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Barenboim: Zu viele glauben an Gewalt

Das israelisch-arabische West-Eastern Divan Orchestra lud zu Frieden, Probe und Gespräch

Von Volkmar Draeger *

Wenn das West-Eastern Divan Orchestra heute Abend (12. Januar) unter der Leitung von Daniel Barenboim in der Staatsoper Beethoven und Brahms spielt, dann ist das mehr als ein normales Konzert. Denn das Jubiläum des vor zehn Jahren gegründeten Jugendorchesters sollte seinen Auftakt in Kairo und Doha haben. Doch dem damals von Barenboim und dem palästinensischen Literaturwissenschaftler Edward Said initiierten Unternehmen ist mit Blick auf diese Auftritte seine humanistische Grundidee in der gegenwärtigen politischen Situation zum Verhängnis geworden.

Dialog und Verständigung als Säulen jenes nach Goethes Gedichtzyklus benannten Orchesters praktizieren derzeit 32 Musiker aus Israel, 19 aus Spanien, 34 aus Palästina, Syrien, Ägypten, Jordanien, der Türkei. Die dramatische Lage im Gazastreifen lässt aus Sicherheitsgründen Konzerte etwa in Kairo nicht geraten erscheinen. So sprang als Aufführungsort die Lindenoper ein. Das Konzert um 20 Uhr war binnen 24 Stunden, ein zusätzliches um 23 Uhr binnen 32 Stunden ausverkauft. Das ist die positive Nachricht nach außen hin. Denn freilich hatten die jungen Künstler, als sie am Samstag zur ersten Turnusprobe nach einem halben Jahr anreisten, Zorn, Angst und Betroffensein vom Krieg im Nahen Osten im Gepäck.

Auf einem internen Meeting kamen sie ins Gespräch, artikulierten Positionen. Am Sonntag traten vier von ihnen gemeinsam mit Barenboim und Saids Witwe vor die Presse. Klare Worte waren ebenso zu hören wie das Bemühen um Verständnis für die Haltung des Anderen. Noch vor zwei Jahren, sagt die israelische Oboistin Meirav Kadichevski, als Israel im Libanon einmarschierte, wollten viele Musiker nicht mehr zu den Workshops kommen, diesmal sind es nur zwei. Gemeinsam weiterzumachen, sei die richtige Entscheidung.

Okkupation nennt der palästinensische Bratschist Ramzi Aburedwan Israels Vorgehen in Gaza, das seit zwei Jahren abgeriegelt sei. Mit 14, fügt Barenboim an, bewarf Ramzi israelische Panzer mit Steinen - die Musik habe sein Leben gerettet. In Ramallah unterhält Aburedwan eine Musikschule, bringt Musik in Flüchtlingslager, zu den Armen, zu Kindern im Libanon. Die israelische Regierung sollte uns die Hoffnung auf Freiheit geben, fordert er.

Zu viele Menschen in dieser Region glauben an Macht, Kraft, Gewalt, fügt Barenboim an: Die Besetzung Gazas muss ebenso aufhören wie der Beschuss Israels, den Palästinensern gebühren die gleichen Rechte, wie Israel sie genießt. Selbst die Musikschule von Gaza sei inzwischen zerstört. Nicht jeder sollte zuerst seine Sicht schützen, ergänzt der israelische Geiger Guy Braunstein, Konzertmeister der Berliner Philharmoniker.

Den schwierigsten Stand hat der Geiger Nabeel Abboud Ashkar: Geboren in einer palästinensischen Familie, lebt er in Nazareth, leitet dort das Konservatorium, zieht von Dorf zu Dorf auf der Suche nach Talenten. Aus seiner Schule stammt mit 11 Jahren das jüngste Orchestermitglied. »Ich befinde mich voll in der Diskussion mit mir selbst«, bekennt er und meint, dass aus jedem bewaffneten Konflikt die israelische Armee, wiewohl stärkste Kraft der Region, moralisch geschwächt hervorgehe.

Einig sind sich alle, dass sich militärisch keine Lösung im Nahen Osten erzielen lässt - und dass »ihr« Orchester endlich in allen Ländern, die sie repräsentieren, spielen möchte. Ihre Gefühle drücken sie, lieber als mit Worten, in der Musik aus.

* Aus: Neues Deutschland, 12. Januar 2009


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