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Mit der Geduld am Ende

Zehntausende Israelis demonstrieren gegen soziale Ungleichheit

Von Karin Leukefeld *

Gegen die hohen Lebenshaltungskosten haben am Wochenende Zehntausende in Tel Aviv protestiert. Mit Slogans wie »Gute Wohnungen, seriöse Preise« oder »Das Volk hat die Macht« zogen die Demonstranten am Samstag abend (23. Juli) zum Museum von Tel Aviv. In Anlehnung an die Proteste in den arabischen Staaten forderten manche auch den Rücktritt von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu. Von Luftballons gehalten schwebte über dem Demonstrationszug ein Zelt. Redner forderten die Regierung auf, endlich die Wohnungsmisere zu lösen und etwas gegen die steigenden Lebenshaltungskosten in Israel zu unternehmen. Im Anschluß an die Kundgebung blockierten Hunderte Demonstranten eine zentrale Straßenkreuzung. Stundenlang trotzten sie der Polizei, die versuchte, den Platz für den Verkehr frei zu machen.

Ministerpräsident Benjamin Netanjahu forderte sein Kabinett am Sonntag auf, Lösungsvorschläge für die Wohnungskrise vorzulegen. Die israelische Tageszeitung Haaretz berichtete, Netanjahu habe gesagt, er identifiziere sich mit den Demonstranten, das Wohnungsproblem sei ihm seit Jahren bekannt. Angeblich werde er vom Regierungspartner Likud vorgeführt, dessen Minister sich nicht aktiv für eine Lösung einsetzten.

Seit mehr als einer Woche campieren Menschen in Zelten auf dem Rotschild-Boulevard in Tel Aviv, um gegen die hohen Mieten und Kaufpreise für Wohnungen zu protestieren. Die Demonstration am vergangenen Samstag machte deutlich, daß es sich nicht nur um eine »kleine radikale Minderheit« handelt, die die enorme Verteuerung des Lebens in Israel nicht mehr dulden will. Neben jungen Leuten und Studierenden schlossen sich Frauen- und Arbeiterverbände und viele alte Personen an, auch Überlebende des Holocaust. Private Organisationen wie »Yad Ezer L’Haver« (Freunden helfen), die in Haifa ein Altenheim für letztere führt, gehen davon aus, daß ein Drittel dieser Menschen, 70000 der rund 210000 Holocaust-Überlebenden, in Israel auf private oder staatliche Hilfe angewiesen ist.

Im letzten nationalen Armutsbericht von November 2010 wird die Zahl der armen Menschen in Israel mit 25 Prozent der Gesamtbevölkerung angegeben, darunter 850000 Kinder. Die Tageszeitung Haaretz schlußfolgerte schon damals, nicht die Sicherheit (vor seinen arabischen Nachbarn), sondern die Armut sei das größte Problem für Israel.

* Aus: junge Welt, 25. Juli 2011


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