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Werkzeuge der Kontrolle

Eyal Weizman über die Architektur der Besatzung

Von Heinz-Dieter Winter *

Es ist nicht allein ein Buch über Architektur, das der namhafte israelische Architekt Eyal Weizman, Direktor des Center for Research Architecture am Goldsmiths College der Universität London, verfasste. Es ist vor allem ein Buch über Ziele, Struktur und Methoden der israelischen Besatzungspolitik in den palästinensischen Gebieten. Die Analyse israelischer Politik mit dem Instrumentarium des Architekten eröffnet völlig neue Sichten, wie man sie sonst in der kaum noch zu überblickenden Literatur zum Thema so nicht finden kann.

Weizman sieht den israelisch-palästinensischen Konflikt als »Prozess der Kolonisierung, der Enteignung, des Widerstandes dagegen und der Unterdrückung« der Palästinenser. Der Autor macht deutlich, welche ausgeklügelte Rolle Architektur bei der Besatzung, der Siedlungspolitik, der fast totalen Kontrolle der Palästinenser und bei der Schaffung von Möglichkeiten ständigen militärischen Eingreifens in die palästinensischen Autonomiegebiete spielt. So habe »die israelische Vorstellung von Sicherheit immer einen komplexen territorialen, institutionellen und architektonischen Apparat« umfasst, der die Bewegungen der Palästinenser durch den »israelischen« Raum regulieren soll. Und dieser sogenannte israelische Raum – vom Autor in Anführungsstriche gesetzt – meint eben nicht Israel, sondern die Siedlungen, die Kontrollposten, die strategischen und nur für Israelis zu benutzenden Straßen, vor allem die Siedlungen im Westjordanland – überall dort, wo sich Israelis in besetzten palästinensischen Gebieten befinden.

An vielen Beispielen verdeutlicht der Autor, wie Israel die palästinensische Landschaft und die bebauten Gebiete in Werkzeuge von Herrschaft und Kontrolle verwandelt. So wurden durch Militäraktionen in Gaza Flüchtlingslager ohne Rücksicht auf Verluste der palästinensischen Bevölkerung so zerstört, dass statt der winkligen und engen Gassen breite Einfallsstraßen für die israelische Armee geschaffen wurden. Weizman nennt das die »Haussmannisierung von Gaza«, nach dem Vorbild des französischen Architekten Haussmann, der in Paris zur Zeit von Napoleon III. in Auswertung von Aufstandserfahrungen breite Boulevards anlegen ließ. Die »Haussmannisierung« kam der israelischen Armee beim jüngsten Gaza-Krieg zustatten. Weizmann verweist auch darauf, dass die jüdischen Siedlungen in den palästinensischen Gebieten auf Höhenzügen angelegt sind, so dass die Menschen in den palästinensischen Dörfern zu deren Füßen sie ständig als Ausdruck eigener Ohnmacht vor Augen haben. Zugleich blieben diese Siedlungen in beherrschender Position bei Aktionen der israelischen Armee von Beschuss und Bombardierung verschont.

Nach dem Osloer Abkommen wurden der palästinensischen Autonomiebehörde einige Anzeichen von Scheinsouveränität gewährt. So werden die Pässe von ein- und ausreisenden Palästinensern am Grenzübergang zu Jordanien an der Allenby-Brücke von palästinensischen Grenzbeamten entgegengenommen. Diese reichen sie weiter an für die Passinhaber unsichtbare israelische Beamte, die dann über Ein- oder Ausreise entschieden. Die Architektur des Kontrollgebäudes ist so angelegt, dass den Reisenden die Mechanismen von Macht und Kontrolle vollständig verborgen bleiben. »Die Architektur dieses Kontrollgebäudes verkörperte förmlich die militärische, politische und ökonomische Logik von Oslo.« Diese habe darauf abgezielt, die direkte israelische Besatzung und das »Management« der besetzten Palästinenser durch die Autonomiebehörde und somit die Verantwortung für sie durch diese zu ersetzen.

Die unter Einschluss palästinensischen Territoriums in Errichtung befindliche Sperrmauer soll mit Plänen israelischer Architekten so gestaltet werden, dass sie auf israelischer Seite mit viel Grünanpflanzungen einen schönen harmonischen Eindruck macht, während die Palästinenser den Anblick nackter Betonmauern und von Stacheldraht ertragen sollen. Unter den Umständen dieser bis heute ungebremst anhaltenden Entwicklungen »fragen sich manche Palästinenser mit Recht, ob es nicht besser wäre, wenn sich die palästinensische Autonomiebehörde vollends auflösen würde, bis die Bedingungen für eine echte Souveränität gegeben wären«.

Die israelische Armee hat für den Kampf in palästinensischen Städten und Flüchtlingslagern eine neue Form der urbanen Kriegsführung entwickelt, indem die israelischen Soldaten »durch Wände gehen«. Das heißt, sie marschieren durch in Häuserwände und -decken gesprengte Löcher, um sich nicht dem Beschuss auf offener Straße auszusetzen. So wurde 2002 die Operation »Verteidigungsschild« im Westjordanland »zu einem gigantischen Versuchsfeld für die innerstädtische Kriegsführung«. An Beispielen legt der Autor dar, wie palästinensische Familien dieses Eindringen in den Privatbereich als »die abgründigste Form von Trauma und Demütigung« erleben.

Die von der israelischen Armee gemachten Erfahrungen und in ihren wissenschaftlichen Einrichtungen gewonnenen Erkenntnisse asymmetrischer Kriegsführung sowie wirkungsvoller Besatzungs- und Einsperrungspraxis fanden bereits Eingang in Militärhandbücher der USA und anderer westlicher Länder. Weizman sieht in der von Israel angewandten Architektur der Abgrenzung und Kontrolle in den palästinensischen Gebieten ein visionäres Konzept, das weltweit zum Einsatz kommt, überall dort, wo ausgesperrt werden soll: Besatzer von Menschen besetzter Länder, wie in Irak oder Afghanistan, sowie Süd von Nord und arme von reichen Metropolen.

Weizmans Darlegungen gehen weit über den gewohnten Horizont eines Architekten hinaus. In der Bewertung der israelischen Politik verweist er auch auf die völkerrechtlichen nun menschenrechtlichen Dokumente, mit denen diese Politik unvereinbar ist. Statt über die Architektur von Besatzung und Unterdrückung und über Zerstörung von Architektur zu schreiben, hätte Weizmann sicher lieber ein Buch über die Architektur des Aufbaus geschrieben. Pläne dafür hat er schon. Er würde sie gern gemeinsam mit palästinensischen Architekten realisieren.

Eyal Weizman: Sperrzonen. Israels Architektur der Besatzung. Edition Nautilus. Hamburg. 384 S., br., 24,90 €.

* Aus: Neues Deutschland, 27. Mai 2010


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