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"Ethnisch einheitlich"

Israels Außenminister für den Austausch von Bevölkerungen

Der im Konflikt mit den Palästinensern als Hardliner geltende israelische Außenminister Avigdor Lieberman hat im Falle eines Friedens den »Austausch« von Bevölkerungen zwischen beiden Seiten gefordert.

Die Verhandlungen mit den Palästinensern sollten nicht auf der Grundlage »Land gegen Frieden«, sondern auf einem »Austausch von Territorien und Bevölkerungen« fußen, forderte Lieberman im Militärradio. Wenn die Palästinensische Autonomiebehörde Israel nicht als jüdischen Staat anerkennen wolle, müsse bei den Verhandlungen auch die Frage der israelischen Araber angesprochen werden.

Der Außenminister hatte sich in der Vergangenheit wiederholt dafür stark gemacht, die mehrheitlich von Arabern bewohnten Teile Israels gegen die jüdischen Siedlungen im Westjordanland zu tauschen. Lieberman spricht sich zudem dafür aus, Israel zu einem »ethnisch einheitlichen« Staat zu machen. Im vergangenen Wahlkampf hatte Lieberman gefordert, den 1,3 Millionen in Israel lebenden Arabern die israelische Staatsbürgerschaft abzuerkennen, wenn sie nicht einen Treuschwur auf den Staat Israel ablegten. Diese Ansichten entsprechen jedoch nicht der offiziellen Linie der israelischen Regierung unter Ministerpräsident Benjamin Netanjahu. Anfang September hatte Netanjahu wieder direkte Friedensgespräche mit Palästinenserpräsident Mahmud Abbas aufgenommen.

Derweil wurde bekannt, dass die USA sich während der Nahost-Friedensgespräche 2008 zur Aufnahme von 100 000 palästinensischen Flüchtlingen bereit erklärt haben sollen. Israelische Medien berichteten am Montag, der ehemalige israelische Ministerpräsident Ehud Olmert habe dies am Vorabend während einer Konferenz in Tel Aviv gesagt. Israel sei damals hingegen nur zur Aufnahme von weniger als 20 000 Flüchtlingen bereit gewesen.

»Ich war der erste Regierungschef, der Verantwortung für das Leid der palästinensischen Flüchtlinge übernommen hat«, sagte Olmert nach Angaben der Zeitung »Jediot Achronot« während der Konferenz der privaten Genfer Friedensinitiative.

Das Problem der 4,8 Millionen palästinensischen Flüchtlinge gilt als eine der explosivsten Kernfragen des Nahost-Konflikts. Die Palästinenser bestehen auf einem Rückkehrrecht der Flüchtlinge in ihre Heimat. Israels Regierung betont, die Flüchtlinge könnten nur in einem künftigen Palästinenserstaat Aufnahme finden.

Die Regierung Olmert hatte Ende 2007 mit US-Vermittlung Friedensgespräche mit den Palästinensern aufgenommen. Diese wurden jedoch ein Jahr später abgebrochen. Olmert sagte den Angaben zufolge, eine dauerhafte Friedensregelung in Nahost könne nur auf der Basis der Grenzen vor dem Sechstagekrieg von 1967 geschlossen werden. »Wenn es jemanden auf der Welt gibt, der glaubt, man könne ein Abkommen ohne eine Teilung Jerusalems schließen – macht er sich einfach etwas vor«, sagte der ehemalige Regierungschef laut »Jediot Achronot«. Die Palästinenser fordern den arabischen Ostteil Jerusalems als Hauptstadt eines künftigen unabhängigen Staates. Israel beansprucht hingegen bislang ganz Jerusalem als seine »ewige, unteilbare Hauptstadt«.

Israel hat erstmals seit knapp vier Jahren den Export von 20 Neuwagen in den Gaza-Streifen gestattet. Das bestätigte das Koordinierungsbüro für Importe aus Israel. Darüber hinaus hätten vier Lastwagen Ersatzteile, Motoröl sowie Reifen nach Gaza gebracht. Die rund 1,5 Millionen Palästinenser im Gaza-Streifen besitzen rund 250 000 Fahrzeuge.

* Aus: Neues Deutschland, 21. September 2010


Lieberman für rassistische Lösung

Israels Außenminister will arabische Bürger zu Palästinensern machen

Von Karin Leukefeld *


Der israelische Außenminister Avigdor Lieberman hat vorgeschlagen, die Grenzen Israels neu zu bestimmen und so arabische Bürger Israels unter palästinensische Kontrolle zu stellen. Im Gegenzug sollen Siedlungen in der Westbank dem künftigen jüdischen Staat einverleibt werden. »Nicht Land für Frieden« sei die Grundlage einer zukünftigen Regelung mit den Palästinensern, sondern »Austausch von Land und Leuten«. Regierungssprecher Mark Regev erklärte dazu, die verschiedenen Parteien in der Regierungskoalition hätten eben »verschiedene politische Meinungen«.

Sollte sich Lieberman mit seinem provokanten Vorschlag durchsetzen, würden nicht nur Araber in Israel ihre Rechte verlieren, sondern auch die palästinensischen Flüchtlinge, die 1948 aus ihrer Heimat vertrieben wurden. Die arabische Bevölkerung in Israel, die 20 Prozent der 7,6 Millionen Einwohner ausmacht, ist Lieberman und seiner reaktionären Partei Israel Beitenu (Unser Haus Israel) schon lange ein Dorn im Auge. »Er stellt sich gegen die Gemeinschaft der Araber und tut alles, um den Konflikt im Mittleren Osten noch komplizierter zu machen«, kommentierte deshalb Jafar Farah vom Zentrum für Arabisch-Palästinensische Minderheiten in Israel Liebermans Vorstoß. Die arabische Knesset-Abgeordnete Haneen Zuabi bezeichnete Liebermans Vorstellungen gegenüber der israelischen Tageszeitung Haaretz als »rassistisch«. Zuabis Immunität war aufgehoben worden, nachdem sie sich im Mai an der »Free Gaza«-Flotte beteiligt hatte.

Lieberman äußerte sich gerade zu dem Zeitpunkt, an dem der israelische Präsident Schimon Peres, Verteidigungsminister Ehud Barak und Mahmud Abbas von der Palästinensischen Autonomiebehörde in Washington erneut über eine Lösung der Siedlungsfrage verhandeln sollen. Am 26. September läuft ein Moratorium zum Bau weiterer Siedlungen aus, und Abbas fordert die Verlängerung des Baustopps. Die Regierung von Benjamin Netanjahu will das Moratorium jedoch nicht verlängern.

Sowohl Peres als auch Abbas werden auch auf dem Millenniumsgipfel der Vereinten Nationen in New York erwartet, der am Montag begonnen hat. Doch angesichts der vor zehn Jahren von der UNO festgelegten Ziele einer Verringerung von Hunger und Armut bis 2015 ist die Lage in den besetzten palästinensischen Gebieten und Gaza jedoch wenig ermutigend. Die Besatzung und die anhaltende Zerstörung von Häusern und Feldern der Palästinenser behindert die wirtschaftliche Entwicklung, und die fast fünf Jahre dauernde Gaza-Blockade wie der verheerende Krieg 2008/09 haben das Leben für die betroffene Bevölkerung drastisch verschlechtert. Zu Beginn des neuen Schuljahres konnten 40000 Schulkinder im Gazastreifen aufgrund fehlender Schulen nicht am Unterricht teilnehmen, weil Israel weiterhin kein Baumaterial passieren läßt. »UNRWA braucht 100 neue Schulen«, warnte die UN-Hilfsorganisation für palästinensische Flüchtlinge deshalb. Zwar dürften die Kinder jetzt Hefte und Stifte einkaufen, weil Israel deren Einfuhr zulasse, doch wegen des Mangels an Klassenräumen könnten sie nicht zur Schule gehen. In den vorhandenen Bildungseinrichtungen werden bereits jetzt bis zu 50 Kinder pro Klasse in zwei Schichten unterrichtet; »manchmal dienen Metallcontainer als Klassenraum, und drei Kinder sitzen an einem Tisch, der Platz für zwei Kinder hat«.

** Aus: junge Welt, 21. September 2010


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