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Vor Gefangenenaustausch?

Kairo und Berlin vermitteln zwischen Israel und der Hamas

Von Karin Leukefeld *

Ein palästinensisch-israelischer Gefangenenaustausch steht offenbar unmittelbar bevor. Offiziell unbestätigten Medienberichten zufolge soll demnach der israelische Soldat Gilad Schalit, der im Juni 2006 von einem palästinensischen Kommando entführt worden war, im Gegenzug für eine unklare Zahl von palästinensischen Gefangenen freigelassen werden. Ein Sprecher der Hamas erklärte im arabischen Nachrichtensender Al-Dschasira, die nächsten 48 Stunden seien »entscheidend«. Verschiedene Medien berichteten, BND-Chef Ernst Uhrlau sei mit einem französischen Ärzteteam persönlich in den Gazastreifen eingereist, um Gilad Schalit zu sehen. Weder Ägypten noch Deutschland, die zwischen Israel und der Hamas vermitteln, gaben eine offizielle Erklärung ab.

Die palästinensische Seite fordert neben der Freilassung ihrer Gefangenen auch die Aufhebung der Blockade des Gazastreifens, die seit fast drei Jahren das dicht bevölkerte Küstenareal zu einem Gefängnis mit 1,5 Millionen Menschen darin gemacht hat. Die Zahl der auszutauschenden palästinensischen Häftlinge schwankt zwischen »einigen hundert« und »1450 Gefangenen«. Einem Bericht der arabischen Tageszeitung Al-Hayat zufolge soll auch der inhaftierte Fatahführer Marwan Barghouti auf der Liste stehen. Barghouti gilt als Hoffnungsträger, da ihm eine Politik der Versöhnung zwischen Fatah und Hamas zugetraut wird, zu der der amtierende Fatahvorsitzende Mahmud Abbas weder in der Lage noch bereit ist. Israel besteht Al-Hayat zufolge jedoch darauf, Barghouti im Falle seiner Freilassung in ein Drittland zu deportieren. Die Hamas fordere die Freiheit für 450 Gefangene, 130 würden im Falle der Entlassung abgeschoben werden. Palästinenser mit israelischem Paß ist Tel Aviv nicht bereit, auf freien Fuß zu setzen. Außenminister Avigdor Lieberman hatte zu einem früheren Zeitpunkt erklärt, man solle die Gefangenen besser im Toten Meer versenken, als sie freizulassen, »das ist der tiefste Punkt der Erde«.

Angehörige von Palästinensern, die schon jahrelang inhaftiert sind, forderten am Wochenende die Entführer von Gilad Schalit auf, ihr Verlangen nach Freilassung dieser Gefangenen nicht aufzugeben. Bei einem Gespräch mit Verantwortlichen ihres zuständigen Ministeriums in Gaza-Stadt erklärten sie einem Bericht des Palästina Informationszentrums (PIC) zufolge, ein Gefangenenaustausch ohne die Einbeziehung der Langzeithäftlinge sei »ohne Bedeutung«. Mohamed Al-Katari, stellvertretender Ressortchef, versicherte den Angehörigen, der palästinensische Widerstand werde keinem Austausch zustimmen, bei dem diese Gefangenen nicht berücksichtigt seien.

Nach Informationen des Palästina-Monitors geht man von 9493 (Hilfsorganisation Addameer) bis 10500 (IKRK) palästinensischen Gefangenen aus. 349 von ihnen sind jünger als 18 Jahre, 75 sind Frauen. 44 Prozent der Inhaftierten werden der Fatah zugerechnet, 26 Prozent der Hamas, 14 Prozent dem Islamischen Dschihad, fünf Prozent der Volksfront zur Befreiung Palästinas (PFLP), ein Prozent der Demokratischen Front (DFLP). Bei zehn Prozent ist die politische Zugehörigkeit unklar.

Das Al-Ahrar-Zentrum für Menschenrechte teilte derweil mit, daß Israel den palästinensischen Professor Mustafa Al-Shannar nach zwei Jahren Administrativhaft freigelassen hat. Al-Shannar war bei einer Razzia der israelischen Armee in Nablus im Dezember 2007 mit Dutzenden weiterern Akademikern und Unterstützern der Hamas verschleppt worden. Nach den Wahlen 2006, die von der Hamas gewonnen worden waren, hatte Israel auch 47 palästinensische Parlamentarier entführt. Die Hälfte von ihnen ist noch immer im Gefängnis.

* Aus: junge Welt, 8. Dezember 2009


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