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Gelbe Karte für Israel

Von Werner Pirker *

Die von Israel 1967 besetzten palästinensischen Gebiete sind kein Bestandteil des Staates Israel. Die Zollfreiheit für in Israel hergestellte Waren gilt daher nicht für Produkte aus jüdischen Siedlungen im besetzten Westjordanland. So lautet die am Donnerstag (25. Feb.) getroffene Feststellung des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) in Luxemburg. Damit wurde den deutschen Zollbehörden Recht gegeben, die auf die Lieferung von im Westjordanland produzierten Sprudelzubereitern Zölle erhoben hatten.

Die Firma Brita importiert Sprudelwasserbereiter sowie Getränkesirup von »Soda-Club«, einem im Industriegebiet Mischor Adumim im Westjordanland ansässigen Unternehmen. Die deutschen Zollbeamten hatten bei der Einfuhr Zweifel angemeldet, ob diese tatsächlich in Israel hergestellt worden seien. Auf die konkrete Frage antworteten die israelischen Behörden, die Waren stammten aus einer Zone, die unter israelischer Zollhoheit stehe. Daß damit das besetzte Westjordanland gemeint war, wollten die Israelis nicht bestätigen. Die Deutschen wiederum wollten sich nicht an der Nase herumführen lassen und erhoben Zölle in der Höhe von mehr auf 19000 Euro.

Dagegen klagte Brita vor dem Finanzgericht Hamburg, das sich an den Europäischen Gerichtshof wandte. Die Firma argumentierte, daß die Sprudelgeräte in jedem Fall zollbefreit seien, da es nicht nur zwischen der EU und Israel, sondern auch zwischen der EU und den palästinensischen Atonomiegebieten ein Zollfreiheitsabkommen gebe. Diese Ansicht wurde vom EuGH nicht geteilt. Als »Made in Israel« ausgewiesene Waren müßten auch in Israel produziert worden sein. Und dazu gehörten die besetzten palästinensischen Gebiete nicht.

In der Begründung des Urteils wird den Zollbehörden des Einfuhrmitgliedsstaates das Recht zugestanden, die Präferenzbehandlung zu verweigern, wenn die betreffenden Waren ihren Ursprung im Westjordanland haben. Ferner heißt es, daß die Zollbehörden »keine Wahlfeststellung treffen« könnten, »indem sie die Frage offenlassen, welches der in Betracht kommenden Abkommen, nämlich das Europa-Mittelmeer-Abkommen zur Gründung einer Assoziation zwischen den Europäischen Gemeinschaften und ihren Mitgliedsstaaten einerseits und dem Staat Israel andererseits und das am 24. Februar 1997 in Brüssel unterzeichnete Europa-Mittelmeer-Interimsassoziationsabkommen über Handel und Zusammenarbeit zwischen der der Europäischen Gemeinschaft einerseits und der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO) zugunsten der Palästinensischen Behörde für das Westjordanland und den Gazastreifen andererseits«.

Das Urteil ist insofern brisant, da die EU mit knapp 30 Prozent der Exporte der zweitwichtigste Handelspartner Israels nach den USA ist und ungefähr ein Drittel der israelischen Exportware ganz oder teilweise in den besetzten Gebieten hergestellt wird. Indirekt ließe sich das EuGH-Urteil auch als eine Verurteilung der illegalen israelischen Besiedlungspolitik auslegen.

Auf israelischer Seite wird argumentiert, daß die EU nicht darüber zu bestimmen hat, wo die Grenzen des israelischen Territoriums verlaufen, und Israel das Recht habe, Siedlungen in den besetzten Gebieten so zu behandeln, als wären sie Teil des eigenen Territoriums. In Wahrheit aber ist nicht nur die Besetzung der palästinensischen Gebiete völkerrechtwidrig, sondern auch der Transfer der eigenen Bevölkerung auf okkupiertes Territorium. Mit dem Anspruch, seine Grenzen nach eigenem Gutdünken zu bestimmen, stellt der zionistische Staat das internationales Recht als ganzes in Frage. Das EuGH-Urteil ist zwar eine begrüßenswerte Reaktion auf Israels völkerrechtswidrige Politik. Ernsthafte Sanktionen aber wird es wohl nicht nach sich ziehen.

* Aus: junge Welt, 26. Februar 2010


Erzeugnisse mit Ursprung im Westjordanland fallen nicht unter die Zollpräferenzregelung des Abkommens EG-Israel

Die Unionszollbehörden sind an die Bestätigung der israelischen Behörden, dass die in den besetzten Gebieten erzeugten Waren unter die Präferenzbehandlung fallen, die israelischen Waren gewährt wird, nicht gebunden

PRESSEMITTEILUNG des Gerichtshofs der Europäischen Union

Die Europäische Gemeinschaft hat nacheinander zwei Europa-Mittelmeer-Assoziierungs- abkommen geschlossen, das erste mit Israel (Abkommen EG-Israel [1]) und das zweite mit der Palästinensischen Befreiungsorganisation (Abkommen EG-PLO [2]) zugunsten der Palästinensischen Behörde für das Westjordanland und den Gaza-Streifen. Diese Abkommen sehen vor, dass gewerbliche Erzeugnisse mit Ursprung in Israel und den palästinensischen Gebieten frei von Zöllen in die Europäische Union eingeführt werden können und dass die zuständigen Behörden der Parteien zusammenarbeiten, um den genauen Ursprung der Erzeugnisse festzustellen, denen die Präferenzregelung gewährt wird.

Brita, eine deutsche Gesellschaft, führt Sprudelwasserbereiter sowie Zubehör und Getränkesirupe ein, die von einem israelischen Lieferanten, Soda-Club, erzeugt werden, dessen Produktionsstätte in Mishor Adumin im Westjordanland, östlich von Jerusalem, liegt.

Brita wollte von Soda-Club erzeugte Waren nach Deutschland einführen. Sie teilte den deutschen Zollbehörden mit, dass die Waren ihren Ursprung in Israel hätten, und ersuchte um Gewährung der Zollpräferenz nach dem Abkommen EG-Israel. Die deutschen Zollbehörden hatten den Verdacht, dass die Erzeugnisse aus den besetzten Gebieten stammten, und ersuchten die israelischen Zollbehörden, zu bestätigen, dass die Erzeugnisse nicht in diesen Gebieten hergestellt wurden.

Die israelischen Behörden bestätigten, dass die betreffenden Waren aus einer Zone stammten, die unter ihre Zollzuständigkeit fiele, sie beantworteten jedoch nicht die Frage, ob die Waren in den besetzten Gebieten hergestellt wurden. Daher lehnten es die deutschen Behörden schließlich ab, Brita die Zollpräferenz zu gewähren, weil nicht zweifelsfrei habe festgestellt werden können, dass die eingeführten Waren in den Anwendungsbereich des Abkommens EG-Israel fielen.

Brita erhob eine Klage gegen diese Entscheidung, und das Finanzgericht Hamburg legte dem Gerichtshof die Frage vor, ob Waren, die in den besetzten palästinensischen Gebieten hergestellt wurden und deren israelischer Ursprung von den israelischen Behörden bestätigt wurde, die Präferenzregelung nach dem Abkommen EG-Israel gewährt werden kann.

In seinem Urteil vom heutigen Tag stellt der Gerichtshof fest, dass jedes dieser beiden Assoziierungsabkommen einen eigenen räumlichen Geltungsbereich hat: Das Abkommen EG-Israel gilt für das Gebiet des Staates Israel, während das Abkommen EG-PLO für das Gebiet des Westjordanlands und des Gaza-Streifens gilt.

Das Völkerrecht untersagt es, einem Dritten, wie der Palästinensischen Behörde für das Westjordanland und den Gaza-Streifen, ohne seine Zustimmung eine Verpflichtung aufzuerlegen. Das Abkommen EG-Israel kann demnach nicht in dem Sinne ausgelegt werden, dass die palästinensischen Behörden verpflichtet sind, auf die Ausübung der Befugnisse zu verzichten, die ihnen durch das Abkommen EG-PLO übertragen wurden und die insbesondere die Ausstellung der Zolldokumente zum Nachweis des Ursprungs der im Westjordanland und im Gaza-Streifen hergestellten Waren betreffen.

Die Erzeugnisse mit Ursprung im Westjordanland fallen nicht in den räumlichen Geltungsbereich des Abkommens EG-Israel und folglich nicht unter die durch dieses Abkommen eingeführte Präferenzregelung. Folglich konnten die deutschen Zollbehörden den betreffenden Waren die Gewährung der Präferenzbehandlung nach diesem Abkommen verweigern, weil die Waren aus dem Westjordanland stammten. Der Gerichtshof weist auch die Ansicht zurück, dass die Präferenzregelung den israelischen Erzeugern, die in den besetzten Gebieten niedergelassen sind, jedenfalls gewährt werden müsse, sei es auf der Grundlage des Abkommens EG-Israel, sei es auf der des Abkommens EG-PLO. Waren, deren israelischer Ursprung von den israelischen Behörden bescheinigt wurde, kann die Präferenzbehandlung nach dem Abkommen EG-Israel nur unter der Voraussetzung gewährt werden, dass sie in Israel hergestellt wurden.

Was die Bestätigung der israelischen Behörden betrifft, dass die streitigen Waren aus Israel stammen, weist der Gerichtshof darauf hin, dass der Ursprung der Waren von den Behörden des Ausfuhrstaats bestimmt wird. Diese sind nämlich am besten in der Lage, die Tatsachen, von denen der Ursprung abhängt, unmittelbar festzustellen.

Demzufolge sind die Zollbehörden des Einfuhrstaats im Fall einer nachträglichen Prüfung durch die Zollbehörden des Ausfuhrstaats grundsätzlich an deren Ergebnisse gebunden.

Im vorliegenden Fall betraf die nachträgliche Prüfung nicht die Frage, ob die eingeführten Erzeugnisse vollständig an einem bestimmten Ort gewonnen oder dort in ausreichendem Maße be- oder verarbeitet worden waren, um als Ursprungserzeugnisse dieses Orts angesehen werden zu können. Die nachträgliche Prüfung betraf den Herstellungsort der eingeführten Erzeugnisse selbst, um zu beurteilen, ob diese Erzeugnisse in den räumlichen Geltungsbereich des Abkommens EG–Israel fallen. Die Union ist nämlich der Ansicht, dass die Erzeugnisse, die an Orten gewonnen wurden, die seit 1967 unter israelischer Verwaltung stehen, nicht unter die in dem Abkommen definierte Präferenzbehandlung fallen.

Trotz des ausdrücklichen Ersuchens der deutschen Behörden gaben die israelischen Behörden keine Antwort auf die Frage, ob die Erzeugnisse in den israelischen Siedlungen auf palästinensischem Gebiet hergestellt worden waren. Der Gerichtshof weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass die israelischen Behörden nach dem Abkommen EG-Israel verpflichtet sind, ausreichende Angaben zu machen, damit der tatsächliche Ursprung der Waren festgestellt werden kann.

Da die israelischen Behörden diese Verpflichtung verletzt haben, sind die Zollbehörden des Einfuhrmitgliedstaats an die Bestätigung dieser Behörden, dass die betreffenden Waren unter die israelischen Waren vorbehaltene Präferenzbehandlung fallen, nicht gebunden.

Fußnoten
  1. Europa-Mittelmeer-Abkommens zur Gründung einer Assoziation zwischen den Europäischen Gemeinschaften und ihren Mitgliedstaaten einerseits und dem Staat Israel andererseits, unterzeichnet in Brüssel am 20. November 1995 (ABl. 2000, L 147, S. 3).
  2. Europa-Mittelmeer-Interimsassoziationsabkommens über Handel und Zusammenarbeit zwischen der Europäischen Gemeinschaft einerseits und der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO) zugunsten der Palästinensischen Behörde für das Westjordanland und den Gaza-Streifen andererseits, unterzeichnet in Brüssel am 24. Februar 1997 (ABl. 1997, L 187, S. 3).
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Union, PRESSEMITTEILUNG Nr. 14/10, Luxemburg, den 25. Februar 2010; http://curia.europa.eu

Hier geht es zum vollen Wortlaut des Urteils (deutsch):
http://curia.europa.eu (externer Link)



Dokumentiert:

Absage an Annexionspolitik **

Der europapolitische und mittelstands­politische Sprecher der Bundestagsfraktion Die Linke, Diether Dehm, erklärt zum Urteil des Europäischen Gerichtshofes, das die Forderung des Sprudelherstellers »Soda-Club« auf Zollfreiheit zurückweist, weil der in den von Israel besetzten Gebieten produziert:

Der EuGH erteilt der faktischen Annexionspolitik des Westjordanlands durch Israel eine klare Absage. Das Urteil hat Signalwirkung: Hier geht es nicht nur um Sprudelwasser, hier geht es um das Völkerrecht und den Nahostkonflikt. Die Linke begrüßt das EuGH-Urteil ausdrücklich, denn es bedeutet ein klares Bekenntnis zu einer Zwei-Staaten-Lösung in den Grenzen von 1967 und stärkt die durch UN-Resolutionen und Verträge verbriefte Autorität der palästinensischen Autonomiebehörde. Der völkerrechtswidrigen israelischen Siedlungspolitik, die ungebrochen auf die faktische Annexion der palästinensischen Gebiete abzielt, wird dadurch ein wichtiges ökonomisches Instrument entzogen: In den Siedlungen hergestellte Waren dürfen nicht als israelische Exporte deklariert werden und fallen nicht unter das europäisch-israelische Zollfreiheitsabkommen.

Nun sind die EU-Mitgliedsstaaten gefordert, das Urteil konsequent umzusetzen. Tatsächlich bekräftigte der EuGH nur eine seit dem Abschluß des Zollabkommens 1995 gültige Rechtslage. Diese wurde aber selten eingehalten, da europäische Zollbehörden die Angaben »israelischer« Exporteure nicht prüften. Die Linke verlangt von der Bundesregierung, die Zollverwaltungen künftig anzuweisen, die Herkunftsangaben israelischer Produkte systematisch zu überprüfen und so der völkerrechtswidrigen Siedlungspolitik die ökonomische Grundlage zu entziehen.

* Aus: junge Welt, 26. Februar 2010




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