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Die Apartheid brechen

Ex-US-Präsident Carter macht Israel für Nahostkonflikt verantwortlich

Von Andrea Bistrich *

Der ehemalige US-Präsident ­James E. Carter hat die israelische Regierung für den andauernden Nahostkonflikt verantwortlich gemacht. Er hält Israel vor, ein Apartheidsystem in der Westbank und in Gaza errichten zu wollen. »Den Palästinensern werden die grundlegendsten Menschenrechte aberkannt, ihr Land wurde erst besetzt, danach beschlagnahmt und dann von den jüdischen Siedlern kolonialisiert«, schreibt der Ex-Präsident in seinem neuesten Buch »Palestine – Peace Not Apartheid«.

Carter, der als Architekt des israelisch-ägyptischen Friedensvertrags von Camp David gilt und 2002 für seine Bemühungen um Frieden und die Einhaltung der Menschenrechte mit dem Friedensnobelpreis gewürdigt worden war, engagiert sich seit mehr als drei Jahrzehnten für Lösungen im Nahostkonflikt. Auf einer Buchvorstellung in der vergangenen Woche im US-Bundesstaat Virginia erklärte Carter, er hege die Hoffnung, daß durch die Veröffentlichung des Buches nicht nur Diskussionen entstehen, sondern vor allem der derzeit völlig abhanden gekommene Friedensprozeß wieder stimuliert werden kann.

Carter kritisiert Israel für den Bau der Mauer durch die Westbank, die er als »Gefängnismauer« bezeichnet. Israelische Siedlungen würden das Westjordanland in viele kleinere Gebiete zerstückeln. Einige davon seien unerreichbar geworden. Darüber hinaus würden auch die rund 100 Checkpoints, die die Palästinensergebiete einkreisten, den Zugang zu anderen Gebieten erschweren und zum Teil sogar unmöglich machen. Im Gazastreifen werde die Bevölkerung von Israel regelrecht stranguliert. Inzwischen sei die Armut dort auf 70 Prozent angestiegen. Mehr als die Hälfte der palästinensischen Familien würden nur noch einmal pro Tag essen. Der Grad an Unterernährung sei bereits vergleichbar mit dem in der südlichen Sahara. Carter: »Israels ständige Kontrolle und Kolonialisierung palästinensischen Grund und Bodens sind das größte Hindernis für einen umfassenden Friedensvertrag im Heiligen Land.«

Gleichzeitig spart der Friedensnobelpreisträger auch nicht mit Kritik gegenüber Washington. Indem die USA die israelische Landkonfiszierung und Kolonialisierung der palästinensischen Gebiete stillschweigend duldeten, setzten sie ihr internationales Prestige aufs Spiel und förderten den antiamerikanischen Terrorismus.

Frieden im Nahen Osten könne es nur dann geben, wenn Israel sich gemäß Resolution 242 des UN-Sicherheitsrates auf die Grenzen von 1967 zurückziehe. Das habe die israelische Regierung sowohl bei den Camp-David-Verhandlungen als auch im Oslo-Prozeß zugesagt. Für den Rückzug Israels aus den besetzten Gebieten sehe die Resolution im Gegenzug die Anerkennung Israels und die Respektierung seiner Sicherheit »frei von Bedrohung und Gewalt« vor. »Das ist die beste Option und die einzige, die letztlich als Grundlage für den Frieden akzeptiert werden kann«, so Carter. Während die in jüngerer Zeit vom Nahost-Quartett ausgearbeitete Roadmap vollständig von den Palästinensern akzeptiert wird, sei bisher noch keines der Hauptelemente dieses Friedensfahrplans von israelischer Seite aus angenommen worden, kritisiert Carter Israels Einwände und Bedingungen, und dokumentiert die letztlich vom israelischen Kabinett gebilligten politischen Maßnahmen im Appendix des Buches.

Ausgerechnet aus den eigenen Reihen der Demokraten kam Kritik an Carters Buch. Die künftige »Madame Speaker«, US-Demokratin Nancy Pelosi, erklärte vor wenigen Tagen, es sei falsch anzunehmen, daß Juden in Israel oder anderswo eine Regierung unterstützten, die ethnisch begründete Unterdrückung institutionalisiere. Demokraten würden eine solche Darstellung entschieden zurückweisen. Auch der demokratische Kongreßabgeordnete John Conyers verurteilte den Titel des Buches scharf und nannte ihn »beleidigend und unkorrekt«.

Seit dem Erscheinen von »Palestine – Peace not Apartheid« vor zwei Wochen haben die großen US-Zeitungen das Buch nahezu völlig ignoriert. Weder die Redakteure der New York Times oder Washington Post noch die von USA Today, des Boston Globe und der Los Angeles Times haben sich bisher dazu durchgerungen, auch nur wenige Zeilen darüber zu berichten. Umso stärker appelliert Carter an seine Leser. Es sei für Amerikaner höchste Zeit, sich endlich mit den Fakten der Lage in Nahost auseinanderzusetzen, sagte er vergangene Woche in Virginia.

* Aus: junge Welt, 4. Dezember 2006


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