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Wie man Sharon helfen kann / How to Help Sharon

Ein paar "nützliche Ratschläge" von Uri Avnery / Some "useful advice" by Uri Avnery

Den folgenden Text schickte uns Uri Avnery am 14. Dezember auf Englisch; kurze Zeit später ist eine deutsche Übersetzung gemacht worden (Dank an Ellen Rohlfs!), sodass wir im Folgenden den Originaltext und eine deutsche Version anbieten können.


Wie man Sharon helfen kann

Von Uri Avnery

Wenn man Sharon helfen will, an der Macht zu bleiben – dann gibt es hier ein paar nützliche Ratschläge:

1.Redet über eine „Nationale Einheitsregierung“, die nach den Wahlen aufgebaut werden soll.

Das ist ein raffinierter Trick. Er besagt, dass es in der Tat keinen Unterschied zwischen dem Likud und der Labor-Partei gibt. Wenn es so ist, warum soll man dann Labor wählen? Wenn dies nichts anderes als eine personelle Wahl zwischen Sharon und Mitzna ist, die morgen irgendwie Seite an Seite am selben Tisch sitzen, wäre dann nicht der erfahrene und charismatische Sharon dem unerfahrenen und nüchternen Mitzna vorzuziehen? Andrerseits ist dies ein sicheres Rezept dafür, jeden, der Sharon verabscheut, von der Labor-Partei zu vertreiben.
Außerdem sagen all jene, die über eine Einheitsregierung reden, tatsächlich, dass der Likud sicher gewinnen wird. Keiner redet über eine Einheitsregierung, die von Mitzna angeführt wird. Es ist ein von vornherein feststehender Beschluss, dass die Einheitsregierung von Sharon geleitet wird. Da die unentschlossenen Stimmen immer dahin tendieren, zum voraussichtlichen Sieger zu gehen, ist die Botschaft klar.
Dies mag sich auch als eine Prophezeiung erweisen, die sich selbst erfüllt. Falls Mitzna geschlagen wird, wird die Partei wieder in die Hände der Ritter mit dem klebrigen Hintern fallen.

2. Verbreitet die Geschichte vom moderaten „neuen Sharon“, der praktisch ein Linker geworden, und dessen einziger Traum es ist, als Mann in die Geschichte einzugehen, der Frieden mit den Palästinensern geschlossen hat.

Jeder, der Sharon kennt, weiß, dass dies ein Mythos ist, das ausgetüftelte Produkt von Propaganda-Experten. Aus Sharon ist kein Moderater geworden. Seit zwei Jahren führt er einen unbarmherzigen Krieg gegen die Palästinenser mit dem Ziel, das palästinensische Volk durch die Vernichtung seiner nationalen Führung zu brechen, indem es diese tötet und seine wirtschaftliche Infrastruktur zerstört. Sharon hat jeden Weg für einen Dialog blockiert. Täglich leistet er sich Provokationen. In wahnsinnigem Tempo lässt er Siedlungen bauen. Die „moderaten“ Erklärungen waren für Amerika und israelische Idioten gedacht.
Sharons Statements über einen „Palästinensischen Staat“ sind Unsinn. Höchstens ist er bereit, den Palästinensern eine verstümmelte Autonomie über 40% der besetzten Gebiete zu geben, (also 8% von Palästina von vor 1948) und nur, nachdem die Palästinenser ihre Hände hoch heben und sich bedingungslos ergeben. Er weiß sehr wohl, dass dies kein Palästinenser akzeptiert. Das wahre Ziel ist deshalb, die Palästinenser aus dem Lande zu vertreiben. Für dieses Programm gibt es im Likud, bei Shas, Mafdal* und den Nationalen Einheitsparteien eine klare Mehrheit, die bei den nächsten Wahlen eine Mehrheit bilden können. Der Haupthausierer, der die Bilder des „friedensliebenden“ Sharon vertreibt, ist Shimon Peres. Nachdem er die letzten beiden Jahre als National-Prostituierter verbrachte, sehnt er sich nach weiteren solchen Jahren. Er könnte sein persönliches Possenspiel in eine nationale Tragödie verwandeln. Da er nicht ohne ministeriellen Dienstrang leben kann, würde er für einen Tag als Außenminister sogar seine Großmutter verkaufen – von seiner Partei ganz abgesehen.
Genau deshalb spricht er jetzt, als ob der Sieg über Mitzna eine vollendete Tatsache wäre, und dass nun nichts mehr zu tun übrig bliebe, als über die Bedingungen der Übergabe zu verhandeln (also das Außenministerium für Peres)

3. Macht alles Mögliche, um Mitzna in den Schatten zu stellen.

Amram Mitzna ist der Gegenkandidat. Da gibt es keinen anderen. Da mag ihn einer bewundern oder nicht, ihn lieben oder nicht – wenn man Sharon schlagen will, muss man sich darauf konzentrieren, Mitzna aufzubauen. Die Wahlkampagne ist zu aller erst ein persönliches Duell zwischen diesen beiden Männern. Wenn man Sharon helfen will, muss man Mitzna als unglückselige Gestalt darstellen, ein Gefangener der Rechten in seiner eigenen Partei. Man muss sagen, dass sogar seine eigene Partei gegen seine Politik ist, dass sich seine linke Linie für Labor als Katastrophe herausstellen wird.

4.Gebt den Startschuss für einen Bürgerkrieg zwischen den Parteien der Linken!

Falls ein Bürgerkrieg zwischen der Laborpartei und Merez ausbrechen würde und zwischen den beiden und Hadash – so wäre das wunderbar. Sie werden damit beschäftigt sein, sich gegenseitig zu verunglimpfen und so den Job der Rechten erledigen. Keiner wird noch übrige Energie haben, um gegen Sharon zu kämpfen.
Die Beilin-Affäre ist dafür ein guter Beweis. Sie ist dargestellt worden, um die Heuchelei und/ oder die Schwäche von Mitzna zu beweisen und aufzuzeigen, dass die Partei sich zur Rechten hin bewegt hat. Das hat mit Realität nichts mehr zu tun. Der Fall Beilin,(der nicht genug Stimmen für die Labor-Vorwahlen erhielt) war durch innerparteiliche Rivalitäten verursacht. Er war innerhalb der Partei weitgehend unbeliebt geworden, als er damit drohte, sie zu verlassen, wenn man sein Programm nicht annähme. Eine Partei, die Mitzna mit überwältigender Mehrheit wählte, wird nicht plötzlich zum Falken, wenn sie Beilin fallen lässt. Es ist überhaupt nicht klar, wer von den beiden mehr „links“ ist.
Aber all dies ist wirklich unwichtig. In der Endanalyse gibt es fast keinen Unterschied, ob man Labor, Meretz, Hadash und die arabischen Parteien wählt. Alle zusammen werden sie einen „Präventiv-Block“ gegen die Rechten darstellen. Ein Bürgerkrieg untereinander würde zu einer Verschwendung, die geradezu kriminell wäre.

5. Sagt, dass „sie alle gleich seien“ und ruft dazu auf, nicht zu wählen.

Das wird die rechten Wähler nicht berühren. Sie werden selbst bei einem Erdbeben in den Wahllokalen auftauchen. Aber solch ein Aufruf könnte bei den linken Wählern wirken, die sehr wählerisch sind. Jede Stimmenthaltung „aus Prinzip“ wird der Rechten helfen, jeder Blanco-Stimmzettel wird ein Stimmzettel für Sharon sein.

6.Ruft die arabischen Stimmberechtigten auf, die Wahlen zu boykottieren.

Die eine Million israelisch-arabischer Bürger sind ein natürlicher Partner des Friedenslagers. Ohne sie gäbe es keine effektive politische Linke in Israel. Derjenige, der sie dazu ermuntert, von den Wahlurnen wegzubleiben, macht den Job von Sharon.
Das ist so selbstverständlich, dass man jemanden, der solch eine Boykott-Flagge schwenkt, als einen Agenten Sharons oder des Sicherheitsdienstes (was das selbe wäre) verdächtigen könnte. Je extremer der nationalistische und/ oder islamistische Eifer der Boykottanwälte ist, um so größer ist mein Verdacht.
Die arabischen Bürger haben eine Menge zutreffender Gründe, auf das israelische Establishment, einschließlich der Laborpartei, wütend zu sein. Aber die Wut müsste in die Bemühung münden, eine starke parlamentarische Macht aufzubauen, die fähig ist, für ihre Rechte und Bestrebungen zu kämpfen. Eine Wut, die nur hilft, eine rechtsgerichtete Regierung wieder an die Macht zu bringen, ist eine infantile Übung von Selbstbefriedigung. Für eine von Vertreibung bedrohte Gemeinschaft wäre dies ein Akt der Selbstzerstörung. Tatsächlich ist es schwierig, eine arabische Führung zu verstehen, die über die Gefahr einer „zweiten Nakba“ (Katastrophe von 1948) spricht und sich gleichzeitig so benimmt , als ob die Geschäfte ihren normalen Gang gingen.

Nun gut, jeder, der Sharon helfen will, hat hier eine Reihe von Methoden zur Auswahl.

*Shas: Orientalisch-orthodoxe Partei; Mafdal: national-religiöse Partei

(Aus dem Englischen übersetzt: Ellen Rohlfs und vom Verfasser autorisiert)
http://www.uri-avnery.de/
14. Dezember 2002



How to Help Sharon

By Uri Avnery*

If you want to help Ariel Sharon to remain in power - here is some useful advice.

One: Talk about a "National Unity Government" that will be set up after the elections.

This is a sophisticated trick. It says, in effect, that there is no difference between Likud and Labor. If so, why vote for Labor? If it is nothing but a personal choice between Sharon and Mitzna, who will anyhow sit tomorrow side-by-side at the same table, isn't the experienced and charismatic Sharon preferable to the inexperienced and prosaic Mitzna? On the other hand, this is a sure recipe for driving away from the Labor party everyone who detests Sharon.
Furthermore, those who speak about a Unity Government say, in effect, that the Likud is sure to win. Nobody talks about a Unity Government led by Mitzna. It is a foregone conclusion that the Unity Government will be headed by Sharon. Since the floating votes always tend to float to the prospective victor, the message is clear.
This may also prove to be a prophecy that fulfils itself. If Mitzna is defeated, the party will fall again into the hands of the Knights of the Sticky Behinds.

Two: Spread the story about the moderate "New Sharon", who has practically become a leftist and whose only dream is to enter history as the man who has made peace with the Palestinians.

Anyone familiar with Sharon knows that this is a myth, the creative product of spin-doctors.
Sharon has not become a moderate. For two years now he has waged a relentless war against the Palestinians, with the aim of breaking the Palestinian nation by destroying their national leadership, killing their leaders and demolishing their economic infrastructure. He has blocked every channel of dialogue. He has committed daily provocations. He has built settlements at a frantic pace. The "moderate" declarations were designed for America and Israeli innocents.
Sharons statements about a "Palestinian state" are nonsense. He is prepared, at most, to give the Palestinians some emasculated autonomy over 40% of the occupied territories (8% of pre-1948 Palestine), and this only after the Palestinians raise their hands and capitulate unconditionally. He knows perfectly well that no Palestinians will accept that. Therefore, the real aim is to drive the Palestinians out of the country. For this program there is a clear majority in the Likud, Shas, Mafdal and National Union parties, who may constitute a majority in the next elections.
The main peddler of the pictures of the Peace-loving Sharon is Shimon Peres. After spending the last two years as the National Prostitute, he is longing for more years of the same. He may turn his private farce into a national tragedy. Since he cannot exist without ministerial rank, he would sell his grandmother - not to mention his party - for one day as Foreign Minister.
Because of this, he talks now as if the defeat of Mitzna were a fait accompli and there was nothing left but to negotiate the terms of surrender (the Foreign Office for Peres).

Three: Do everything possible to dwarf Mitzna.

Amram Mitzna is the rival candidate. There is no other. One may admire him or not, love him or not - if one wants to defeat Sharon, one must concentrate on raising Mitzna's stature. The election campaign will be first and foremost a personal duel between these two men. If one wants to help Sharon, one has to paint Mitzna as a hapless person, a prisoner of the rightists in his own party. One has to say that even his own party opposes his policy, that his leftist line will prove disastrous for Labor.

Four: Trigger a civil war between the parties of the left.

If a war will break out between the Labor party and Meretz, and between the two and Hadash - that would be wonderful. They will be busy blackening each other and doing the job of the right. Neither of them will have any energy left to fight against Sharon.
The Beilin affair may prove useful for this end. It is being presented as proving the hypocrisy and/or weakness of Mitzna and showing that the party has turned to the right. This is far removed from reality. The fall of Beilin (who did not get enough votes in the Labor primaries) was caused by inter-party rivalries. He has become widely unpopular within the party by threatening to leave if it does not adopt his program. A party that elected Mitzna by an overwhelming majority does not suddenly become hawkish by dropping Beilin. It is by no means clear who of the two is the more "leftist".
But all of this is not really important. In the final analysis, there is almost no difference between voting for Labor, Meretz, Hadash and the Arab parties. All of them together will constitute a parliamentary "preventive bloc" against the right. A war between them now would be a criminal waste.

Five: Say that "they are all the same" and call for abstention.

That will not affect the rightist voters. They would turn up at the polling stations even during an earthquake. But such a call could affect leftist voters, who are famously fastidious. Any abstention "on principle" will help the right, every blank ballot will be a ballot for Sharon.

Six: Call on the Arab voters to boycott the elections.

The million Israeli Arab citizens are a natural partner of the peace camp. Without them, there can be no effective political left in Israel. He who incites them to stay away from the ballot box does the job of Sharon.
This is so self-evident, that one could suspect some of those waving the flag of boycott of being agents of Sharon or the Security Service (which is the same). The more extreme the nationalist and/or Islamic fervor of the boycott advocates, the greater my suspicions.
The Arab citizens have many excellent reasons for being furious with the Israeli establishment, including the Labor party. But the fury must be channeled into an effort to set up a strong parliamentary force, able to fight for their rights and aspirations. A rage that only helps to reinforce a rightist government is an infantile exercise in self-indulgence.
For a community threatened by transfer, this is an act of self-destruction. Indeed, it is difficult to understand leaders who talk about the danger of a "second Nakba", and at the time behave as if it's business as usual.

Well, anyone who wants to help Sharon has a range of methods to choose from.

* Uri Avnery is an Israeli author and activist. He is the head of the Israeli peace movement, "Gush Shalom".

December 14, 2002



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