Israels Anspruch auf "die Region von Judäa und Samaria und Jerusalem, sowie benachbarte jüdische Ansiedlungen" ist gerechtfertigt
Brief von "Anwälten aus aller Welt" / Reiner Bernstein antwortet auf dieses "schwere Geschütz"
"Eine UN Resolution, die einen palästinensischen Staat in den 'Grenzen von 1967' anerkennt, wäre illegal" heißt der Titel eines Briefes, den die Anwälte des "Legal Forum for Israel" gemeinsam mit Alan Baker vom Jerusalem Center for Public Affairs verfasst haben. Der Brief richtet sich an den Generalsekretär der Vereinten Nationen und ist von Juristen weltweit unterzeichnet wurden. Der Brief warnt den Generalsekretär und beschreibt, dass die Rechtswidrigkeit dieses Schrittes den Vereinten Nationen und dem Friedensprozess schaden würde.
Der Brief, den wir im Folgenden dokumentieren, ist an Demagogie und Verzerrung des Völkerrechts kaum zu überbieten. Der Rückgriff auf eine diffuse "Rechtslage" aus Völkerbundszeiten, eine waghalsige Interpretation der UN-Resolutionen 242 und 338 und das völlige Verschweigen des UN-Teilungsplans von 1947 lassen erkennen, dass es der israelischen Regierung - deren Sprachrohr das Jerusalem Center for Public Affairs ist - nicht um einen "Friedensprozess" im Nahen Osten geht, sondern um die Zementierung territorialer Zugewinne, die Israel seit dem Sechstagekrieg 1967 für sich beansprucht; dazu gehören Ostjerusalem, die großen Siedlungsblöcke im Westjordanland und - unausgesprochen - wohl auch die zu Syrien gehörenden Golanhöhen. Die israelische Initiative, nur notdürftig getarnt als Brief von "Anwälten aus aller Welt", deutet darauf hin, dass die israelische Regierung den israelisch-palästinensische Konflikt im Herbst verschärfen wird. Es ist eine offene Kriegsdrohung.
Im Anschluss an den israelischen Hetzbrief dokumentieren wir - sozusagen als Korrektiv - einen kritischen Kommentar von Reiner Bernstein
("Israels Vorfeld-Diplomatie fährt schweres Geschütz auf").
Brief an die UN
Betreff: Die vorgeschlagene UN-Resolution zur Anerkennung eines palästinensischen Staates in den "Grenzen von 1967" – Rechtswidriges Verhalten
Exzellenz,
wir, die unterzeichnenden Anwälte aus aller Welt, beschäftigen uns mit Angelegenheiten des internationalen Rechts und befassen uns intensiv mit dem israelisch-palästinensischen Konflikt. Wir appellieren an Sie, Ihren Einfluss und Ihre Autorität unter den UN-Mitgliedsstaaten zu nutzen, um die Verabschiedung der Resolution zur Anerkennung eines palästinensischen Staates in den „Grenzen von 1967“, die die palästinensische Delegation in Kürze bei der Sitzung der Generalversammlung auf die Tagesordnung setzen will, zu verhindern.
Bei allen Maßstäben und Kriterien: Wenn eine solche Resolution verabschiedet werden würde, wäre dies sowohl eine grobe Verletzung sämtlicher Abkommen zwischen Israel und den Palästinensern als auch ein Verstoß gegen die UN-Sicherheitsratsresolutionen 242 (1967) und 338 (1973), und somit auch allen weiteren Resolutionen, die auf diesen basieren.
Unsere Begründung lautet wie folgt:
1. Die legale Grundlage der Gründung des Staates Israel ist das einstimmig ratifizierte Mandat des Völkerbunds von 1922, das die Errichtung einer nationalen Heimstätte für das jüdische Volk im historischen Land von Israel bestätigt. Dafür beinhaltet es die Region von Judäa und Samaria und Jerusalem, sowie benachbarte jüdische Ansiedlungen. Das Mandat wurde weiterhin von beiden Kammern des US-Kongresses bestätigt.
2. Artikel 80 der UN Charta legt die Gültigkeit der Rechte fest, die allen Staaten oder Völkern zugestanden wurden, einschließlich bereits existierender internationaler Dokumente (darunter auch die, die vom Völkerbund angenommen wurden). Daraus folgt, dass das zuvor beschrieben Völkerbundsmandat weiterhin Gültigkeit besitzt, und dass sich die 650.000 in Judäa, Samaria und Ostjerusalem ansässigen Juden legal dort aufhalten.
3. Die "Grenzen von 1967‘ existieren nicht und haben nie existiert. Der von Israel und seinen arabischen Nachbarn beschlossene Waffenstillstand von 1949, der die Waffenstillstandslinien beschließt, besagt ganz klar, dass diese Linien „ohne Bedeutung für künftige territoriale Ansiedlungen oder Grenzlinien oder sich auf sie beziehende Forderungen von beiden Parteien sind.“ Infolgedessen können sie weder akzeptiert noch zu internationalen Grenzen eines palästinensischen Staates erklärt werden.
4. Die UN-Sicherheitsratsresolutionen 242 (1967) und 338 (1973) rufen die Parteien dazu auf, einen gerechten und dauerhaften Frieden im Nahen Osten zu etablieren, und betonen dabei besonders die Notwendigkeit von Verhandlungen, um „sichere und anerkannte Grenzen“ beschließen zu können.
5. Der palästinensische Antrag, der eine unilaterale Änderung des Status der Gebiete anstrebt und die ‚Grenzen von 1967‘ als anerkannte Grenzen festlegt, wäre nicht eine direkte Missachtung der Resolutionen 242 und 338, sondern auch ein fundamentaler Bruch des israelisch-palästinensischen Interimsabkommen über das Westjordanland und den Gaza-Streifen. In dem 1995 geschlossenen Abkommen einigten sich beide Parteien darauf, die Frage der Grenzen in Verhandlungen zu beantworten, und nicht einseitig zu handeln, um das ausstehende Ergebnis der endgültigen Verhandlungen zum Dauerstatus zu verändern.
6. Die Palästinenser stimmten verschiedenen Vereinbarungen zu, die heute als „Oslo-Abkommen“ bekannt sind. Dabei wussten sie, dass israelische Siedlungen in den Gebieten existierten, und dass Siedlungen eine der Angelegenheiten sein werden, die in den Gesprächen zum Dauerstatus verhandelt werden müssen. Zudem gibt es laut „Oslo-Abkommen“ keine Einschränkungen für den israelischen Siedlungsbau in den Gebieten, die weiterhin in den israelischen Zuständigkeitsbereich fallen könnten, je nach Ergebnis der Verhandlungen zum Dauerstatus.
7. Die Unterzeichnung des Interimsabkommens zwischen Israel und der PLO-Führung wurde von den UN gemeinsam mit der EU, der Russischen Föderation, den USA, Ägypten und Norwegen bezeugt. Es ist daher unbegreiflich, dass solche Zeugen, allen voran die UN, nun die Erlaubnis erteilen, im Rahmen der UN gegen diese Vereinbarung zu verstoßen und grundlegende Resolutionen des UN-Sicherheitsrats zu brechen.
8. Trotz Israels historischem Anrecht an der Jerusalem verfolgten die UN konsequent eine Politik der Nicht-Anerkennung von Israels Souveränität über der Stadt bis zum Beschluss einer verhandelten Lösung. Deshalb ist es unfassbar, dass die UN jetzt einen unilateral ausgerufenen palästinensischen Staat in Grenzen anerkennen würden, die Ostjerusalem einschließen. Das wäre die höchste Form der Heuchelei, der Doppelstandards und der Diskriminierung sowie die blanke Missachtung der Rechte Israels und des jüdischen Volkes.
9. Ein solch einseitiger Schritt der Palästinenser könnte zum Anstieg von wechselseitigen Initiativen im israelischen Parlament (Knesset) führen, die Vorschläge für die Gesetzgebung beinhalten könnten, um Israels Souveränität über weite Teile Judäas und Samarias zu erklären, falls und wenn die Palästinenser ihre unilateralen Aktionen einleiten.
Exzellenz,
Es ist offenkundig und für alle klar, dass das palästinensische Vorhaben zur Beschleunigung der politischen Forderungen einen zynischen Missbrauch der UN-Organisationen und der Mitglieder der Generalversammlung darstellt. Das Ziel ist, über den Sicherheitsrat den Verhandlungsprozess zu umgehen.
Bedauerlicherweise unterwandert dieser Missbrauch der UN und ihrer Integrität nicht nur internationales Recht, sondern hat auch das Potential, den Nahost-Friedensprozess scheitern zu lassen.
Wir glauben, dass Sie Ihre Autorität nutzen werden, um die UN und ihre Integrität vor diesem Missbrauch zu schützen, und dass Sie handeln werden, um jede Bestätigung oder Anerkennung dieser gefährlichen palästinensischen Initiative zu verhindern.
[Unterzeichnet von Juristen und internationalen Anwälten]
Die komplette Originalversion des Briefes befindet sich auf der Website des Jerusalem Center for Public Affairs, 29.05.11; www.jcpa.org
* Quelle: Newsletter der israelischen Botschaft in Berlin, 30. Mai 2011
Israels Vorfeld-Diplomatie fährt schweres Geschütz auf
Von Reiner Bernstein **
Am 30. Mai reproduzierte der Newsletter der Botschaft des Staates
Israel in Berlin einen Brief des „Jerusalem Center for Public Affairs“,
in dem Generalsekretär Ban Ki-moon aufgefordert wurde, seinen
Einfluss und seine Autorität in den New Yorker UN-Gremien mit dem
Ziel zu nutzen, die Verabschiedung der Resolution zur Anerkennung
eines Staates Palästina zu verhindern. Der Brief stammte aus einer
Quelle, deren politische Rechtslastigkeit unter Leitung des früheren
UN-Botschafters Dore Gold unstrittig ist.
Man könnte geneigt sein, das Papier wie so viele andere amtliche
Mitteilungen beiseitezulegen. Doch aufgrund seines völkerrechtlich
argumentierenden Gehalts muss es höchste Aufmerksamkeit auf
sich lenken. Denn das „Jerusalem Center for Public Affairs“ belegt
das offizielle Bekenntnis zur Zweistaatenlösung mit dem Bann der
politischen Makulatur.
Die Autoren berufen sich dabei auf das Völkerbundsmandat vom 24.
Juli 1922, das die historische Verbindung des jüdischen Volkes mit
Palästina als Grund für die Wiederherstellung des jüdischen
Nationalheims anerkennt, die Errichtung eines jüdischen Staates
aber ausdrücklich nicht erwähnt. Das von „Juristen und
internationalen Anwälten“ – deren Namen freilich unerwähnt bleiben
– verfasste Schreiben an den Generalsekretär unterlässt tunlichst
jeden Hinweis auf das Churchill-Weißbuch vom 03. Juni 1922,
wonach nicht Gesamt-Palästina, zu dem das heutige Königreich
Jordanien gerechnet wurde, in ein jüdisches Nationalheim
umgewandelt werden solle. Dementsprechend erfolgte ein Jahr
später, am 15. Mai 1923 – und auf den Tag genau 25 Jahre vor der
Staatsgründung Israels –, die Proklamation des Emirats
Transjordanien unter dem Haschemiten Abdullah. Das britische
Mandat für das verbliebene Palästina trat am 29. September 1923 in
Kraft.
Indem die Autoren auf das Völkerbundsmandat zurückgreifen,
beabsichtigen sie, zumindest teilweise die revisionistische Position
Zeev Jabotinskys zu rehabilitieren: dass nämlich die
„palästinensische [soll heißen die zionistische] Frage im Sinne eines
Groß-Palästina einschließlich Transjordaniens gelöst werden“
müsse. Daraus wird die heutige Forderung abgeleitet, dass Israel
einen völkerrechtlich verbürgten Mindestanspruch auf „Judäa und
Samaria“ geltend machen könne. Folgerichtig weisen die Autoren die
UN-Teilungsresolution vom 29. November 1947 zurück, mit der
Jerusalem als „corpus separatum“ ausgewiesen wurde, und
betonen, dass der in Rhodos am 03. April 1949 unterzeichnete
Waffenstillstandsvertrag mit Jordanien entlang der Grünen Linie
„ohne Bedeutung für künftige territoriale Ansiedlungen oder
Grenzlinien“ sei.
Da die diplomatische Vertretung in Berlin das Schreiben in voller
Länge publiziert hat, wird sie die Zustimmung ihrer Regierung
eingeholt haben, zumal da Dore Gold mit dem Wohlwollen Benjamin
Netanyahus und Avigdor Liebermans rechnen kann. Für die
palästinensische Seite hingegen dürfte es keines weiteren Belegs für
ihre Behauptung bedürfen, dass die israelische Regierung an
ergebnisorientierten Verhandlungen nicht interessiert sei und dass
die Autonomiebehörde deshalb den Weg der Anerkennung
Palästinas durch die Vereinten Nationen einschlagen muss. Der
rhetorische Wechselsprung Netanyahus von den „schmerzhaften“ zu
den „großzügigen Kompromissen“ vor einer Woche in Washington
bleibt irrelevant, weil kein Staatenlenker etwas zu verschenken hat.
Der Antrag aus Ramallah ist bis Mitte Juli beim UN-Generalsekretär
zu hinterlegen, um das Verfahren bis zum Sitzungsbeginn der
Vollversammlung Mitte September voranzutreiben. Doch zuvor muss
er die Hürde des Sicherheitsrates nehmen, in dem im Juli die
Bundesrepublik den Vorsitz führt. Nach allem, was sie bisher dazu
erklärt hat, wird Angela Merkel versuchen, für den Prozess der
dortigen Entscheidungsfindung den diplomatischen Takt
vorzugeben: „Der gegenwärtige Zustand [des Stillstands zwischen
Israelis und Palästinensern]“ sei zwar „völlig unbefriedigend“, doch
„[e]inseitige Maßnahmen, von welcher Seite auch immer, führen (...)
in eine Sackgasse.“ Wenn kein von der Opposition im Bundestag
bewirktes Wunder geschieht, dürfte der deutsche UN-Botschafter
angehalten werden, den palästinensischen Antrag wie die USAdministration
abzulehnen.
Dass nur Netanyahu an der Einseitigkeit des politischen Handelns
festzuhalten gedenkt, hat er zuletzt am 31. Mai mit der Zusage
unterstrichen, dass er in Jerusalem mehr Baugenehmigungen denn
je zuvor autorisieren wolle. Der Ministerpräsident lieferte, was die
Bundeskanzlerin von ihm Ende Januar bei den dritten Regierungskonsultationen verlangte: Er hat die Karten auf den Tisch gelegt. Dabei nutzt Netanyahu eine aktuelle Umfrage, wonach sich 66 Prozent der erwachsenen Israelis dagegen aussprechen, dass irgendein Teil Jerusalems zu einer künftigen palästinensischen
Hauptstadt gehören solle und dass sich 73 Prozent gegen eine
internationale Kontrolle der heiligen [jüdischen] Stätten im Rahmen
eines Friedensvertrages verwahren. Dem ebenfalls zum „Likud“
gehörenden Parlamentspräsidenten Reuven Rivlin blieb einen Tag
später der Hinweis vorbehalten, dass zwischen dem Westen und
dem Osten der Stadt nicht einmal der Postverkehr ordentlich
funktioniere ...
Die europäische Politik agiert nach wie vor hilflos, weil wieder einmal
unkoordiniert. Denn an jenem 31. Mai gewährte Brüssel der
Autonomiebehörde einen Zuschuss von zwei Millionen Euro, damit
die palästinensische Infrastruktur in Ost-Jerusalem gestärkt werde
und um Gerichtskosten aufzufangen, wenn Palästinenser in der
Stadt gegen israelische Maßnahmen Klage führen. Soll man den
Regierungen in Europa mehr Naivität bescheinigen oder ihre
Verwirrung beklagen?
Wenn die israelische Politik auf das Territorium der Westbank und
auf Ost-Jerusalem einen wie auch immer begründeten Anspruch
erhebt, schließt dieser nicht die dort lebende palästinensische
Bevölkerung ein, im Gegenteil: Israel ist an ihr im günstigen Falle
nicht interessiert, im ungünstigen Falle kann sie auf die von Merkel
im Bundestag wiederholte Aussage vertrauen, dass „jede
palästinensische Regierung der Gewalt abschwören und das
Existenzrecht Israels anerkennen“ müsse. Wer zur Gewalt greift, ist
also auch von deutscher Seite bestätigt. Von Reziprozität war und ist
keine Rede.
Der an der Universität Tel Aviv lehrende Völkerrechtler Eyal
Benvenisti hat bedauert, dass die israelische Behauptung von den
palästinensischen Gebieten als Teil der Innenpolitik von Seiten der
internationalen Staatengemeinschaft keinen ernsthaften
Widerspruch nach sich gezogen habe.
** Quelle: Website von Reiner Bernstein, 1. Juni 2011; www.reiner-bernstein.de/
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