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"Frieden, Frieden und kein Frieden"

Israels neue Regierung noch schwerer berechenbar als ehedem - Wahlerfolg von Hamas Wahlerfolg wird sich auf Dauer nicht ignorieren lassen

Von Reiner Bernstein, München*

Am 4. Mai wird Ehud Olmert seine Regierung von der neugewählten Knesset vereidigen lassen. Die Vorbereitungen verliefen in ungewöhnlich ruhigen Bahnen. Olmert scheint in seiner Partei fest im Sattel zu sitzen, obwohl er an das Charisma Ariel Sharons nicht heranreicht. Die Seniorenpartei hat schon jetzt vor ihrem eigenen, im Wahlkampf vorgetragenen sozialpolitischen Profil kapituliert, indem sie eine Fraktionsgemeinschaft mit „Kadima“ eingegangen ist. Olmerts Bündnispartner Amir Peretz kämpft in der Arbeitspartei ums politische Überleben, nachdem er eine Ministerliste präsentierte, die im Zentralkomitee nur eine knappe Mehrheit erhielt. Von seinem Anspruch, den Eintritt ins Kabinett von der Anhebung der Mindestlöhne abhängig zu machen, ist nichts übrig geblieben. Gleiches gilt für die Ankündigung, keiner rechtslastigen Regierung beizutreten. Nun wird er mit der Partei der ultrareligiösen „Sefardischen Torawächter (Shas)“ in einem Boot sitzen, die sich den Vorbehalt ausbedungen hat, unabhängig von Koalitionsmehrheiten den Rückzug aus Siedlungen in der Westbank abzulehnen. Avigdor Lieberman zögerte lange, seine Partei „Unser Haus Israel“ in die Regierung zu führen, bevor er seine Absage mit der absurden Behauptung begründen wollte, Olmert sei politisch nach links abgewandert.

Nach dem 28. März schien die israelische Politik zunächst auf ein stärkeres Maß an Pragmatismus zuzulaufen. Die geringe Wahlbeteiligung deutete auf Ermüdungserscheinungen und vielfältige Frustrationen über die Fortdauer des Konflikts hin. Die unumgängliche Ablösung von Verteidigungsminister Shaul Mofaz, dem seit Ausbruch der zweiten Intifada ein Regiment der verbrannten Erde gegenüber den Palästinensern vorgehalten wurde, galt als ein profundes Zeichen dafür, dass politischen Entscheidungen endlich der Vorrang gegenüber der Allmacht des Militärs zukommen solle. Nun wird Mofaz mit dem Ministerium für das Transportwesen entschädigt. Hinzu kommt der Posten des stellvertretenden Ministerpräsidenten, den er sich zwar mit Tsipi Livni und Shimon Peres teilen muss, doch weiß er eine einflussreiche Kamerilla an seiner Seite, die ihren Willen durchzusetzen versteht.

Die Betrauung von Peretz mit dem Verteidigungsressort war für viele unabhängige Kommentatoren ein günstiges Omen für ein neues Kapitel in den Beziehungen zu den Palästinensern. Zu seinem Credo gehörten während des Wahlkampfes eine Kosten-Nutzen-Rechnung der Besatzungspolitik und das Bekenntnis zu einer künftigen Grenzregelung auf der Basis von 1967, wobei er in diesem Punkt auf der Linie der „Genfer Initiative“ lag, ohne sich zu ihr zu bekennen. Das neue Regierungsamt und die Bedrohungen des innerparteilichen Verschleißes, die einen seiner Vorgänger, Amram Mitzna, zum Verzicht auf den Parteivorsitz zwang, dürften allerdings dafür sorgen, dass von beiden Zusicherungen nicht viel übrig bleibt. Der militärische Komplex in Gestalt des Generalstabes und das allgemeine Sicherheitsdenken, das sich in der Arbeitspartei ebenso wie in den anderen Parteien widerspiegelt, werden dafür sorgen, dass die Autorität des neuen Verteidigungsministers auf jenes Maß zurechtgestutzt wird, auf das sich Mofaz verließ – auf die Abhängigkeit von Ratgebern, die ihm wichtige Entscheidungen vorgaben und sein Gewerbe bestimmten.

Mit der neuen Regierung, deren Ministerzahl diejenige früherer Kabinette in den Schatten stellt, wird die israelische Politik von einer Außenperspektive her noch schwerer berechenbar sein als ehedem. Sieht man von der systemischen Unebenbürtigkeit ab, denen die Palästinenser unterliegen, weist sie eine verblüffende Ähnlichkeit mit dem Machtkampf zwischen Machmud Abbas und den extremistischen Kräften innerhalb der Islamischen Widerstandsbewegung auf. Auch hier stehen die Zeichen der Ungewissheit im Vordergrund. Gerade weil die Palästinenser aufgrund der Siedlungspolitik in der Westbank und in Jerusalem sowie wegen der israelischen Blockade des Gazastreifens weit davon entfernt sind, nationale Politikentwürfe in die Praxis umsetzen zu können, leisten sie sich Debatten, als ob sie allein die Herren ihrer politischen Zukunft seien. Da jedoch der internationale westliche und arabische Druck anhält und die palästinensische Bevölkerung dringend auf fremde finanzielle und wirtschaftliche Hilfen angewiesen ist, spricht vieles dafür, dass sich bei „Hamas“ binnen kurzem die Spreu vom Weizen trennt; die Rücktrittsdrohung von Ismail Haniyeh nach den unmäßigen Angriffen von Khaled Meshal in Damaskus sprechen eine deutliche Sprache. Auch in Israel kommt man allmählich dahinter, dass die jahrelange Forderung nach Demokratisierung des palästinensischen politischen Systems in einen Wahlerfolg mündete, der sich auf Dauer nicht ignorieren lässt.

Vor rund einem halben Jahrhundert hat der heute in Beersheva tätige Politologe Yigal Elam eine schmale Schrift unter dem Titel „Frieden, Frieden und kein Frieden“ veröffentlicht, in der er die regierungsamtliche Rhetorik in Jerusalem an ihrem alltäglichen Handeln maß. Es lohnt sich noch heute, diese Veröffentlichung zur Hand zu nehmen, weil Elam der Nachweis gelang, wie weit beide Elemente auseinanderklaffen. Diese Erfahrung hat in diesem Tagen erneut der aus dem Amt als „Quartett“-Sonderbotschafter scheidende James Wolfensohn gemacht. In seinem Abschlussbericht wirft er der israelischen Politik die systematische Verletzung von Vereinbarungen vor, die sie im Zuge der Evakuierung des Gazastreifens unterzeichnet habe, nämlich die Förderung des wirtschaftlichen Wiederaufbaus dieses 360 Quadratkilometer großen Landstrichs. Mehr noch: Wolfensohn stellt endlich die gesamte internationale Nahostpolitik vor die seit langem schwelende, aber nie beantwortete Frage, warum sie der Überzeugung anhing, dass finanzielle Hilfeleistungen für die Palästinenser schließlich und letzten Endes auf die Zweistaatenlösung zulaufen würden. Mit anderen Worten: Das „Quartett“ steht vor einem Scherbenhaufen, weil seine Partner einer Gleichung anhingen, die nicht aufgehen konnte. In der kommenden Woche wollen ihre Spitzen gemeinsam mit Kofi Annan überlegen, ob sie sich als Vermittler zurückziehen.

* Der Autor hat zuletzt das Buch "Von Gaza nach Genf. Die Friedensinitiative von Israelis und Palästinensern" (Schwalbach/Ts. 2006) vorgelegt.


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