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Zeugin der täglichen Schikane

Die israelische Organisation "Machsom Watch" protokolliert Willkür an Kontrollpunkten

Von Karin Leukefeld *

Zu den zermürbenden Folgen der Okkupation des Westjordanlandes zählen die täglichen Schikanen des israelischen Militärs an den Kontrollpunkten. Eine israelische Organisation hat es sich zur Aufgabe gemacht, diese zu dokumentieren.

»Den Begriff ›Frieden‹ verwende ich nicht gern, ich spreche lieber von der ›Kon-fliktlösung‹«. Yehudit Kirstein Keshet (Archivfoto) wählt ihre Worte genau, bevor sie fortfährt: »›Frieden‹ ist ein sehr schönes Wort und bedeutet vielen Leuten alles Mögliche. Aber eine ›Konfliktlösung‹ bedeutet, dass von zwei Seiten keine gewinnt, aber auch keine alles verliert.«

Die 1943 in Großbritannien geborene Yehudit Keshet ist Tochter geflüchteter Berliner Juden. Ende der 50er Jahre ging sie nach Israel und lebt in Jerusalem. Als Anthropologin, Filmemacherin und Schriftstellerin hat Yehudit Keshet gelernt, die Welt genau zu beobachten. Seit 2001 tut sie das an den israelischen Kontrollposten im Westjordanland. Denn sie gehört zu den Gründerinnen der Frauenorganisation »Machsom Watch«, die in diesem Jahr den Aachener Friedenspreis erhielt. In Israel war die Auszeichnung kein Nachrichtenthema: »Hier hält man solche Friedenspreise für unbedeutend, weil man das für eine subtile Art hält, Israel zu kritisieren.«

Akribisch genau protokollieren die Frauen von »Machsom Watch« die Demütigungen und Angriffe, die Willkür und die Gleichgültigkeit des israelischen Besatzungsregimes gegenüber Palästinensern. Liest man die Protokolle oder sieht die Filme, die im Laufe der Jahre an den Kontrollposten entstanden sind, wird man den Eindruck nicht los, dass manche Israelis sich den Palästinensern gegenüber für die besseren Menschen halten. »Der Eindruck stimmt genau«, meint Yehudit Kirstein Keshet, dieses Mal ohne zu zögern. »Für viele Israelis, vielleicht sogar für die Mehrheit sind die Palästinenser Untermenschen.« Kürzlich habe sie einen Kontrollposten besucht, an dem sie oft im Einsatz sei. »Wir wurden von einer Gruppe rechter Frauen angegriffen, die dort an die Soldaten Essen und Süßigkeiten verteilten. Sie zeigten auf die Palästinenser und schrien: ›Das sind keine Menschen, das sind Tiere, sie haben keine Rechte.‹«

Nicht jeder Israeli bringe seine Ablehnung gegenüber Palästinensern so grob zum Ausdruck, doch viele würden so denken, fährt Yehudit Keshet fort. In einer Umfrage hätten die meisten Israelis es abgelehnt, arabische Nachbarn zu haben oder Araber zu sich nach Hause einzuladen. »Hier wird um Land und Wasser gekämpft, und die Araber könnten in den Augen der Israelis nur Menschen werden, wenn sie sich alle zu Zionisten erklären oder verschwinden.« Gefragt, ob die mögliche neue Ministerpräsidentin Zipi Livni wirklich die »Friedensdiplomatin« sei, für die man sie in Europa gern halten möchte, verhehlt Yehudit Keshet ihre Skepsis nicht. »Bisher ist sie vor allem durch ihr Schweigen aufgefallen, wenn es um eine Lösung des Konflikts ging.« In zentralen Fragen vertrete Livni geradezu militant abweisende Positionen. Das betreffe das Verhältnis zu Iran, die Frage nach der Zukunft Jerusalems oder die Lösung des Problems der palästinensischen Flüchtlinge. Doch sie wolle die Hoffnung nicht aufgeben, schließlich hätten auch Deutschland und Frankreich nach dem Zweiten Weltkrieg gezeigt, dass Feinde Frieden schließen könnten.

Für Keshet gibt es derzeit nur einen Weg der Konfliktlösung, und das ist der Arabische Friedensvorschlag aus dem Jahre 2002, erneuert 2006: »Der Vorschlag kommt von 22 arabischen Staaten, die – zum ersten Mal in der Geschichte – die Normalisierung ihrer Beziehungen und diplomatische Kontakte zu Israel angeboten haben, wenn Israel sich in die Grenzen von 1967 zurückzieht, Jerusalem geteilt wird, die Rechte der Flüchtlinge anerkannt werden und ein palästinensischer Staat gegründet wird. Das ist das, was Israel immer zur Absicherung seiner Existenz gefordert hat.«

Zudem lasse das arabische Friedensangebot Spielraum für Verhandlungen, doch »dieser Vorschlag wurde nie von der israelischen Regierung diskutiert, und die Medien haben so gut wie nie darüber berichtet«, kritisiert Keshet. »Wir müssen eine Kampagne starten, um diesen Friedensvorschlag in Israel zum Tagesgespräch zu machen, damit die Leute davon erfahren und konstruktiv darüber nachdenken können.«

Yehudit Kirstein Keshet: Checkpoint Watch, Zeugnisse israelischer Frauen aus dem besetzten Palästina, Nautilus, Hamburg, 2007

* Aus: Neues Deutschland, 7. Oktober 2008


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