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Bennett will Netanjahu rechts überholen

Der Komet am israelischen Parteienhimmel hat mit einem Palästinenserstaat nichts im Sinn

Von Oliver Eberhardt *

Israels Premier Netanjahu strebt nach der Parlamentswahl am 22. Januar die Bildung einer Koalition aus Konservativen und Zentrum an. Doch eine neue rechte Partei könnte diesen Plan zum Scheitern bringen: Umfragen zufolge wird »Das jüdische Heim« zur drittstärksten Kraft werden - und damit möglicherweise zum Zünglein an der Waage.

Stimmt es, dass er noch nicht unterschrieben hat? »Ja«, sagt der Sprecher. Wann wird er unterschreiben? »Das weiß ich nicht«, antwortet der Mann im Pressebüro von Regierungschef Benjamin Netanjahu. Anfang Dezember hatte das Kabinett als Reaktion auf die Aufwertung Palästinas zum Beobachterstaat bei den Vereinten Nationen beschlossen, die Planungen für das sogenannte E1-Projekt voran zu bringen, das eine Verbindung zwischen der Siedlung Ma'ale Adumim und Jerusalem herstellen soll - ein Vorhaben, mit dem Netanjahu wohl um die Stimmen der Rechten werben wollte.

Und das nun nach hinten los geht. Denn die Stadtverwaltung von Ma'ale Adumim reichte bereits wenige Tage später, viel schneller als erwartet, den Antrag auf Baugenehmigung bei Netanjahu ein - wo sie seitdem auf seine Unterschrift wartet.

Ein gefundenes Fressen für die Konkurrenten am rechten Rand. Wo nun eine bislang nahezu unbekannte Parteineuformierung fast aus dem Nichts in der Wählergunst auf 15 der 120 Parlamentssitze schoss, und damit zur drittstärksten Kraft werden könnte. Sie heißt »Das jüdische Heim« und wird von Naftali Bennett angeführt - einem Mann, der 2006 Netanjahus Büroleiter war und ihm dann 2007 zum Vorsitz des Likud-Blocks und Anfang 2008 zur zweiten Amtszeit als Premierminister (Netanjahu leitete bereits 1996-99 die Regierung) verhalf. Heute, sagt man, verlaufe, politisch wie persönlich, ein tiefer Graben zwischen den beiden.

So treten Bennett und seine Partei, ein junger Zusammenschluss aus kleinen teils ultrarechten Parteien, vehement für einen massiven Ausbau der israelischen Siedlungen im Westjordanland ein, wenden sich gegen gleichgeschlechtliche Ehen, deren Einführung so gut wie beschlossene Sache war, bevor Netanjahu die vorgezogene Wahl beantragte, und fordern eine Zerschlagung der mächtigen Gewerkschaft Histadruth.

Doch am stärksten scheint bei den Wählern der sogenannte »Bennett-Plan« einzuschlagen. Einen Palästinenserstaat gäbe es danach nicht. Israel solle alle C-Gebiete - also jene Teile des Westjordanlandes, die sich den Osloer Übereinkünften gemäß komplett unter israelischer Kontrolle befinden - und damit alle Siedlungen annektieren; die dort lebenden 50 000 Palästinenser würden die israelische Staatsbürgerschaft erhalten. Der Gazastreifen sollte nach Bennetts Vorstellungen unter ägyptische Hoheit zurückkehren.

Für Netanjahu ist das ein gigantisches Problem. Zwar gilt es als sicher, dass Präsident Schimon Peres ihn nach der Wahl mit der Regierungsbildung beauftragen wird. Doch wie die künftige Politik aussehen wird, entscheidet sich maßgeblich durch die Zusammensetzung der Koalition. Hier setzt Netanjahu, obwohl er selbst das Westjordanland als Teil Israels betrachtet, auf eine schlanke Koalition mit zwei oder drei Parteien im politischen Zentrum - seine Politik ist traditionell weniger ergebnisorientiert als auf den Machterhalt ausgelegt. Doch dafür könnte es unter Umständen nicht reichen.

Die E1-Aktion war ursprünglich dafür gedacht, genug Wähler im rechten Spektrum für den Block Likud/Jisrael Beitenu zu begeistern, um auf weit mehr als 40 Sitze zu kommen; dass es mit dem Plan wirklich ernst werden würde, war nicht erwartet worden. Doch nun brechen dem Premier, dessen eigenes Parteienbündnis Likud sich gerade erst mit der Partei Avigdor Liebermans vereinigt hat, die Stimmen weg, nachdem Lieberman als Außenminister zurücktreten musste. Gegen ihn war Anklage wegen Betrugs und Untreue erhoben worden.

Das Bekanntwerden der fehlenden Unterschrift für die Verbindung nach Ma'ale Adumim treibt zudem viele rechte Wähler in die Arme der Bennett-Partei. Selbst wenn sich beide nach der Wahl zu einer Koalition bereit finden würden, wäre es unwahrscheinlich dass sich für eine Mehrheit ausreichend andere Partner finden, die bereit sind, die Forderungen von »Das jüdische Heim« mitzutragen.

Dies könnte dann dazu führen, dass Likud/Jisrael Beitenu sich in einer Koalition wiederfindet, in der Mitte-Links dominiert. Doch deren Parteispitzen haben am Wochenende nach einem Treffen eine Koalition für den Fall ausgeschlossen, dass die Baugenehmigung unterschrieben wird.

* Aus: neues deutschland, Donnerstag, 10. Januar 2013


Rennen der Rechten

Israel: Parteien werben im Wahlkampf um Siedler

Von Karin Leukefeld **


Zwei Wochen vor den vorgezogenen Neuwahlen in Israel am 22. Januar wetteifern das Regierungslager um Benjamin Netanjahu und seinen am rechten Rand agierenden Koalitionspartner Avigdor Lieberman von der Partei »Unser Haus Israel« mit der noch weiter rechts stehenden Oppositionspartei »Jüdisches Zuhause« um den politischen Neuaufsteiger Naftali Bennett. 34 Parteien konkurrieren um die 120 Sitze der Knesset, dem israelischen Parlament.

»Ein starker Ministerpräsident, ein starkes Israel« lautet das Motto der Likud-Partei, mit dem Netanjahu um Stimmen unter den 500000 Siedlern wirbt, die politisch am rechten Rand der israelischen Gesellschaft stehen. Bezugnehmend auf die anhaltende Kritik an der völkerrechtswidrigen Siedlungspolitik Israels in Ostjerusalem und im besetzten Westjordanland erklärte Netanjahu am Montag bei einem Wahlkampfauftritt in Jerusalem, die »größte Gefahr für die Welt« gehe »nicht von den Juden aus, die in der seit Urzeiten uns gehörenden Hauptstadt Jerusalem bauen, sie geht von den Atomwaffen im Iran aus«. Am Dienstag wiederholte Netanjahu dies bei einem Besuch in der illegalen Siedlung Ariel östlich von Jerusalem und bezeichnete den Siedlungsbau als »heilige Pflicht«.

Mehrere Mitglieder der Likud-Partei forderten derweil die Annexion der von der israelischen Besatzungsmacht mit »C« gekennzeichneten Gebiete im Westjordanland, die bereits unter militärischer Kontrolle stehen. Es handelt sich um etwa 60 Prozent der Westbank, in denen sich die illegalen Siedlungen befinden. Zeev Elkin, der Vorsitzende der Regierungskoalition, empfahl eine stückweise Annexion. Der rechtsextreme Siedler Moshe Feiglin schlug vor, den palästinensischen Familien 500000 US-Dollar zu bezahlen, damit sie »Judäa und Samaria« (Westjordanland) verlassen.

Netanjahu und seine Likud-Partei wollen sich offenbar vom Herausforderer Naftali Bennett und dessen Partei »Jüdisches Zuhause« absetzen. Bennett, den seine Geschäfte im Bereich Hochtechnologie zum Multimillionär gemacht haben, wurde in Haifa geboren und ist Major der Reserve der israelischen Streitkräfte. Er diente in der Eliteeinheit Sayaret Matkal, die dem militärischen Geheimdienst der Streitkräfte untersteht. Zwischen 2004 und 2008 war Bennett Büroleiter von Netanjahu während dessen erster Amtszeit als israelischer Ministerpräsident. Ende 2012 erklärte er öffentlich, als Reservist werde er sich weigern, illegale israelische Siedlungen, die er als »Vorposten« bezeichnete, zu räumen. Politisch ist Bennet in der außerparlamentarischen Siedlerbewegung »Mein Israel« und dem »Siedlerrat von Judäa und Samaria« groß geworden.

»Die wichtigste Frage ist die Frage der Macht«, erklärte er im Interview mit der britischen Tageszeitung The Guardian. »Wenn wir genügend Sitze in der Knesset bekommen, werden wir der größte und einflußreichste Partner in der nächsten Regierung Netanjahu.« Bennett plädiert für die Annexion des Westjordanlands und schlägt vor, daß dort lebende Palästinenser entweder israelische Staatsbürger werden oder in die unter der Kontrolle der Palästinensischen Autonomiebehörde stehenden Landesteile übersiedeln sollen. Den Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern bezeichnete Bennett laut Guardian als »unlösbar«. »Es wird keinen palästinensischen Staat in dem Ministaat Israel geben.« Dies wäre »eine Katastrophe für die nächsten 200 Jahre«. Er werde die kommenden vier Jahre nicht damit verbringen »über Israel und die Palästinenser zu quatschen«.

** Aus: junge Welt, Donnerstag, 10. Januar 2013


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