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Israelkritik mit Folgen

SPD-Chef Sigmar Gabriel sucht nach Apartheid-Vergleich das Gespräch mit Zentralrat der Juden

Von Aert van Riel *

Der Zentralrat der Juden hat SPD-Chef Sigmar Gabriel für seine Äußerung während einer Nahostreise, in Hebron herrsche ein Apartheidregime, scharf kritisiert. Gabriel will nun in Gesprächen mit dem Zentralrat und dem israelischen Botschafter »Missverständnisse ausräumen«.

Nach seinen umstrittenen Äußerungen über die Zustände in der Stadt Hebron im Westjordanland sucht Sigmar Gabriel nun das Gespräch mit seinen Kritikern. Gestern schrieb der SPD-Vorsitzende im sozialen Netzwerk Facebook, dass er mit dem Präsidenten des Zentralrats der Juden, Dieter Graumann, und dem israelischen Botschafter in den kommenden Tagen zusammenkommen werde, um »Missverständnisse auszuräumen«.

Die »Missverständnisse« waren während einer sechstägigen Nahostreise von Gabriel entstanden, die am Freitag (16. März) zu Ende ging. Dabei besuchte er auch die Stadt Hebron. Dort leben rund 167 000 Palästinenser und mehr als 500 jüdische Siedler. Tausende Palästinenser sind in ihrer Bewegungsfreiheit stark eingeschränkt. Die Stadt war in den vergangenen Jahrzehnten auch zum Schauplatz grausamer Massaker geworden, die Araber an Juden und Juden an Arabern verübten.

Auf seiner Facebook-Seite schrieb der Sozialdemokrat nach dem Aufenthalt in Hebron am Mittwochmorgen: »Das ist für Palästinenser ein rechtsfreier Raum. Das ist ein Apartheidregime, für das es keinerlei Rechtfertigung gibt.«

Nur etwa zweieinhalb Stunden später war Gabriel offenbar die Tragweite seines Statements bewusst geworden. Auch aufgrund der vielen wütenden Kommentare auf der Internetseite bemühte er sich um Schadenbegrenzung. So bezeichnete sich der SPD-Mann selbst als »Freund Israels«. Und Freunden tue man keinen Gefallen, »wenn wir unsere Kritik immer nur in diplomatischen Floskeln verstecken«. Gabriel kritisierte auch die Raketenangriffe aus den »palästinensischen Gebieten«. »Aber das ist keine Rechtfertigung für die Fortsetzung einer Siedlungspolitik, wie man sie speziell in Hebron erlebt«, so Gabriel.

Von seiner Begriffswahl wollte sich der SPD-Vorsitzende indes nicht eindeutig distanzieren. Der »drastische Begriff« Apartheidregime sei ihm einfach bei den Gesprächen und Besichtigungen in Hebron eingefallen. Er habe jedoch nicht Israel mit dem Apartheidregime in Südafrika gleichsetzen wollen. Dies sei ein »Missverständnis« gewesen. Wie man sein Statement sonst interpretieren kann, dürfte Gabriels Geheimnis bleiben.

Scharfe Kritik an den Äußerungen des SPD-Vorsitzenden sowie seinem Anliegen, die im Gazastreifen regierende radikalislamische Hamas an Verhandlungen zu beteiligen, übte der Zentralrat der Juden in Deutschland. »Was Gabriel hier geäußert hat, ist vollkommen verunglückt«, sagte Zentralratspräsident Dieter Graumann. Es sei ein moralisches Ungleichgewicht, einerseits Verhandlungen mit der Hamas zu fordern, die die Juden ausdrücklich weltweit vernichten wolle, und gleichzeitig Israel als »Apartheidregime« zu verunglimpfen. Auch Gabriels Klarstellung auf Facebook sei keine Korrektur, sondern eine »Verschlimmbesserung«. »Wir empfinden Empathie mit dem Leid von allen Menschen in der Region. Herr Gabriel ist ein Mann mit großem Engagement, mit einem großen Herzen und großen Gefühlen. Gerade dafür schätze ich ihn sehr. Wenn er nach Hause kommt, sollte er aber mit kühlem Kopf seine unhaltbaren Äußerungen doch wieder klar zurechtrücken«, sagte Graumann.

Die CDU forderte Gabriel auf, sich von seinen Äußerungen zu distanzieren. Der SPD-Chef müsse sich »für seinen verbalen Totalausfall schnellstmöglich entschuldigen«, so Generalsekretär Hermann Gröhe.

* Aus: neues deutschland, 17. März 2012


Kein Vermittler

Von Aert van Riel **

Nach eigenen Worten hat Sigmar Gabriel versucht, seinem Zorn über die bedrückenden Lebensumstände der Palästinenser in der Stadt Hebron im Westjordanland Ausdruck zu verleihen. Doch vieles spricht dafür, dass der indirekte Vergleich, den er zwischen der israelischen Politik in den Palästinensergebieten und der des Apartheidregimes in Südafrika gezogen hat, kein spontaner emotionaler Ausbruch war. Denn der SPD-Vorsitzende fuhr während seiner gesamten Nahostreise eindeutig einen pro-palästinensischen Kurs. Gabriel brachte Gespräche mit der Hamas ins Spiel und stellte in Aussicht, dass eine von den Sozialdemokraten geführte Bundesregierung nicht Nein zu Palästina sagen werde, wenn in der UN-Vollversammlung über einen solchen Antrag abgestimmt würde. Beides hatte die schwarz-gelbe Bundesregierung bisher abgelehnt.

Gabriel wollte vor allem an außenpolitischem Profil gewinnen und Perspektiven für eine andere Nahostpolitik aufzeigen. Doch mit dem Apartheid-Vergleich hat sich der SPD-Chef nicht nur als sachlicher Vermittler zwischen den Konfliktparteien im Nahen Osten disqualifiziert. Auch in der eigenen Partei dürfte seine Äußerung noch Folgen haben. So wird bei der Auswahl des SPD-Kanzlerkandidaten für die Bundestagswahl im kommenden Jahr auch dessen Ansehen bei den wichtigsten Verbündeten Deutschlands im Ausland eine Rolle spielen. Hierbei konnte Gabriel keine Pluspunkte sammeln. Stattdessen hat er in Israel und wohl auch in den USA viel Kredit verspielt.

** Aus: neues deutschland, 17. März 2012 (Kommentar)


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