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Druckmittel gegen Andersdenkende

Jerusalemer Jurist zu Israels Boykottgesetz *

Druckmittel gegen Andersdenkende Jerusalemer Jurist Alon Harel zu Israels Boykottgesetz
Alon Harel, geboren 1957, ist Professor an der juristischen Fakultät der Hebräischen Universität Jerusalem und Experte für Rechtsphilosophie und Verfassungsrecht. Er ist in der israelischen Bürgerrechtsbewegung aktiv und vertritt unter anderem Wehrdienstverweigerer als Anwalt. Mit ihm sprach für das Neue Deutschland (ND) Oliver Eberhardt.

Die Knesseth, das israelische Parlament, hat in der vergangenen Woche ein Gesetz verabschiedet, dass es illegal macht, zum Boykott des Staates Israel aufzurufen. Wer dies tut, kann dafür unter anderem auf Schadenersatz verklagt werden, ohne dass eine Schadenssumme angegeben werden muss. Können Sie ganz genau erklären, wer und was davon betroffen sind?

Dieses Gesetz ist so kurz gehalten und so schwammig formuliert, dass eigentlich alle und alles davon betroffen sein könnten. Ich könnte von einem Orangenproduzenten vor Gericht gezerrt werden, weil ich im Laden einem anderen Kunden gesagt habe, dass ich diese bestimmten Orangen nicht kaufe, weil sie aus der Wüste, den Siedlungen oder aus dem Treibhaus stammen. Und ich könnte auf alles, was ich besitze, verklagt werden, obwohl der tatsächliche Schaden kaum bezifferbar ist.

Die Autoren des Gesetzes haben aber versichert, dass so etwas nicht geschehen wird.

Nun, das steht im Gesetz nicht drin. Seine Verfasser erklären im Gesetzestext nicht, was sie unter einem »Boykott des Staates Israel« verstehen, und erwähnen nur, dass israelische Unternehmen, Institutionen und Organisationen, die sich durch einen Boykott geschädigt fühlen, den Urheber des Boykotts verklagen können. Es kann also jeden treffen.

Eine von Ihnen aufgesetzte Petition gegen das Gesetz wurde von mehr als 30 anderen Juraprofessoren unterschrieben; viele Doktoranden hätten gerne unterschrieben, durften aber nicht. Warum?

Wir möchten verhindern, dass die Karrieren dieser jungen Menschen leiden. Man muss sich in Erinnerung rufen, dass die Leute, die dieses Gesetz geschrieben und verabschiedet haben, auch großen Einfluss darauf haben, wer in den Gerichten und den juristischen Fakultäten arbeitet. Und wie weit die Kritikfähigkeit dieser Politiker geht, haben sie mit ihrem Entwurf gezeigt.

Es wurde allerdings auch außerhalb des Parlaments Kritik an ihrer Petition geäußert. Ein Kommentator der Zeitung »Ma'ariv« schrieb am Freitag (22. Juli), Juristen sollten keine Politik betreiben.

Wenn das politische System gegen das Rechtssystem handelt und die juristischen Prinzipien einer Demokratie in Frage stellt, dann ist es die Pflicht eines Juristen, solche Initiativen zu blockieren.

Auch das ist ein demokratisches Grundprinzip: In allen westlichen Demokratien hat ein Gremium aus Juristen die Macht, Gesetze zu blockieren. In Deutschland ist es das Bundesverfassungsgericht, in Israel der Oberste Gerichtshof - warum sollten wir Juraprofessoren uns nicht beteiligen dürfen?

Aus juristischer Sicht betrachtet ist es so, dass die Parlamentsmehrheit der politischen Meinungsäußerung Beschränkungen auferlegen will und das mit dem Ziel, die Regierungsposition zu stärken.

So gut wie alle juristischen Experten sind sich darüber einig, dass das Gesetz den Obersten Gerichtshof Israels gar nicht überstehen wird. Ich bin mir sogar ziemlich sicher, dass vor einer höchstinstanzlichen Entscheidung Gerichte das Gesetz nicht anwenden werden, weil sie Zweifel an seiner Rechtmäßigkeit haben.

Aber wir sehen momentan in der Knesset massive Bestrebungen, den politischen Diskurs regulieren zu wollen: Künstler, die nicht beim Militär gedient haben oder die nicht in einer Siedlung (im besetzten Gebiet - O. E.) auftreten wollen, bekommen keine Kulturförderung mehr; außerdem wollte die parlamentarische Rechte die Finanzen linker Organisationen von einem Untersuchungsausschuss überprüfen lassen. Gemeinsam mit dem Anti-Boykott-Gesetz ist das ein Trend, der einem Angst machen muss, weil hier ganz offensichtlich eine politische Mehrheit versucht, die Demokratie dazu zu benutzen, die Rechte Andersdenkender einzuschränken.

Es wird ein Klima der Angst erzeugt: Sagst du etwas, was mir nicht passt, dann verklage ich dich - das könnte sogar Auswirkungen auf die Pressefreiheit in Israel haben. Ich habe gehört, dass bei der Zeitung »Ha'aretz« zur Zeit die Rechtsabteilung prüft, was die Kommentatoren künftig noch schreiben dürfen, und was nicht.

* Aus: Neues Deutschland, 28. Juli 2011


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