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Israel soll sich zu Besatzung bekennen

Regierung Netanjahu reagiert mit Empörung auf neue EU-Vergaberegeln

Von Oliver Eberhardt *

Die Europäische Union will Institutionen in israelischen Siedlungen ab 2014 von der Vergabe von EU-Fördergeldern ausschließen. Israels Mitte-Rechts-Regierung ist sauer. Sie sieht ihren Handlungsspielraum in der Palästinenserfrage eingeschränkt.

Die Wut, sein Zorn, sind auch heute, zwei Tage später, keinen Deut weniger geworden. »Die Europäische Union hat ihre Neutralität aufgegeben«, donnert Zeew Elkin, Abgeordneter des rechtskonservativen Likud-Blocks. »Sie will dem jüdischen Volk eine Sichtweise aufzwingen«, kommentiert der stellvertretende Außenminister eine Meldung in der Online-Ausgabe der israelischen Tageszeitung »Haaretz« von Dienstagnachmittag: Die EU-Kommission wolle an diesem Freitag eine neue Richtlinie über die Vergabe von Fördermitteln durch Institutionen der Europäischen Union an israelische Unternehmen und Einrichtungen veröffentlichen.

Das Papier, das der Zeitung vorab zugespielt wurde, hat es in sich. Künftig sollen die Empfänger des Geldes, also auch Regierungsstellen, unterschreiben, dass die Fördermittel nicht in den besetzten Gebieten verwendet werden. Also weder im Westjordanland noch auf dem Golan, noch in Ost-Jerusalem und auch nicht – was wohl der Vollständigkeit halber angegeben ist – in israelischen Siedlungen im Gazastreifen. Alle, die ihren Sitz in einem dieser Gebiete haben, sind demnach ab 2014 ganz von der Vergabe ausgeschlossen. Davon ausgenommen sind nur Akademiker, die in einer Siedlung wohnen und in Israel arbeiten, sowie Ministerien.

Es ist weniger das Geld, das Israels Rechte aufbringt: Tatsächlich flossen EU-Angaben zufolge im Laufe der vergangenen sieben Jahre nur 0,5 Prozent der insgesamt 800 Millionen Euro in die besetzten Gebiete. Was den rechten Teil des Kabinetts so sehr grämt, dass die Regierung unter Benjamin Netanjahu noch am Dienstagabend zu einer Sondersitzung zusammengerufen wurde: Sie sieht sich nun unter Zugzwang. Für die Koalitionspartnerin HaBajit HaJehudi, aber auch für Teile des Likud sind die besetzten Gebiete integraler Bestandteil des Staates Israel. Allenfalls die arabischen Bevölkerungszentren dort betrachtet man als Verhandlungsmasse.

Jene Organisationen, die die Okkupation gutheißen, vertreten eigentlich maximal 20 Prozent der jüdischen Gesamtbevölkerung mit israelischer Staatsbürgerschaft. Doch die Mehrheit hat diese Ansichten stillschweigend übernommen.

Dies könnte die Regierung ins Wanken bringen. Schon jetzt droht HaBajit HaJehudi mit dem Koalitionsbruch, falls irgendjemand ein Dokument unterzeichnen sollte, in dem die besetzten Gebiete als ebendies bezeichnet werden.

Staatspräsident Schimon Peres warnte indes davor, die Richtlinien könnten die Verhandlungsmission von US-Außenminister John Kerry zum Scheitern bringen, und bat darum, sie zunächst zurückzuhalten. Gerüchten zufolge soll Kerry kurz davor stehen, beide Seiten wieder an den Verhandlungstisch zu bringen. In der Sondersitzung des Kabinetts hatten mehrere Minister gefordert, die Gespräche darüber abzubrechen.

Israels linkes Lager hingegen begrüßte die Entscheidung. Sie nenne die Dinge beim Namen, sagte Schelly Jachimowitsch, die Vorsitzende der Arbeitspartei: »Wir sollten das zum Anlass nehmen, ernsthafte Verhandlungen aufzunehmen und der Besatzung ein Ende zu bereiten.«

Dass die EU im Einklang mit vielen anderen Staaten die Siedlungen in den 1967 im Sechstagekrieg eroberten Gebieten für illegal hält und sie auch nicht unterstützen will, ist nicht neu. Angekündigt hatten die EU-Außenminister eine neue Regelung bereits im Dezember. Sie soll ab Januar 2014 wirksam werden.

* Aus: neues deutschland, Freitag, 19. Juli 2013


Empörung in Israel

Die EU will Projekte in den besetzten Gebieten nicht mehr fördern

Von Knut Mellenthin **


Am heutigen Freitag sollen die neuen Richtlinien der EU für die Förderung israelischer Körperschaften und ihrer Tätigkeiten offiziell veröffentlicht werden. Bisher ist der Text nur bekannt, weil er der israelischen Tageszeitung Haaretz zugespielt wurde, die ihn am Dienstag ins Internet stellte. Wenn es nach Israels Premier Benjamin Netanjahu ginge, der in den vergangenen Tagen die wichtigsten Politiker der EU und der USA per Telefon bestürmte, würden die Europäer noch in letzter Stunde einen Rückzieher machen und die Richtlinien zumindest vorläufig in der Schublade verschwinden lassen. Dafür sprach sich am Donnerstag auch Präsident Schimon Perez aus. Die israelischen Botschafter in sämtlichen 28 EU-Mitgliedsländern wurden angewiesen, vor schwerwiegenden Folgen sowohl für die Beziehungen zwischen der EU und Israel als auch für den »Friedensprozeß mit den Palästinensern« zu warnen.

Das Bekanntwerden der Richtlinien hatte in Israel einen Empörungssturm ausgelöst, der sich gegenüber dem realen Text des Papiers verselbständigte und sich in freien Assoziationen austobte. Von einem »Boykott« Israels bis hin zu Holocaust-Begriffen wie »Selektion« und »Ariernachweis« war die Rede.

Ein weit verbreiteter Irrtum ist, daß die EU-Mitglieder durch die neuen Richtlinien verpflichtet würden, »in Verträge mit Israel (…) eine Klausel aufzunehmen, die besagt, daß der Gazastreifen, Ostjerusalem, die Westbank und die Golanhöhen kein Teil Israels sind«, wie es in manchen Agenturmeldungen hieß. Erstens ist das nicht Teil der Richtlinien, sondern bezieht sich auf eine Erklärung der EU-Außenminister vom Dezember 2012. Zweitens ist die Wiedergabe nicht korrekt, sondern grob sinnentstellend.

Wörtlich hieß es damals, es müsse »gewährleistet werden, daß – in Übereinstimmung mit dem internationalen Recht – alle Vereinbarungen zwischen Israel und der EU eindeutig und ausdrücklich ihre Nichtanwendbarkeit auf die 1967 von Israel besetzten Gebiete (…) feststellen«. Es geht also nicht darum, wie häufig suggeriert wird, Israelis die Unterschrift unter ein politisches Statement gegen die Besetzung abzuverlangen.

Die neuen Richtlinien stellen eine erste Umsetzung dieser Beschlußlage dar und beziehen sich lediglich auf Förderungen, zu denen Preise, geschenkte Zuwendungen und Leistungen aus allgemeinen EU-Töpfen gehören. Um diese Förderungen muss man sich bewerben. Von israelischen Bewerbern wird nunmehr eine Erklärung verlangt, daß sie ihren Sitz nicht in Ostjerusalem, der Westbank, Gaza oder dem Golan haben. Soweit bestimmte Tätigkeiten gefördert werden, müssen die Bewerber erklären, daß diese nicht in einem der genannten Gebieten stattfinden. Die Guidelines gelten nur für Körperschaften, nicht für Personen. Keine israelische Uni muß befürchten, daß die EU eine Projektförderung verweigert, weil ein paar der beteiligten Wissenschaftler in den besetzten Gebieten wohnen. Und keine israelische Bank soll von der Kooperation mit der EU ausgeschlossen werden, weil sie eine Filiale in Ostjerusalem hat. Der Handel und überhaupt die Wirtschafts- und Finanzbeziehungen zwischen Europa und Israel sind zudem gar nicht Gegenstand des Papiers.

Die EU-Richtlinien schreiben, wie israelische Regierungspolitiker ausdrücklich feststellten, nur die bisherige »stillschweigende Praxis« fest. Man hätte es in Jerusalem freilich lieber gesehen, wenn das nicht schriftlich fixiert und schon gar nicht veröffentlicht worden wäre. Vor allem aber geht es der israelischen Regierung um die Abwehr künftiger EU-Maßnahmen, die sich aus der Außenminister-Erklärung vom Dezember 2012 logischerweise ergeben müßten. Darunter eine Kennzeichnungspflicht für Produkte aus den von Israel besetzten Gebieten, wie sie schon länger von mehreren EU-Staaten gefordert wird.

** Aus: junge Welt, Freitag, 19. Juli 2013

Dokumentiert: Peres und Netanyahu zu Friedensverhandlungen und zu den Plänen der EU

Präsident Shimon Peres nahm am heutigen Donnerstag zu den durch die Europäische Union angekündigten Veränderungen in zukünftigen Verträgen zwischen der Europäischen Union und Israel Stellung. Er äußerte sich zunächst zu den Fortschritten der Bemühungen des amerikanischen Außenministers John Kerry, die Friedensverhandlungen zwischen Israel und den Palästinensern wieder in Gang zu bringen.

Präsident Peres sagte: „Nach den neuesten mir verfügbaren Informationen ist es Außenminister Kerry gelungen, die Aussichten für eine Aufnahme von Friedensgesprächen zu verbessern. Ich bin dankbar für seine Bemühungen und ich weiß, dass dies ein sehr ernstes Unterfangen ist. Die nächsten Tage werden entscheidend sein und Fortschritte sind in Reichweite. Ich glaube, dass diese deutlichen Fortschritte sowohl auf der israelischen, als auch auf der palästinensischen Seite Früchte tragen werden – beide Seiten bemühen sich sehr, die letzten Hindernisse zu überwinden.“

Vor diesem Hintergrund sandte Präsident Peres auch eine Botschaft an die Europäische Union, die Entscheidung zu verhindern, da sie den Friedensprozess gefährden könne: „Die Beziehungen zwischen Israel und der Europäischen Union sind freundschaftlich und ich habe großen Respekt vor der Europäischen Union – ich wende mich an unsere Freunde und sage: wartet mit Eurer Entscheidung – gebt dem Frieden Priorität. Setzt keine unverantwortlichen Sanktionen durch, die den Friedensprozess gefährden könnten. Die Entscheidung der Europäischen Union ist unnötig und kommt zur falschen Zeit. Die Themen sind komplex und sensibel, verschiebt Eure Entscheidung.“ Präsident Peres betonte: „Räumt dem Frieden Priorität ein und gebt ihm eine Chance, Eure Entscheidung könnte zu einer weiteren Krise in der Region führen.“

Präsident Peres fügte hinzu, dass die öffentliche Unterstützung, die die Arabische Liga den Bemühungen Außenminister Kerrys gegeben hat, sehr wichtig für den Fortschritt der Verhandlungen sei.

Ministerpräsident Binyamin Netanyahu hatte sich bereits am Dienstag, 16.07.13, mit Justizministerin Tzipi Livni, Wirtschaftsminister Naftali Bennett und dem stellvertretenden Außenminister Zeev Elkin getroffen, um über die angekündigten Veränderungen zu beraten.

Ministerpräsident Netanyahu sagte: „Ich hätte erwartet, dass diejenigen, die wirklich an Frieden und Stabilität in der Region interessiert sind, diese Angelegenheit erst dann diskutieren, wenn drängendere Probleme der Region gelöst wurden, wie der Bürgerkrieg in Syrien oder das Streben des Iran nach Nuklearwaffen. Als Ministerpräsident des Staates Israel werde ich nicht zulassen, dass die Hundertausenden Israelis, die in Judäa und Samaria, auf den Golanhöhen und in unserer vereinigten Hauptstadt Jerusalem leben, geschädigt werden. Wir werden kein externes Diktat über unsere Grenzen akzeptieren. Über diese Angelegenheit wird nur in direkten Verhandlungen zwischen den beteiligten Seiten entschieden.“

(Außenministerium des Staates Israel, 18.07.13/ Amt des Ministerpräsidenten, 16.07.13)

Quelle: Newsletter der israelischen Botschaft in Berlin, 18. Juli 2103





Notwendige Klarstellung

Von Roland Etzel ***

Keine EU-Fördermittel für israelische Projekte in den besetzten Gebieten. Was laut Leitlinie der EU-Kommission ab 2014 gelten soll und die israelische Regierung in Wut versetzt, ist eine pure Selbstverständlichkeit. Das völkerrechtlich anerkannte Territorium Israels ist für jedwede Kooperation mit EU-gestützten Geschäften weiterhin offen. So müssen die Proteste aus Jerusalem als fadenscheinig gelten.

Korrekt ausgedrückt: aus West-Jerusalem; denn der palästinensische Osten der Stadt gilt ebenso wie Gaza, die (syrischen) Golan-Höhen und vor allem das Westjordanland sowohl völkerrechtlich als auch in der offiziellen Wahrnehmung der EU als widerrechtlich besetzt. Über das EU-Papier musste deshalb auch nicht das Europäische Parlament befinden. Allenfalls wirft es die Frage auf, was denn bisherige Praxis war.

Die Erklärung von Netanjahu, sein Land werde bezüglich seiner Grenzen »kein Diktat von außen« akzeptieren, ist eine der üblichen politischen Ungezogenheiten des israelischen Premiers. Die von ihm protegierten Siedlerbewegungen warteten denn auch mit abwegigen Vergleichen aus der Hitler-Zeit auf, für die sich sicher besonders Briten und Niederländer in der EU herzlich bedanken werden. Einmal abgesehen von der schwierigen Verifizierbarkeit der EU-Richtlinie – sie ist ein Stück auf dem Weg zum Staat Palästina; ein Millimeterchen, aber immerhin.

*** Aus: neues deutschland, Freitag, 19. Juli 2013


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