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Der Falke und Taktiker auf europäischer Werbetour

Gespräche in Berlin - ein nützlicher Ort, um Pläne publik zu machen

Von Roland Etzel *

Israels Ministerpräsident Netanjahu weilt seit Mittwoch (26. Aug.) zu einem zweitägigen Besuch in Berlin. Nach der gestrigen Begegnung mit Bundespräsident Horst Köhler steht heute ein Gespräch mit Bundeskanzlerin Angela Merkel auf dem Programm. Wichtigstes Thema ist, wie könnte es anders sein, die Zukunft des Friedensprozesses im Nahen Osten.

Benjamin Netanjahu als Gesprächspartner in Sachen Nahostfrieden - das hatten sich die führenden Länder EU-Europas nicht unbedingt gewünscht. Der Chef der Likud-Partei und, nach israelischen Verhältnissen, deutliche Sieger der Parlamentswahlen vom Februar ist für klare Ansagen bekannt und pflegt kein Blatt vor den Mund zu nehmen. Das nötigt zur Stellungnahme, was ja an sich etwas Positives wäre. Doch wer möchte schon uneingeschränkt Ja sagen zu Netanjahus Ansichten?

Traditionell werden israelische Politiker - je nachdem, ob in ihrer Politik Gesprächsbereitschaft oder Härte gegenüber den Palästinensern dominiert - zu Hause, aber seit langem auch im Ausland als Tauben oder Falken bezeichnet. Netanjahu hatte nie etwas dagegen, als Falke zu gelten; ja, er schien es, ausgestattet mit dem gewissen Maß an Eitelkeit, als Lob und Einordnung seiner politischen Ziele sogar zu genießen. Er war der erste Ministerpräsident Israels, der im Lande selbst geboren ist, und leitet daraus andere Grundsätze ab als etwa Staatspräsident Shimon Peres, der prinzipiell als Verfechter eines Arrangements mit den Palästinensern gilt. Netanjahu dagegen machte schon in seiner ersten Amtszeit von 1996 bis 1999 aus seiner Geringschätzung palästinensischer Forderungen keinen Hehl.

Es war eine Zeit herber Ernüchterung für Optimisten in Sachen Friedensprozess. Dessen Ko-Architekt auf israelischer Seite, Ministerpräsident Yitzhak Rabin, war von einem fanatischen Zionisten ermordet worden. Die folgenden Wahlen verlor Peres' Arbeitspartei - damals überraschend - gegen den als Hardliner auftretenden Netanjahu, und damit war das Ende des ohnehin kriselnden Oslo-Friedensprozesses eingeläutet.

Schon kurz nach seiner Wahl - im August 1996 - kündigte er einen Kernbestandteil des von Peres und Rabin eingeleiteten Prozesses der Vertrauensbildung gegenüber der Palästinenser-Führung unter Yassir Arafat auf: den Stopp des Siedlungsbaus, so dass sich die Zahl der auf illegal enteignetem palästinensischem Land lebenden »Siedler« in den folgenden fünf Jahren etwa verdoppelte. Das sogenannte Wye-Abkommen vom Oktober 1998, das Netanjahu noch mit Arafat unterzeichnete und das eine Schritt-für-Schritt-Umsetzung deeskalierender Maßnahmen zum Ziel hatte, war damit faktisch wertlos. Und nicht wenige inner- wie außerhalb Israels meinten, genau darauf habe es Netanjahu damals angelegt.

Zu diesen zählte auch der damalige US-Präsident. Bill Clinton - mit Peres, Rabin und deren Strategie in gutem Einvernehmen, wenn nicht gar wesentlicher Impuls dafür - fühlte sich von Netanjahu düpiert und vorgeführt. Die Folge war ein gespanntes Verhältnis zwischen beiden. Als Netanjahu 1999 nach einer Reihe von Skandalen und Vorwürfen vorgezogene Wahlen verlor, machte Clinton aus seiner Genugtuung darüber keinen Hehl.

Die heutige Konstellation ist der damaligen nicht unähnlich. US-Präsident Barack Obama bemüht sich, nach dem Scherbenhaufen, den die Nahostpolitik George W. Bushs auch für US-Interessen dort angerichtet hat, um konstruktive Angebote an die Muslime im allgemeinen und die Araber im Nahen Osten im besonderen. Dies ist nicht denkbar ohne eine deutliche Kursänderung in der Haltung der USA zum israelisch-palästinensischen Konflikt und würde ein Ende der Laissez-faire-Politik des Weißen Hauses gegenüber Israel bedeuten.

Allerdings trifft diese bereits vor der erneuten Regierungsübernahme Netanjahus verkündete Absicht Obamas auf eine israelische Regierung, die sich davon äußerlich bislang unbeeindruckt zeigt. Sie macht sogar Forderungen auf - wie die nach einer internationalen Anerkennung Israels als explizit »jüdischem Staat«, eine offensichtliche Deklassierung der palästinensischen Staatsbürger Israels, an die sich keiner seiner Vorgänger gewagt hat.

Dennoch scheint Netanjahu in einer besseren Position zu sein als in den 90ern. Er kann darauf verweisen, dass jene Forderung nicht direkt von ihm, sondern von seinem Außenminister Avigdor Lieberman kommt, der ihn in puncto Extremismus noch deutlich übertrifft. Netanjahu verkauft sich als das kleinere Übel, und nachdem die sozialdemokratische Arbeitspartei restlos abgewirtschaftet hat und die Kadima-Partei ein Muster an Unentschiedenheit abgibt, scheinen die momentanen Machtalternativen in Israel tatsächlich »Schlimm« (Netanjahu) oder »Schlimmer« (Lieberman) zu lauten.

Das zu akzeptieren, nötigt Netanjahu jetzt die Europäer. Er zwingt sie gewissermaßen, ihm nach Schamfrist mit einigem Zieren die Aufwartung zu machen. Nicht weniger.

Aber auch nicht mehr. Zum Verhandeln kommt Netanjahu nicht. Diese Position erlaubt er keinem einzigen EU-Europäer, und das lässt er sie auch spüren. Netanjahu verhandelt über den Nahen Osten, Politiker der Region ausgenommen, einzig mit US-Vertretern. Sowohl London - seine erste Reisestation - als auch Berlin sind für ihn deshalb in erster Linie nützliche Projektionsflächen für die Verkündung seiner politischen Vorhaben.

Die hat er. Um gute Miene zu den für ihn und Lieberman »bösen« Verhandlungen mit den Palästinensern kommt auch Netanjahu nicht herum. Das weiß er - und schlägt einen Gipfel mit Palästinenser-Präsident Mahmud Abbas unter Schirmherrschaft von Obama vor, wohl mit der nicht unbegründeten Hoffnung, dass Shake-hands-Bilder um die Welt gehen und für israelische Zugeständnisse gehalten werden.

Die Londoner »Financial Times« schrieb gestern: »In seiner vorherigen Regierungszeit hat der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu das Streben nach Frieden in Nahost zum puren Prozess gemacht: Er häufte ungelöste Konflikte auf, damit sie als Verhandlungen in der 'finalen Phase' geparkt werden konnten. Doch diese endgültigen Verhandlungen sollten niemals beginnen. Nun, unter dem Druck der Regierung von US-Präsident Barack Obama, hat Netanjahu die Taktik geändert - aber sein Ziel ist genau das gleiche.«

Appell an die Bundeskanzlerin

Aus Anlass des Empfangs von Angela Merkel für den israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu fordert die Organisation Internationale Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges, Ärzte in sozialer Verantwortung (IPPNW) von der Bundeskanzlerin, sich für die Freilassung inhaftierter Palästinenser einzusetzen. Mitunterzeichner sind neben IPPNW und vielen Einzelpersonen pax christi und die AG Globalisierung und Krieg von attac Deutschland. In der Erklärung heißt es u. a.:

Seit fast fünf Jahren demonstrieren Palästinenser, Israelis und internationale Aktivisten in Bil'in, Nil'in und anderen besetzten Ortschaften der Westbank gewaltfrei gegen den Bau der Mauer auf dem Gebiet ihrer Dörfer. Sie fordern die vollständige Rückgabe der Ländereien, die von Israel in Missachtung internationaler Verpflichtungen und der Menschenrechte annektiert worden sind. In den vergangenen Monaten hat die israelische Armee zunehmend Demonstranten inhaftiert und entführt. Mohammed Khatib vom Bürgerkomitee Bil'in ist unter Auflagen wieder auf freiem Fuß - aber 19 Palästinenser sind immer noch inhaftiert. (...)

Aus Anlass des Staatsbesuches wird die Forderung nach einer neuen Nahostpolitik an die Bundeskanzlerin bekräftigt, die sich am Völkerrecht orientiert und sich ernsthaft um einen dauerhaften Frieden zwischen den beiden Völkern bemüht. Insbesondere fordern wir die Bundesregierung auf, die Aufhebung der Blockade des Gazastreifens und das Ende der Besetzung des Westjordanlandes, Ostjerusalems und Gazas zu einem vordringlichen Ziel der deutschen Nahostpolitik zu machen, den Abbau der völkerrechtswidrigen Sperranlagen, Siedlungen und Checkpoints auf palästinensischem Gebiet im Westjordanland zu verlangen ..., sich für die Freilassung der politischen Gefangenen, darunter gewählte Parlamentarier, einzusetzen ...«


* Aus: Neues Deutschland, 27. August 2009


Sarkozy mahnt Netanjahu

Frankreich hält Wiederbelebung des Friedensprozesses für dringlich **

Israels Ministerpräsident Netanjahu will bei seinen bevorstehenden Gesprächen in Deutschland und Großbritannien für seine Position werben. Aus Frankreich erreichte ihn die Forderung, zum Friedensdialog zurückzukehren.

Kurz vor der Reise des israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu nach London und Berlin hat Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy eine Wiederaufnahme des Nahostfriedensprozesses angemahnt. In einem Telefonat mit Netanjahu habe Sarkozy am Sonntag (23. Aug.) »die Dringlichkeit einer entschlossenen Wiederbelebung des Friedensprozesses unterstrichen«, teilte die französische Präsidentschaft mit. Dabei sei auch über die »wünschenswerten Modalitäten« einer Wiederaufnahme des Nahostfriedensprozesses gesprochen worden.

Netanjahu sollte am gestrigen Montag (24. Aug.) in London eintreffen, wo er am heutigen Dienstag (25. Aug.) mit dem britischen Premierminister Gordon Brown und am Mittwoch mit dem US-Nahostgesandten George Mitchell zusammentreffen sollte.

Noch am selben Tage wird der israelische Regierungschef in Berlin erwartet, wo er am Donnerstag (27. Aug.) von Bundeskanzlerin Angela Merkel im Bundeskanzleramt empfangen wird. Es ist Netanjahus erster Besuch in Deutschland seit seiner Wahl im März.

Netanjahu hatte sich vergangene Woche auf Druck der USA bereiterklärt, den Ausschreibungsstopp für den Bau neuer jüdischer Siedlungen in den Palästinensergebieten bis 2010 zu verlängern. Die US-Regierung sieht in einem Stopp des Siedlungsbaus eine entscheidende Voraussetzung für die Wiederbelebung der Friedensgespräche mit den Palästinensern.

Israel hat nach Angaben von Wohnungsbauminister Ariel Attias seit Amtsantritt der rechtsorientierten Regierungskoalition Ende März keine neuen Bauvorhaben im Westjordanland genehmigt. Die Friedensbewegung Peace Now verweist in diesem Zusammenhang jedoch darauf, dass nur 40 Prozent der Bauvorhaben staatlich unterstützt werden und die restlichen 60 Prozent von den Siedlern oder siedlerfreundlichen Organisationen finanziert werden.

Die Nahostfriedensgespräche ruhen seit der israelischen Gaza-Krieg offensive gegen die Hamas im Gazastreifen Ende Dezember. Die Palästinenser lehnen vor allem die beiden Forderungen Netanjahus n ab, dass ein künftiger Palästinenserstaat demilitarisiert sein müsse und die Palästinenser außerdem Israel als jüdischen Staat anerkennen sollen.

Netanjahu will die Europäer den Angaben zufolge nun darum bitten, dass sie ihre guten Verbindungen zu arabischen Ländern nutzen, damit sich diese stärker im Friedensprozess engagieren. Weitere Schwerpunkte auf Netanjahus Agenda sind den Angaben zufolge das weitere Vorgehen im Atomstreit mit Iran sowie eine weitere Verbesserung des Verhältnisses zwischen der EU und Israel.

** Aus: Neues Deutschland, 25. August 2009


Schwarze Hymne

Israel provoziert mit fortgesetztem illegalen Siedlungsbau. Netanjahu vor Europareise

Von Karin Leukefeld ***


Israel setzt den Siedlungsbau in den besetzten palästinensischen Gebieten und Ostjerusalem fort. Seit 1967 hält Israel Ostjerusalem und die Westbank besetzt; der Siedlungsbau in diesen Gebieten ist nach dem Völkerrecht illegal. Die israelische Friedensorganisation »Peace Now« schreibt nun in ihrem Halbjahresbericht, daß seit Jahresbeginn 596 Wohneinheiten in der besetzten Westbank gebaut worden seien, darunter auch 96 »wilde Vorposten«, die von der israelischen Regierung zwar nicht akzeptier, aber auch nicht geräumt werden. Die Wohneinheiten seien sowohl Siedlungsblocks als auch Container, die zur Festigung bisher isolierter Siedlerkolonien errichtet wurden. 500000 illegale jüdische Siedler leben in der Westbank und Ostjerusalem. »Peace Now« untermauert den Bericht mit Fotos und Satellitenaufnahmen, die deutlich den Siedlungsausbau zeigen. Der neueste Plan sieht den Bau von weiteren 104 illegalen Wohneinheiten in Ostjerusalem vor, berichtete Yariv Oppenheimer, Sprecher von »Peace Now«, ein entsprechender Antrag sei von der Stadtverwaltung von Jerusalem bestätigt worden. Die Wohnungen sollen in Ras Al-Mud entstehen, einem arabischen Viertel der Stadt, wo derzeit rund 14 000 Palästinenser wohnen. Im israelischen Verteidigungsministerium bestätigte man »Peace Now« darüber hinaus die Bewilligung für den Bau von mehr als 40 000 neuen Wohneinheiten in den bereits bestehenden illegalen Siedlungen in der Westbank.

Erst vor wenigen Tagen hatte US-Präsident Barack Obama Israel gelobt, »Schritte in die richtige Richtung zu unternehmen«, nachdem Tel Aviv zugesichert hatte, bis Anfang 2010 keine neuen Bauvorhaben in der Westbank auszuschreiben. Allerdings habe »jeder Jude das Recht, überall und jederzeit im jüdischen Staat zu bauen«, so Netanjahu. Das gelte auch für Jerusalem, das von der israelischen Regierung als »historische und ungeteilte Hauptstadt eines jüdischen Staates« beansprucht wird. Kritik an ihrer Besiedlungs- und Vertreibungspolitik im besetzten Palästina akzeptiert man in Tel Aviv nicht, sondern verweist gern auf die »unabhängige israelische Rechtsprechung«. Die Vertreibung von Palästinensern aus Ostjerusalem sei nicht Regierungspolitik, sondern basiere auf »unabhängigen Gerichtsurteilen«, wie Regierungssprecher Mark Regev kürzlich in einem Interview mit dem Deutschlandfunk sagte.

Die USA kritisieren die israelische Siedlungspolitik als zentrales Hindernis für die Wiederaufnahme von Friedensverhandlungen zwischen den Palästinensern und Israel. Regierungschef Benjamin Netanjahu erklärte kurz vor seiner am Montag begonnenen Europareise, er könne sich Friedensverhandlungen mit der palästinensischen Seite nach der nächsten UN-Vollversammlung vorstellen, die Mitte September in New York beginnt. In London trifft Netanjahu den britischen Premierminister Gordon Brown sowie den US-Sondervermittler für den Mittleren Osten, George Mitchell. Anschließend reist Netanjahu weiter nach Berlin, wo ein Treffen mit Bundeskanzlerin Angela Merkel vorgesehen ist.

Der israelische Außenminister Avigdor Lieberman bezeichnete derweil die Vorstellung von US-Präsident Obama für Frieden im Mittleren Osten in den nächsten zwei Jahren als »unrealistisch«: »Als wir das Oslo Abkommen unterzeichneten, war eine Schlußvereinbarung nach fünf Jahren vorgesehen«, so Lieberman am Sonntag. Seitdem seien 16 Jahre vergangen, und »auch in 16 weiteren Jahren wird es kein Abkommen geben«.

Uri Avnery von »Peace Now« kritisierte die Äußerungen des stellvertretenden Ministerpräsidenten Moshe Ya'alon, der die Friedensorganisation als »Virus« diffamiert hatte. Nicht nur »Peace Now« sei ein Virus, sondern »alle Medien« und Intellektuellen, so Ya'alon weiter. Sie würden die öffentliche Meinung »verzerrt und verlogen« beeinflussen. Demonstrativ hatte Ya'alon in der vergangenen Woche einige der wilden Vorposten von Siedlern besucht und versichert, daß die Armee gegen sie nicht vorgehen werde. »Die Juden haben ein Recht, überall in Erez Israel zu siedeln«, so Ya'alon, der die Regierung kritisierte, den USA Entgegenkommen im Siedlungsbau signalisiert zu haben. »Immer, wenn die Politik die Friedenstauben fliegen läßt, müssen wir, die Armee, nachher den Dreck beseitigen«, sagte er. »Diese Töne brauen sich zu einer beängstigenden Melodie zusammen, die wir alle zu gut kennen«, kommentierte Uri Avnery. »Es ist die Hymne des Faschismus.«

*** Aus: junge Welt, 25. August 2009


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