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Angriff auf die Meinungsfreiheit

Israelische Regierung unterdrückt kritische Stimmen im eigenen Land

Von Jody Williams und Rachel Giora (IPS) *

Während die Welt den sogenannten arabischen Frühling und dessen Ausbreitung im Nahen Osten verfolgt, häufen sich beunruhigende Anzeichen, daß sich Israel entschlossen haben könnte, grundlegende zivile Rechte abzuschaffen. Jene Stimmen, die für Gerechtigkeit und Gleichheit für die Palästinenser eintreten, sollen zum Schweigen gebracht werden.

Zuletzt hat Israel versucht, die Berichterstattung über die Gazaflottille in den internationalen Medien zu unterdrücken. Das staatliche israelische Pressebüro hatte eine Warnung an internationale Medienorganisationen herausgegeben. In dieser wurde die Beschlagnahmung von Presseausrüstung angekündigt und teilnehmendes Medienpersonal mit Deportation und zehnjähriger Verbannung aus Israel bedroht. Unter dem Druck der Foreign Press Association (FPA) nahmen die israelischen Behörden diese Drohung schließlich wieder zurück. Der Auslandspresseverband wies darauf hin, daß die Ankündigung von Repressalien gegen Journalisten eine ernsthafte Infragestellung der Pressefreiheit in Israel darstelle.

Das Recht auf Meinungsäußerung in Israel ist aber weiterhin bedroht. Friedensorganisationen wie Peace Now oder die Frauenkoalition für den Frieden äußerten starke Vorbehalte gegen eine Reihe neuer Gesetzesvorlagen. Im Zentrum der Kritik steht ein neues Gesetz, das am 11. Juli in der Knesset, dem israelischen Parlament, verabschiedet wurde. Das sogenannte Boykott-Prohibitionsgesetz kriminalisiert israelische Bürger und Bürgerinnen und Organisationen, die zu einem Boykott Israels oder der israelischen Siedlungen aufrufen.

Über fünfzig israelische zivilgesellschaftliche Organisationen haben ein Protestschreiben gegen dieses Gesetz unterzeichnet. Der Widerstand reicht aber weit über die Kreise von Friedensaktivisten, Palästinensern und Intellektuellen hinaus. Vor der Abstimmung über das Antiboykottgesetz hatte der Rechtsberater in der Knesset, der Anwalt Eyal Yanon, ein Gutachten veröffentlicht, in dem Teile des Gesetzes als illegal bezeichnet werden. Sogar Regierungsbeamte haben das Parlament öffentlich davor gewarnt, daß die Verabschiedung einen Angriff auf die Meinungsfreiheit bedeuten und dem Ansehen Israels in der Welt Schaden würde.

Diese Beamten haben offensichtlich mehr Realitätssinn als viele Politiker. Diese verstehen nicht, daß die Unterdrückung einer lebendigen Zivilgesellschaft jene Menschen nicht zum Schweigen bringen kann, die gewaltlose Mittel einsetzen, um eben auf die Respektierung demokratischer Grundrechte hinzuweisen.

Die »Vereinigung für Zivilrechte« in Israel stellte fest, daß die verschiedenen Ansätze der neuen Gesetzgebung eine »Abschreckungswirkung« gegen Meinungsfreiheit und demokratischen Diskurs haben. In ihrer Erklärung sagte die Organisation, dies stelle »einen weiteren Schritt in einer breit angelegten antidemokratischen Kampagne« dar, mit der versucht würde, die Zivilgesellschaft einzuschüchtern und die Arbeit der Menschenrechtsorganisationen einzuschränken.

In einem Kommentar in der Tageszeitung Haaretz hat die renommierte Journalistin Avirama Golan bereits vor einigen Monaten davor gewarnt, daß sich das Antiboykottgesetz und ähnliche Gesetzesvorlagen destruktiv auswirken würden: »Die Folge – das Kollabieren der Fundamente der israelischen Demokratie – wird für alle schädlich sein.«

Israel wäre ganz sicher ein stärkeres Land, würde es die Rechte der eigenen Zivilgesellschaft hochhalten. Denn letzten Endes werden die wahren Partner für den Frieden nicht die Regierungen sein, sondern die couragierten Persönlichkeiten und Organisationen, die bereit sind, den Status quo herauszufordern und den Traum einer gerechten Gesellschaft zu leben – eine Gesellschaft, in der alle Menschen als gleich anerkannt werden.

* Jody Williams ist 1997 für ihr Engagement gegen den Einsatz von Landminen mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet worden.
Rachel Giora ist Mitglied der in Tel Aviv ansässigen Frauenkoalition für den Frieden.

Aus: junge Welt, 19. Juli 2011



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