demolition of his home, one of the children, aged two, said “all I want to do is die.”

The UN says there has been an almost 45 per cent increase in demolitions in 2010, during which 396 Palestinian structures were demolished in East Jerusalem and other areas under full Israeli control in the West Bank, as compared to 275 in 2009. As a result, 561 people have been displaced, including 280 children, and the livelihoods of over 3,000 people have been affected.

UNRWA, which is assisting some 4.7 million Palestinians in the occupied Palestinian territory, Jordan, Lebanon and Syria, has provided emergency food assistance, cash and social worker support to the families uprooted by the recent demolitions.

Yesterday the UN Humanitarian Coordinator for the occupied Palestinian territory, Maxwell Gaylard, criticized Israel’s demolition of Palestinian homes, which he said have a “severe social and economic impact” on the lives and welfare of Palestinians and increase their dependence on humanitarian assistance.

“The position of the United Nations remains that the Government of Israel must take immediate steps to cease demolitions and evictions in the West Bank, including East Jerusalem,” he said in a statement that was issued as he visited the site of the house of the Subuh family that was demolished the previous day.

** Quelle: UN News Centre, 23 December 2010; www.un.org




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