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Die prächtigen 27
The Magnificent 27

Die Luftwaffenpiloten und die "schwarze Flagge der Illegalität"
The Air Force pilots and "the black flag of illegality"

Von Uri Avnery

Vor anderthalb Jahren entschied sich eine kleine Gruppe Israelis, ein Tabu zu brechen und das Problem der Kriegsverbrechen, zur Sprache zu bringen. Bis dahin war es selbstverständlich, dass die israelische Armee „die moralischste und humanste Armee der Welt“ ist – so die offizielle Redeweise - und deshalb kann sie solche Dinge nicht tun. Die Gush Shalom-Bewegung (zu der ich gehöre), veranstaltete eine öffentliche Tagung in Tel Aviv und lud eine Gruppe Professoren und Personen der Öffentlichkeit ein, um darüber zu diskutieren, ob unsere Armee Kriegsverbrechen begehe. Der Star des Abends war der Oberst Yigal Shohat, ein Kriegsheld, der während des Yom-Kippur-Krieges über Ägypten abgeschossen wurde. Ein hingebungsvoller ägyptischer Arzt amputierte sein Bein. Nach seiner Rückkehr studierte er Medizin und wurde selbst Arzt. Mit einer vor Bewegung zitternder Stimme las er laut einen persönlichen Appell an seine Kameraden, die Piloten der Luftwaffe, vor und bat sie, Befehle zu verweigern, über denen die „schwarze Flagge der Illegalität“ weht( ein Ausdruck, der vom Militärrichter im Zusammenhang mit dem Kafr Kassem-Massaker vor Gericht (1957) geprägt wurde). Zum Beispiel Befehle, über palästinensischen Wohngebieten Bomben abzuwerfen, um „gezielte Tötungen“ durchzuführen. Die Rede verursachte ein großes Echo. Aber dem Armeekommando gelang es, den „Schaden unter Kontrolle“ zu halten. Der Luftwaffenkommandeur General Dan Halutz, außer dem Generalstabschef Moshe Ya’alon vielleicht der extremste Offizier, wurde gefragt, was er empfinde, wenn er über palästinensischem Wohngebiet eine Bombe abwerfe. Er antwortete: „Ich spüre ein leichtes Zittern in den Flügeln“. Er fügte noch hinzu, dass er nach solch einem Angriff „sehr gut schlafe“.

Es schien so, als hätte sich Shohats Aufruf in dünne Luft aufgelöst – aber nun erweist es sich, dass dem nicht so war. Die Saat ging langsam auf. Besonders nachdem ein Pilot eine Ein-Tonnen-Bombe über einem Wohngebiet in Gaza abgeworfen hatte, um einen Hamas-Führer zu treffen. Er tötete noch 17 andere, Männer, Frauen und Kinder, die sich in der Nähe befanden. Viele Piloten kämpften seitdem mit ihrem Gewissen. Jetzt hat das Gewissen von 27 gewonnen. Nach israelischer Mythologie sind die Kampfpiloten die Elite der Elite. Viele von ihnen sind Kibbuzmitglieder, die früher als die Aristokratie Israels angesehen wurden. Eser Weitzman, ein früherer Luftwaffenkommandeur, prägte einst den Satz: „die besten Jungs fürs Fliegen“ ( und im typisch machohaften Stil der Luftwaffe: „die besten Mädchen für die Flieger“.) Die Piloten werden von Jugend an dahin erzogen, zu glauben, wir hätten immer recht und unsere Gegner seien üble Mörder; Armeekommandeure sich niemals irrten, ein Befehl ein Befehl sei, und wir niemals die Frage Warum? stellen sollten. Dass dieser Professionalismus wichtiger sei als alles andere; diese Probleme innerhalb der Streitkräfte gelöst werden müssten und dass die Autorität der politischen Führung nicht angezweifelt werde. Da existiert eine ganze Mythologie über die Rolle, die die Luftwaffe bei den israelischen Siegen in all unsern Kriegen gespielt habe: vom winzigen Piperflugzeug 1948, der Zerstörung der ägyptischen Luftwaffe im Yom-Kippur-Krieg 1973 und so weiter. Die Luftwaffe nimmt natürlich keine Nonkonformisten auf. Die Kandidaten für das Flugtraining werden sorgfältig geprüft. Das Militär wählt solide, disziplinierte Jugendliche, auf die man sich verlassen kann, was den Charakter und ihre Ansichten betreffen. Zionisten und Söhne von Zionisten.

Dazu kommt, dass die Luftwaffe ein Clan, eine Sekte, ist, deren Mitglieder absolut loyal gegenüber der Luftstreitmacht und zu einander sind. Niemals gab es öffentlichen Streit oder Anzeichen einer Meuterei innerhalb der Luftwaffe.

All dies erklärt, warum die Piloten so lange mit sich selbst gekämpft haben, bevor sie in sich die geistige Kraft fanden, solch einen außergewöhnlichen, moralisch mutigen Schritt zu tun, den Brief zu veröffentlichen. Die 27 Luftwaffenpiloten informierten ihre Kommandeure, dass sie sich von jetzt an weigern würden, „unmoralische und illegale Befehle“ auszuführen, die den Tod von Zivilisten verursachten. Am Ende ihres Statements griffen sie die Besetzung an, die Israel korrumpiert und seine Sicherheit gefährdet. Der ranghöchste Offizier unter den Unterzeichnern ist Generalmajor Yiftah Spector, der auch eine lebende Legende ist. Er ist der Sohn von einem „der 23 Männer im Boot“, einer Gruppe, die während des 2. Weltkrieges in den Libanon gesandt wurde, um die Erdölinstallationen zu zerstören ( damals unter der französischen Pro-Nazi Vichy–Kontrolle). Man hat nie wieder etwas von ihr gehört. Yiftah Spector war der Ausbilder von vielen der heutigen Kommandeure der Luftstreitkräfte. Im ganzen wurde das Statement von einem General, zwei Obersten, neun Oberstleutnanten, acht Majoren und sieben Flugkapitänen unterzeichnet.

So etwas hat sich nie zuvor in Israel ereignet. Wegen der besonderen Rolle der Luftstreitkräfte hat diese Verweigerung ein viel lauteres Echo gefunden als die Verweigerungsbewegung der Infanteriesoldaten, die etwa 500 Soldaten umfasst und sich dann bis heute so gehalten hat.

Das Armee-Establishment, die wirkliche Regierung Israels, spürt die Gefahr und reagierte, wie sie nie zuvor reagiert hat. Es begann mit einer wilden Kampagne der Diffamierung, der Hetze und des Rufmordes. Die Helden von gestern wurden über Nacht zu Volksfeinden. Alle Teile der Regierung – vom Ex-Präsidenten Eser Weitzman bis zum Staatsanwalt ( der schon ein Auge auf den Sitz im Obersten Gericht geworfen hat), vom Außenminister bis zu den Politikern der Labour- und Meretz-Partei – wurden aktiviert, um die Meuterei der Piloten zu brechen. Der Gegenangriff wurde von den Medien angeführt. Niemals zuvor haben diese ihr wahres Gesicht so deutlich gezeigt wie dieses Mal. Alle Fernseh-Kanäle, alle Radiostationen und alle Zeitungen – ohne Ausnahme! – offenbarten sich als Diener und Sprecher des Armeekommandos. Auch die liberale Ha’aretz widmete ihre Titelseite einem wilden Angriff auf die Piloten, ohne einem anderen Gesichtspunkt Raum zu geben. Es war unmöglich, eine Fernsehsendung anzuschalten, ohne dem Luftwaffenkommandeur zu begegnen und nach ihm einer langen Reihe von Persönlichkeiten des Establishments, die einer nach dem anderen die Piloten verurteilten. Armeelager wurden für die Fotografen geöffnet, loyale Offiziere verurteilten ihre Kameraden als „Verräter“, die „ein Messer in ihren Rücken gestochen hätten“. Außer einem einzigen Interview auf Kanal 2 wurde den Verweigerern nicht die Möglichkeit gegeben, ihren Standpunkt zu vertreten und gegenüber ihren Verleumdern Rede und Antwort zu stehen.

Zweifellos ist das Establishment besorgt. Vielleicht gelingt es ihm dieses Mal noch, die Ausbreitung des Protestes zu verhindern und andere potentielle Meuterer abzuschrecken, indem sie Furcht, erzeugen, diffamieren und mit Strafen drohen. Die Botschaft der 27 aber kann nicht mehr ausradiert werden. Dieser Einsatz der Flieger hat dem Staat Israel mehr gedient als irgend einer der Hunderte von Einsätzen im Laufe ihres Militärdienstes. Eines Tages wird Israel erkennen, was sie diesen tapferen 27 zu verdanken hat.

(Übersetzt von: Ellen Rohlfs)

www.uri-avnery.de / ZNet Deutschland 27.09.2003


The Magnificent 27

By Uri Avnery


A year and a half ago, a small group of Israelis decided to break a deeply entrenched taboo and bring up the subject of war crimes. Until then, it was self-evident that the IDF is "the most moral and humane army in the world", as the official mantra goes, and is therefore quite incapable of such things.

The Gush Shalom movement (to which I belong) called a public meeting in Tel-Aviv and invited a group of professors and public figures to discuss whether our army is committing such crimes. The star of the evening was Col. Yig'al Shohat, a war hero shot down over Egypt in the Yom Kippur war. His damaged leg had to be amputated by an Egyptian surgeon. Upon his return, he studied medicine and became a doctor himself.

In a voice trembling with emotion, he read out a personal appeal to his comrades, the Air Force pilots, calling on them to refuse orders over which "the black flag of illegality is waving" (a phrase coined by the military judge at the Kafr Kassem massacre trial in 1957). For example, orders to drop bombs on Palestinian residential neighborhoods for "targeted liquidations".

The speech aroused a strong echo, but the army command succeeded in "damage control". The Air Force commander, General Dan Halutz, perhaps the most extremist IDF officer except Chief-of-Staff Moshe Ya'alon, was asked what he feels when he releases a bomb over a Palestinian neighborhood and answered: "I feel a slight bump." He added that after such an attack he "sleeps very well."

It seemed as if Shohat's call had evaporated into thin air - but not any more. The seed has matured slowly. This process accelerated after a pilot released a one-ton bomb over a residential neighborhood in Gaza in order to kill a Hamas leader, abruptly ending the lives of 17 bystanders, men, women and children. Many pilots were deeply troubled by this. Now the conscience of 27 of them has spoken out.

In Israeli mythology, combat pilots are the elite of the elite. Many of them are Kibbutz-boys, who were once considered the aristocracy of Israel. Ezer Weitzman, a former Air Force commander, once coined the phrase "The Best Boys for Flying" (and immediately added, in the typical macho style of the Force, "and the Best Girls for the Flyers".)

The pilots are bought up from an early age to believe that we are always right, and that our opponents are vile murderers. That the army commanders never make a mistake. That an order is an order, and theirs is not to reason why. That professionalism is the highest virtue. That problems have to be solved inside the Force. That one does not question the authority of the political leadership. There exists a whole mythology about the part played by the Force in the Israeli victories in all our wars: from the tiny Piper planes in 1948, the destruction of the Egyptian Air Force in the Yom Kippur war of 1973, and so forth.

The Air Force does not, of course, take in non-conformists. Candidates for flight training are scrutinized carefully. The force chooses solid, disciplined youngsters who can be relied on, both as to their character and their views, Zionists and the sons of Zionists.

Moreover, the Air Force is a clan, a sect whose members are ferociously loyal to the Force and to each other, There have never been public quarrels or signs of mutiny in the Air Force.

All this explains why the pilots struggled with themselves for so long, before they found in themselves the inner strength required for such an extraordinary, morally courageous act as publishing this appeal.

The 27 Air Force pilots informed their commander that from now on they would refuse to fulfil "immoral and illegal orders" that would cause the death of civilians. At the end of their statement, they criticized the occupation that is corrupting Israel and undermining its security.

The most senior officer among the signatories is Major General Yiftah Spector, who is also a living legend. He is the son of one of the "23 men in the boat", a group that was sent in World War II to demolish oil installations in Lebanon (at the time under Nazi-puppet Vichy French control) and never heard of again. Yiftah Spector was the instructor of many of the present commanders of the Air Force. Altogether, the statement was signed by one general, 2 colonels, 9 lieutenant colonels, 8 majors and 7 captains.

Such a thing is unprecedented in Israel. Because of the special standing of the Air Force, the refusal evoked a much louder echo than the refusal movement of the ground troops that seems to have leveled out, for the moment, at about 500 refuseniks.

The army establishment, the real government of Israel, sensed the danger and reacted as it had never reacted before. It started a wild campaign of defamation, incitement and character assassination. The heroes of yesterday were turned overnight into enemies of the people. All parts of the government - from ex-president Ezer Weitzman to the Attorney General (who already has his eye on a seat in the Supreme Court), from the Foreign Office to the politicians of the Labor and Meretz parties - were mobilized in order to crush the mutiny of the pilots.

The counter-attack was headed by the media. Never before did they expose their real face as on this occasion. All TV channels, all radio networks and all newspaper - without exception! - revealed themselves as servants and mouthpieces of the army command. The liberal Haaretz, too, devoted its front page to a ferocious attack on the pilots, without giving space to the other point of view.

It was impossible to switch on a TV set without encountering the Air Force commander, and after him a long line of establishment figures who, one after another, condemned the pilots. Army camps were opened to the cameras, loyal officers damned their comrades as "traitors" who had "stuck a knife in our backs". Except for one single interview on Channel 2, the "refusers" were not given any opportunity at all to explain their point of view or answer their detractors.

No doubt: the establishment is worried. Perhaps it may succeed in containing the protest this time and deterring other potential mutineers by spreading defamation, fear and punishment. But the message of the 27 has been written and nothing can change that.

With this sortie the flyers have served the State of Israel more than on any of the hundreds of others in the course of their army service. Some day Israel will recognize the huge debt it owes to the valiant 27.

September 27, 2003


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