Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Vergessene Beduinen in Negev?

Ärzte für Menschenrechte Israel über die Diskriminierung einer Minderheit / Miri Weingarten von Ärzte für Menschenrechte leitet die NGO in den besetzten Gebieten


ND: Der Nahost-Konflikt wird durch die Debatte um Gaza und den Siedlungsbau bestimmt. Sind die Beduinen in der Negev-(Naqab) Wüste eine vergessene Minderheit?

Weingarten: Sicher, wenn man über den Nahost-Konflikt redet, kommt die Beduinen-Problematik kaum ans Licht. Aber eigentlich ist ihre Geschichte eine internationale Geschichte, wie alle Ureinwohner - ob die indigenen Völker, die Aborigines oder die Maoris - sie erlebt haben. Es geht auch bei den Beduinen um Vertreibung, um den Verlust der eigenen Traditionen und um den finanziellen Ruin.
Ärzte für Menschenrechte Israel (PHR-IL) versucht darauf aufmerksam zu machen.

Nach der Staatsgründung 1948 hat man versucht, die Beduinen umzusiedeln, noch heute weigern sich viele. Warum?

Die Regierung (damals Ben Gurion) hat die Beduinen zur Sesshaftigkeit gezwungen . Es wurden neue Dörfer gebaut, aber da wollten sie nicht hin. Weil es erstens bedeutete, ihr Land aufzugeben, was mit der Gründung Israels de facto passiert ist, und es nicht ihrer traditionellen Lebensweise entspricht. Zweitens waren die, die in die Dörfer gezogen sind, mehr von Arbeitslosigkeit, Kindersterblichkeit und vom Anstieg der Kriminalität betroffen.

Wo leben die Beduinen, die sich nicht umsiedeln ließen?

Es gibt insgesamt 45 Beduinen- Dörfer, die nicht von der Regierung anerkannt werden. Die sind »illegal«, was bedeutet, dass sie keinen Zugang zu Trinkwasser, keine Elektrizität, keine Kliniken, Straßen oder Schulen haben. Die Kindersterblichkeit ist fünf mal so hoch wie bei der restlichen israelischen Bevölkerung. Hinzu kommt das Problem einer Mülldeponie, die die israelische Regierung mitten in den »illegalen« Dörfern betreibt. Diese setzt toxische Gase frei und sorgt für noch mehr Erkrankungen. Israel rät den Bewohnern, zum Schutz nicht gegen den Wind zu laufen

Als die Beduinen ihres Landes beraubt wurden, hat man sie zu israelischen Staatsbürgern erklärt. Als solche können sie ja ihre Rechte einklagen.

Das tun sie auch, aber sie verlieren. Wir haben vor Kurzem ein junges Mädchen vor Gericht vertreten, das Lungenprobleme hat und deshalb an ein Beatmungsgerät angeschlossen werden muss. Doch dafür gibt es in ihrem unregistrierten Dorf keine Elektrizität. Das Gericht hat uns bzw. ihr jegliche Hilfe verweigert. Mit der Begründung, sie könne ja in eines der legalen Dörfer ziehen, wo es Strom gibt. Wir haben auch unzählige Fälle verloren, wo es um die Wasserversorgung geht.

Gibt es Fälle, die Sie gewonnen haben?

Bisher nur einen. 2006 haben wir dagegen geklagt, dass die Anbauflächen der Beduinen von der Regierung mit Pestiziden besprüht werden. Das Gericht hat diese Machenschaften untersagt. Allerdings hält sich Israel nicht an Verbote, es hat sich also nichts geändert.

Trotzdem machen Sie weiter?

Ja, wir versuchen ein Netzwerk an Hilfsangeboten zu knüpfen. Wir haben Frauenorganisationen in den »illegalen« Dörfern gegründet, so dass sich die Beduinen-Frauen selbst verteidigen können. Unser Kampf gegen Ungerechtigkeit geht im Inneren weiter, aber damit sich etwas ändert, muss die EU Druck ausüben. Während unserer jetzigen Reise treffen wir Politiker aller Parteien. Wir erhoffen uns von Deutschland nicht viel, aber wir wollen zumindest über die Geschehnisse berichten. Über Gaza, über die Enklaven in der Westbank, vielleicht will der ein oder andere ja auch etwas über die Lage der Beduinen wissen.

Fragen: Nissrine Messaoudi

* Aus: Neues Deutschland, 10. Februar 2010

Siehe hierzu auch:
Die Beduinen Israels – eine vergessene Minderheit
Von Kathrin Köller, Oxford (Beitrag aus der Zeitschrift INAMO)


Zurück zur Israel-Seite

Zur Palästina-Seite

Zurück zur Homepage