Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Abgeschottetes Land

Hintergrund. Israel setzt im Umgang mit Flüchtlingen auf Kriminalisierung und rüstet seine Grenze zu Ägypten weiter auf

Von Annette Groth und Sofian Philip Naceur *

Nachdem wir dieses Jahr Monate hatten, in denen Tausende Eindringlinge unsere Grenzen überquert haben, hat seit einigen Monaten kein Eindringling mehr Eilat, Be’er Sheva oder Tel Aviv erreicht.« Mit diesen Worten kommentierte Israels Premierminister Benjamin Netanjahu Ende Dezember die neuesten Zahlen zur illegalen Einwanderung. Noch im Januar 2012 registrierten israelische Behörden 2295 illegale Grenzübertritte von Ägyptens Sinai-Halbinsel aus, im Dezember 2012 waren es nur noch 36 Menschen, die die hochgerüstete Südgrenze Israels überquerten. Mit »Eindringlingen« meint Israels alter und wohl auch neuer Premier im übrigen Flüchtlinge, Asylbewerber oder einfach nur Migranten.

Der Begriff »Eindringling« hat inzwischen seinen festen Platz in der kontroversen Debatte um die verstärkte Einwanderungsbestrebungen von Flüchtlingen aus Ostafrika nach Israel. Sogar in Regierungserklärungen und Reden in der Knesset, dem israelischen Parlament, wird pauschal von »Eindringlingen« gesprochen. Der Begriff wird auch in Gesetzestexten konsequent angewandt. Nach Aussagen von Maike Hansel, einer Mitarbeiterin der in Tel Aviv ansässigen Hilfsorganisation »Hotline für migrantische Arbeiter«, wird »Eindringling« als »neutrales Wort« im öffentlichen Diskurs benutzt. Die Hotline veröffentlichte im Sommer 2012 einen Bericht über die rassistische und populistische Stimmungsmache israelischer Politiker gegenüber Migranten. Einige Politiker verleumdeten die Asylsuchenden noch schärfer: Der Knesset-Abgeordnete Danny Danon von der Likud-Partei bezeichnet die »Eindringlinge« als »Bedrohung für Israel« und eine »nationale Plage« und fordert ihre Verhaftung, Internierung und Abschiebung, »bevor es zu spät ist«. Begriffe wie »Krebsgeschwür«, oder »Bedrohung der nationalen Sicherheit« sind keine Seltenheit.

Hansel verweist auf die Äußerung von Innenminister Eli Yishai von der ultraorthodoxen Schas-Partei, der fordert, »alle Sudanesen verhaften und abschieben« zu lassen. Daß Israel und Sudan keine diplomatischen Beziehungen unterhalten, die für Direktabschiebungen aber nötig sind, scheint ihn nicht zu interessieren. Die umstrittene Sammelabschiebung von 250 Südsudanesen nach Juba im Juni 2012 – Israel erkannte den Staat Südsudan schnell an und begann zügig mit Abschiebungen dorthin – kommentierte Yishai mit den Worten, sie sei »nur ein Tropfen auf dem heißen Stein, aber immerhin ein Anfang«.

2012 haben nach Angaben der Regierung 9207 »Illegale« Israel verlassen, darunter 3920 Menschen aus Afrika. Die meisten von ihnen wurden abgeschoben.

Inzwischen gibt es vermehrt rassistische und auch gewalttätige Übergriffe gegen Ausländer in Israel. Die Brandanschläge auf vier Wohnhäuser von Flüchtlingen aus Eritrea und dem Sudan sowie auf einen Kindergarten in Shapira im Süden Tel Avivs im April 2012 waren nur die Spitze des Eisberges.

Ganze acht Asylanträge bewilligt

Das Phänomen der »illegalen Migration« aus Afrika ist in Israel noch relativ jung und muß nicht zuletzt auch als Resultat der EU-Abschottungspolitik im Mittelmeerraum gesehen werden. Flüchtlinge aus Ostafrika, vor allem aus dem Sudan und Eritrea, lassen sich von Schleppern nach Ägypten bringen, um von dort aus nach Libyen weiterzureisen und dann die Überfahrt nach Malta oder Italien zu wagen. Das 2008 geschlossene Freundschaftsabkommens zwischen Rom und Tripolis sah eine enge migrationspolitische Kooperation beider Staaten bei der Grenzüberwachung im Mittelmeer in Form gemeinsamer Grenzpatrouillen und einer Modernisierung der libyschen Küstenwache durch Italien vor. Seither ist die Fluchtroute durch Libyen versperrt. Viele in Ägypten lebende Flüchtlinge weichen seither nach Osten aus und lassen sich von Schleusern auf den Sinai und an Israels Grenze schmuggeln.

Seit 2006 sind rund 60000 Menschen vornehmlich aus Ostafrika über die ägyptische Sinai-Halbinsel nach Israel eingewandert. Nach Angaben der israelischen Bevölkerungs-, Einwanderungs- und Grenzbehörde haben 2006 rund 1300 Menschen die ägyptisch-israelische Grenze überquert, 2011 waren es bereits 17175, davon kamen 96 Prozent aus dem Sudan oder Eritrea. Aufgrund der lange vorherrschenden Praxis des israelischen Grenzschutzes, aufgegriffenen Flüchtlingen und Migranten nach Registrierung und Erstbefragung ein Busticket nach Tel Aviv auszustellen, lebt die Mehrzahl der nach Israel eingereisten Flüchtlinge in den ärmeren Stadtvierteln im Süden der Stadt nahe des Zentralen Busbahnhofs. Viele der in Israel lebenden Migranten sind obdachlos und schlafen im Lewinsky-Park, einer öffentlichen Parkanlage in der Nähe des Busbahnhofs. Arbeitslosigkeit, prekäre Aufenthaltsbedingungen und die ständige Angst, von israelischen Behörden aufgegriffen, inhaftiert und abgeschoben zu werden, bestimmen das Leben von Flüchtlingen in Israel.

Die israelische Regierung verfolgt trotz Unterzeichnung und Ratifizierung der Genfer Flüchtlingskonvention von 1951 eine restriktive Asyl- und Migrationspolitik und gewährt nur wenigen Menschen den Flüchtlingsstatus. Die Anerkennungsquote bei Asylgesuchen lag 2009 bei rund 0,24 Prozent, 2010 noch niedriger. 2011 hat das Innenministerium von den 990 Asylanträgen lediglich acht bewilligt. Die weltweite Anerkennungsquote für Asylbewerber aus Eritrea liegt bei rund 85 Prozent und bei Menschen aus dem Sudan bei über 70 Prozent. Menschen aus Eritrea, dem Sudan, der Demokratischen Republik Kongo und der Elfenbeinküste werden in Israel jedoch grundsätzlich aus dem Asylverfahren ausgeschlossen und unterliegen einem Sonderstatus, dem »vorläufigen Gruppenschutz«.

Etwa vier Fünftel der derzeit in Israel lebenden Flüchtlinge kommen aus dem Sudan oder Eritrea; sie fallen damit unter diesen »Gruppenschutz«. Dieser Status schützt Flüchtlinge vor der Abschiebung und erkennt implizit an, daß den Menschen in ihren Heimatländern Verfolgung oder Gefahr droht, doch bedeutet er im praktischen Sinne lediglich eine »beschränkte Freilassung aus der Haft«. Bei Zuwiderhandlungen gegen die gesetzlichen Auflagen ist jederzeit eine erneute Inhaftierung möglich. Flüchtlinge mit diesem Status haben keinerlei Zugang zum öffentlichen Sozial- oder Gesundheitssystem, Arbeitsgenehmigungen werden nicht erteilt. Die Menschen werden damit konsequent und strukturell in die Illegalität getrieben, da sie weder Unterstützung vom Staat noch Arbeitserlaubnisse erhalten.

Das Allernotwendigste

In Tel Aviv gibt es mehrere Menschenrechtsorganisationen, die in der Flüchtlingshilfe tätig sind. Neben Hilfestellung beim Umgang mit den Behörden setzen sich die Organisationen für die Rechte der aus dem sozialen Sicherungsnetz Ausgeschlossenen ein. Das »Entwicklungszentrum für afrikanische Flüchtlinge« (ARDC) ist die erste Anlaufstelle für Flüchtlinge in Tel Aviv. Die Organisation bietet rechtliche Beratung und Aufklärung über das Asylsystem in Israel sowie erste medizinische und psychologische Betreuung an. Das ARDC unterhält mehrere Wohnungen in unmittelbarer Nähe des Busbahnhofs, in denen Menschen für einige Zeit unterkommen können. Zudem gründete das ARDC 2009 ein Trainingscenter für Flüchtlinge, in dem Sprachkurse und administrative Hilfe im Umgang mit israelischen Behörden angeboten werden.

Auch die Regierung betreibt zwei Unterkünfte für Opfer von Zwangsprostitution und Menschenhandel in Tel Aviv, die je 35 Personen Platz bieten. Angesichts der seit Jahren ansteigenden Anzahl von Menschen, die auf dem Sinai Opfer von Menschenhändlern geworden sind, sind die Einrichtungen der Regierung und des ARDC allerdings überfüllt und die Wartelisten lang. Wie Shahar Shoham, Leiterin der Abteilung für Migration und Flüchtlinge bei der Menschenrechtsorganisation »Ärzte für Menschenrechte« (PHR), betont, sind bis zu 30 Prozent der seit Juni 2012 nach Israel eingewanderten Flüchtlinge auf dem Sinai Opfer von Folter, Erpressung, Vergewaltigung und Menschenhandel geworden. (siehe jW vom 25.1.2013)

Seit 2006 sollen bis zu 4000 Menschen die Greueltaten der Menschenhändler auf dem Sinai nicht überlebt haben. Die PHR geht davon aus, daß sich in Israel bis zu 7000 Überlebende der Folterkammern aufhalten. Shoham betont: »Die ägyptische Regierung hat die Verantwortung, den Menschenhandel auf dem Sinai zu stoppen. Aber es liegt auch in der Verantwortung Israels, die Opfer zu schützen.« Wie das israelische Justizministerium auf Anfrage bestätigt, gewährt der israelische Staat Opfern von Menschenhandel grundsätzlich das Recht auf Unterkunft, juristische Unterstützung und Arbeitsvisa. Die Praxis sieht jedoch anders aus. Von den bis September 2012 offiziell anerkannten 41 Opfern von Sklaverei hat bisher keines eine Arbeitsgenehmigung erhalten. Das Justizministerium habe die Anfragen für die Arbeitsvisa bereits vor zwei Jahren an die Einwanderungsbehörde weitergeleitet, aber bis heute keine Antworten erhalten.

Derweil bleibt die kleine Klinik der PHR in Tel Aviv die einzige Anlaufstelle für Flüchtlinge, um eine medizinischer Grundversorgung zu erhalten. Die PHR arbeitet mit mobilen Kliniken im Westjordanland und Gaza zusammen und betreibt in der Altstadt von Tel Aviv eine Klinik, in der Hunderte freiwillige Ärztinnen und Krankenpflegerinnen unentgeltlich Gesundheitsdienstleistungen anbieten. Da der überwiegende Teil der rund 60000 in Israel lebenden afrikanischen Flüchtlinge nach Lesart der israelischen Regierung nicht unter den Flüchtlingsstatus fällt, haben diese Menschen keinerlei Zugang zum israelischen Gesundheitssystem und sind auf Hilfe von NGOs angewiesen. Shoham betonte im November 2012, die Klinik und Räumlichkeiten der PHR seien derzeit ungewohnt leer, da aufgrund des neuen israelischen Einwanderungsgesetzes vom Januar 2012 und der Aufrüstung der Grenzanlage an der israelisch-ägyptischen Grenze deutlich weniger Menschen nach Israel einreisten. Auch kämen nur noch selten neu eingewanderte Flüchtlinge nach Tel Aviv, da Israels Armee aufgegriffene Flüchtlinge nicht mehr aus der Haft entließe.

»Gated Nation«

Die israelische Regierung setzt seit dem Ansteigen der »illegalen Migration« 2006 auf einen harten Kurs: Abschreckung, Abschottung, Internierung und Ausweisung sind die wesentlichen Merkmale israelischer Migrationspolitik. Seit November 2010 läßt die Regierung an der Grenze zu Ägypten einen 240 Kilometer langen und fünf Meter hohen Stacheldrahtzaun errichten. Die mit Bewegungsmeldern, Wärmebildkameras, Bunkeranlagen und Wachtürmen ausgerüstete Hochsicherheitsanlage, die vom Gazastreifen bis nach Eilat am Golf von Aqaba reicht, soll die südliche Grenze des Landes gegen die »illegale Migra­tion« abriegeln. Die Regierung nennt die Anlage »Sicherheitszaun«. Premierminister Netanjahu ließ sich im Januar 2013 auf dem Höhepunkt des israelischen Wahlkampfes per Militärhubschrauber an die Grenze fliegen, um die Fortschritte beim Bau der Anlage zu begutachten. Nur wenige Kilometer Zaun müssen im bergigen Umland der Grenzstadt Eilat noch errichtet werden, bis März 2013 soll er vollständig abgeschlossen sein. Israels Armee bestätigte derweil, daß an der Grenze zu Syrien an einem ähnlichen Projekt gearbeitet werde, im Sommer soll auch diese Anlage fertiggestellt sein.

Nach der Abriegelung des Gazastreifens, der Errichtung des Sperrwalls im Westjordanland und dem Bau einer ähnlichen Anlage an der Grenze zu Jordanien schließt Israel systematisch seine Außengrenzen und wird so nach und nach zu einer »Gated Nation«. Die Projekte sind obendrein auch arbeitsmarktpolitisch profitabel, nach Angaben der Armee sollen zuletzt rund 1000 Menschen beim Bau des Grenzzaunes an der israelisch-ägyptischen Grenze beschäftigt gewesen sein. Vor dem Hintergrund der wirtschaftlichen und sozialen Misere in Israel und der damals noch kurz bevorstehenden Parlamentswahlen, kamen dem Premierminister und seinem Parteienbündnis derartige Nebeneffekte nicht ungelegen. Die Regierung plant offenbar auch den Export der Überwachungsanlage. Indien, das seine Infrastruktur an den Grenzen zu Bangladesh und Pakistan modernisieren will, soll Interesse an israelischen Grenzsicherungssystemen angemeldet haben.

Illegale Rückführung

Relevant für die sinkenden Zahlen bei der »illegalen Einreise« dürfte auch der sogenannte Hot Return sein, also die Zwangsrückführung von in Israel aufgegriffenen Flüchtlingen nach Ägypten ohne Überprüfung von Asylgesuchen. Der »Hot Return« ist zwar 2011 nach Angaben des israelischen Militärs durch den Obersten Gerichtshof gestoppt worden, dennoch gibt es zahlreiche Berichte über die Fortdauer dieser Praxis, insbesondere im Jahr 2012. Neben dem Abfeuern von Warnschüssen, dem Einsatz von Tränengas und Metallstangen, um Menschen zurück auf die ägyptische Seite zu stoßen, ist wiederholt von Fällen berichtet worden, in denen israelische Soldaten Flüchtlinge auf ägyptischem Territorium festgesetzt und an Ägyptens Grenzschutz abgegeben haben. Nach Angaben der Hilfsorganisation »Hotline« ist der »Hot Return« eine »klare Verletzung des Nichtzurückweisungsprinzips«, welches die Abschiebung von Personen in Länder verbietet, in denen ihnen Verfolgung droht (Artikel 33 der Genfer Flüchtlingskonvention). Die Rückführung nach Ägypten ist eine Verletzung von Artikel 33, da Ägypten immer wieder Flüchtlinge nach Sudan und Eritrea abschiebt. »Mit anderen Worten, Israel lagert die Verletzung des Rückweisungsprinzips nach Ägypten aus«, schreibt die Zeitung Egypt Independent Die israelische Armee läßt mittlerweile nur noch die Menschen ins Land, die deutlich sichtbare Folterspuren am Körper aufweisen.

Das Grenzgebiet wird unterdessen auch von ägyptischer Seite offenbar weiter abgeriegelt. Nach einem Bericht der israelischen Internetseite DEBKAfile plant das ägyptische Militär die Errichtung einer Pufferzone an der Grenze zu Is­rael, um Übergriffe auf Israel effektiver verhindern zu können und die Mobilität von Flüchtlingen auf der Sinai-Halbinsel einzuschränken. Während ägyptische Sicherheitskreise die Gerüchte dementieren, ordnet DEBKAfile das Projekt als Teil des Waffenstillstandsabkommens zwischen Israel und der Hamas ein, das im November unter Vermittlung des ägyptischen Staatspräsidenten Mohammed Mursi in Kairo ausgehandelt wurde. Derweil versucht Ägyptens Armee, einen fünf Kilometer breiten Streifen an der Grenze zu Is­rael zum Sperrgebiet erklären zu lassen. Im Nordsinai machen Beduinen seit Monaten dagegen mobil und drohen Kairo mit einem Aufstand.

Human Rights Watch protestiert

Während die Landgrenze zwischen Israel und Ägypten hochgerüstet wird, hat die israelische Regierung im vergangenen Jahr die Einwanderungsgesetzgebung massiv verschärft. Im Januar 2012 verabschiedete das israelische Parlament mit großer Mehrheit das sogenannte Antiinfiltrationsgesetz. Neben der weiterhin verfolgten restriktiven Praxis der Behörden bei der Vergabe von Arbeitsvisa für Flüchtlinge und Asylbewerber verschärft das Gesetz die arbeitsrechtlichen Bestimmungen. Im Juni 2012 sagte die Knesset-Abgeordnete Miri Regev von der Likud-Partei: »Sie sind keine Flüchtlinge, sondern Gastarbeiter«. Premierminister Netanjahu fügte hinzu, die Arbeitsmigra­tion sei eine existentielle Angelegenheit für Israel. Angesichts dieser Stimmungsmache verwundert es kaum, daß das Gesetz drakonische Strafen für illegale Arbeit vorsieht. Arbeitgeber, die Menschen ohne Arbeitsvisa beschäftigen, müssen mit heftigen Geldstrafen rechnen. Wie Regierungssprecher Mark Regev ausführt, ist der arbeitsrechtliche Abschnitt des Gesetzes nur ein Teil einer ganzen Reihe von Maßnahmen, mit denen die Regierung die »wirtschaftlich motivierte illegale ­Migration« bekämpfen will. Am 25. Juli 2012 passierte eine Änderung des Antiinfiltrationsgesetzes das Parlament. Durch diese werden Flüchtlingen Geldtransfers ins Ausland verboten. Mit dreimonatigen Haftstrafen oder Geldstrafen in Höhe von rund 4000 Euro soll unterstrichen werden, daß es sich aus Sicht der Regierung bei Flüchtlingen und Asylbewerbern um Arbeitsmigranten handelt.

Das »Antiinfiltrationsgesetz« verschärft zudem den Umgang mit an der ägyptischen Grenze aufgegriffenen Neuankömmlingen. Es erlaubt die pauschale Inhaftierung »illegaler Einwanderer« für bis zu drei Jahre. Bei Menschen aus »Feindstaaten« wie dem Sudan ist gar eine unbefristete Verlängerung der Haft möglich. Da es sich bei dem Gesetz um eine Novellierung eines 1954 verabschiedeten Gesetzes handelt, welches das »Einsickern« von Palästinensern aus Syrien, Ägypten und Jordanien verhindern sollte, ist in dem Text durchgängig von »Eindringlingen« die Rede. Das Gesetz differenziert in keiner Weise zwischen bewaffneten Eindringlingen und Flüchtlingen und ist als migrationspolitisches Regelwerk völlig ungeeignet.

Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch und die Vereinten Nationen betrachten das »Antiinfiltrationsgesetz« als klaren Verstoß gegen die Genfer Flüchtlingskonvention und rufen Israel dazu auf, das Gesetz zu revidieren. Das israelische Innenministerium hat im Juni 2012 ungeachtet dessen begonnen, Flüchtlinge auf Grundlage der Novelle zu internieren. Seit die Regierung das Gesetz durch die Knesset gepeitscht hat, wird die Gefängnisinfrastruktur des Landes massiv ausgebaut. Das Verteidigungsministerium verkündete im Sommer 2012, bis Ende des Jahres über 25000 Zellen für »Eindringlinge« an fünf verschiedenen Standorten des Landes verfügen zu wollen. Der Gefängniskomplex Ktsiot nahe der Grenze zu Ägypten in der südlichen Negev-Wüste ist der wohl größte seiner Art und wird derzeit ausgebaut. Bis Ende 2013 soll in den vier Haftblöcken Platz für bis zu 16000 Menschen sein, das Gefängnis wäre damit die weltweit größte Flüchtlingshaftanstalt.

* Annette Groth ist menschenrechtspolitische Sprecherin der Fraktion Die Linke im deutschen Bundestag.
Sofian Philip Naceur ist Politikwissenschaftler und berichtet als freier Journalist aus Kairo und Algier. Zuletzt erschien am 25.1.2013 von beiden auf diesen Seiten »Verschleppt und gefoltert. Menschenhandel auf dem Sinai«.

Aus: junge Welt, Dienstag, 19. Februar 2013



Zurück zur Israel-Seite

Zur Seite "Migration, Flucht, Asyl"

Zurück zur Homepage