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Massaker in Jerusalemer Talmudhochschule: Reaktion oder Aktion?

Ban Ki-moon spricht von "grausamem Angriff" - Kein Ende der Gewalt im israelisch-palästinensischen Konflikt

Angriff auf Talmudhochschule

Mehrere Tote in Westjerusalem. Hamas: "Antwort auf Verbrechen Israels"

Von Raoul Wilsterer *


Acht meist junge Männer starben bei einem Angriff auf die Jerusalemer Talmudhochschule »Mercaz Harav« am späten Donnerstag abend (6. März). Mindestens neun weitere Menschen wurden verletzt. Zum Tathergang lagen am Freitag (7. März) unterschiedliche Angaben vor. Westlichen Agenturmeldungen zufolge hatte ein bewaffneter Palästinenser das Gebäude gestürmt und »wild um sich geschossen« (AFP). Der 25jährige israelische Staatsbürger aus Ostjerusalem sei daraufhin von der Polizei »getötet worden« (AP). Der Journalist Khalid Amayreh berichtete dagegen auf der Website der palästinensischen Hamas von einer »Guerilla-Attacke«. Offensichtlich habe es sich dabei um eine »Vergeltungsaktion für die jüngsten Massaker Israels im Gazastreifen« gehandelt.

Umgehend beschäftigte sich der UN-Sicherheitsrat mit den Ereignissen im jüdisch-orthodox geprägten Westjerusalemer Viertel Kiryat Mosche. Eine Verurteilung des »Anschlags« (AP) indes scheiterte. Während die USA auf eine schnelle antipalästinensische Resolution drängten, forderte insbesondere Libyen, daß auch das israelische Vorgehen im Gazastreifen verurteilt würde. UN-Generalsekretär Ban Ki Moon hatte zuvor von einem »grausamen Angriff« gesprochen und davon, daß die »anhaltende Gewalt« den politischen Prozeß zur Vereinbarung eines dauerhaften Friedensschlusses »gefährdet«. [Siehe die Erklärung weiter unten im Wortlaut.] Das rechts-religiöse Bündnis Yisrael Beiteinu, das mit elf Abgeordneten im israelischen Parlament vertreten ist, verlangte den sofortigen Abbruch »aller Verhandlungen«. Der »Terrorismus« müsse »mit allen möglichen Mitteln ausgerottet« werden.

An mehreren Orten im Gazastreifen sowie im Libanon kam es nach Bekanntwerden des Angriffs zu spontanen Freudenkundgebungen. So demonstrierten Tausende durch Gaza-Stadt.Während der palästinensische Präsident Mahmud Abbas die Tat verurteilte, bezeichnete sie die Hamas als »Antwort auf die Verbrechen der Besatzungsmacht« Israel. Im Gazastreifen waren zuvor mehr 120 Palästinenser während der jüngsten israelischen Offensive getötet worden.

Als »Flaggschiff der nationalistisch-religiösen Talmudhochschulen« charakterisierte die israelischen Zeitung Haaretz das Angriffsziel »Mercaz Harav«. Dort würden insbesondere seit Ende des Sechs-Tage-Kriegs 1967 durch die Organisation Gush Emunim die Grundlagen für die »religiöse Besiedlung« des Westjordanlands geschaffen. Grundsätzlich erhebt Gush Emunim Anspruch auf das »ganze Israel« in seinen »biblischen Grenzen«, wobei eine schnelle Landnahme in den besetzten Gebieten vorrangig sei, um diese für den Staat zu sichern.

* Aus: junge Welt, 8. März 2008

Secretary-General condemns deadly shooting at seminary in Jerusalem

Secretary-General Ban Ki-moon

6 March 2008 – Secretary-General Ban Ki-moon has strongly condemned today's shooting at a Jewish rabbinical seminary in west Jerusalem that has left at least eight people dead and many more injured, calling it a “savage attack.”

In a statement issued by his spokesperson, Mr. Ban deplored the deliberate killing and injuring of civilians and offered his condolences to the families of those killed.

“The Secretary-General is deeply concerned at the potential for continued acts of violence and terrorism to undermine the political process, which he believes must be pursued to achieve a secure and lasting peace for Israelis and Palestinians, based on a two-State solution,” the statement said.

Ambassador Vitaly Churkin of Russia, which currently holds the rotating monthly presidency of the Security Council, has scheduled urgent consultations tonight among the 15-member panel on the situation in the Middle East, including the Palestinian question.

Quelle: www.un.org


Am selben Tag - der blutige Anschlag von Jerusalem war noch nicht bekannt - verurteilte der UN-Menschenrechtsrat noch einmal in eindeutiger Form die israelische Militäroffensive der letzten Tage, bei der mehr als 100 Palästinenser im Gazastreifen ums Leben gekommen waren. Im Folgenden dokumentieren wir die entsprechende Pressemitteilung.

Condemning Israeli actions in Gaza, UN rights council calls for end to all attacks

6 March 2008 – The United Nations Human Rights Council today labelled Israel’s response to recent rocket attacks from Gaza a war crime and “collective punishment against the civilian population” in a resolution that also called for an end to such military actions and to the “firing of crude rockets by Palestinian combatants.”

The resolution, submitted by Pakistan, received 33 votes in favour and one against (Canada), with 13 abstentions. The vote followed a general debate on the human rights situation in Palestine and other occupied Arab territories, which was preceded by statements from High Commissioner for Human Rights Louise Arbour, as well as representatives of Israel, Palestine and Syria.

“I am deeply alarmed about the death of civilians,” Ms. Arbour said, repeating her condemnation of rocket attacks by Palestinians as well as what she called Israel’s disproportionate use of force.

She urged all parties to conduct law-based, independent, transparent and accessible investigations into the killings of civilians, to make the findings public and to hold any perpetrators accountable.

“All human rights are equal for all human beings and no party can claim that, in defending its own population, it is allowed to disavow the rights of others,” Ms. Arbour stressed. “On the contrary, all parties have obligations not only towards the rights of their own people, but for the rights of all.”

Introducing the resolution, Mahsood Khan of Pakistan said that the serious situation caused by the incessant Israeli military attacks in Gaza required an instant response by the Human Rights Council.

Israel’s representative Itzhak Levanon said that Hamas had fired 671 missiles at civilians, women and children since January; it was committing war crimes and collectively punishing a population of a quarter of a million citizens living in Ashkelon, Sderot, Negev and Netivot.

He added that one-sided resolutions would not intimidate Israel, which he said had the fundamental right to live and the essential right to self-defence.

Palestinian representative Mohammed Abu-Koash said the number of Palestinians killed had rendered the Israeli claims of combating militants null and void. Urgent international intervention was required to end murder and provide protection to the Palestinian civil population, he maintained.

The seventh session of the Human Rights Council, which replaced the Human Rights Commission in 2006, opened on Monday and will run through 28 March.

Quelle: www.un.org



Hamas bekennt sich zum Anschlag auf Religionsschule **

Erst wollte es eine unbekannte Gruppierung gewesen sein, jetzt die Hamas: Sie übernahm die Verantwortung für den Anschlag in Jerusalem, bei dem am Donnerstag acht Schüler getötet wurden. Tausende gedachten der Opfer.

Die radikal-islamische Hamas hat sich zu dem Anschlag auf die Jerusalemer Religionsschule vom Donnerstag bekannt. Das sagte ein Sprecher der Bewegung am Freitag (8.3.2008) der Nachrichtenagentur Reuters. Einzelheiten der Tat würden später bekanntgegeben. Der aus Ost-Jerusalem stammende Attentäter hatte am Donnerstag acht Schüler der Schule erschossen, die als Kaderschmiede jüdischer Siedler gilt. Der Täter wurde von einem israelischen Armeeoffizier erschossen.

Israel will die Friedensverhandlungen mit den Palästinensern trotz des Massakers nicht abbrechen. Die gemäßigten Palästinenser sollten nicht für die Tat eines Extremisten bestraft werden, verlautete am Freitag aus israelischen Regierungskreisen. Der Überfall war der schwerste Anschlag in Jerusalem seit über vier Jahren. Er löste weltweit Bestürzung aus.

Abbruch der Friedensverhandlungen gefordert

In Israel wurden aber auch Rufe nach einem Abbruch der Friedensverhandlungen mit den Palästinensern laut. "Die Regierung muss sofort alle Verhandlungen abbrechen und den Terrorismus mit allen möglichen Mitteln ausrotten", sagte der Abgeordnete David Rotem von der Partei Yisrael Beiteinu. "Später, wenn wir jemanden haben, mit dem wir reden können, dann können wir verhandeln." Andere Abgeordnete warnten jedoch, Racheakte und ein Abbruch der Gespräche würden den Kreislauf der Gewalt nur weiter anheizen.

Die Tat wurde auch vom palästinensischen Präsidenten Mahmud Abbas verurteilt. Er selbst hatte zu Beginn der Woche einen Abbruch der Verhandlungen mit Israel verkündet, nachdem bei einer israelischen Militäraktion im Gazastreifen mehr als 120 Palästinenser getötet worden waren, etwa die Hälfte davon Zivilpersonen. Auf Drängen von US-Außenministerin Condoleezza Rice nahm Abbas dies aber wieder zurück.

"Akt verdorbenen Terrors"

Auch Die Europäische Union verurteilte den blutigen Anschlag in scharfen Worten. EU-Außenkommissarin Benita Ferrero-Waldner sprach von einer "skrupellosen Attacke auf Jugendliche". Rice nannte die Tat einen Akt verdorbenen Terrors, der alle friedliebenden Nationen schockiere.

Libyen verhinderte aber im UN-Sicherheitsrat eine Verurteilung der Gewalt in Nahost. Die USA hatten dazu eine Erklärung vorgeschlagen, die weniger Gewicht hat als eine formale Resolution. Libyen habe eine ausgewogenere Formulierung gefordert, in der auch die israelischen Aktionen im Gazastreifen verurteilt würden, erklärte ein libyscher Diplomat.

Trauernde aus ganz Israel kamen zum Tatort

Tausende Trauernde aus ganz Israel kamen am Freitagmorgen vor der Religionsschule zusammen, um der Opfer zu gedenken. Auch Jerusalems Bürgermeister Uri Lupolianski, der frühere Knesset-Präsident Reuwen Riwlin und mehrere Abgeordnete waren vor Ort. Viele der jungen Trauergäste waren selbst in der Schule, als der Attentäter wild um sich schoss.

Der Angreifer war laut Polizeisprecher Micky Rosenfeld in die Bibliothek der Schule eingedrungen, wo sich etwa 80 Menschen befanden. Er war mit einer automatischen Waffe und einer Pistole bewaffnet und schoss wild um sich. Neun Menschen wurden laut Rettungsdiensten verletzt, drei davon schwer. "Das ganze Gebäude sah aus wie ein Schlachthaus. Der Boden war mit Blut bedeckt", sagte ein Mitarbeiter des Rettungsdienstes, Yehuda Meshi Zahav.

Ein Opfer war 26 Jahre alt, die übrigen zwischen 15 und 19 Jahren. Das Rabbiner-Seminar Mercaz Harav arbeitet eng mit der jüdischen Siedlungsbewegung im Westjordanland zusammen. Der Attentäter war ein 20-jähriger Palästinenser, der in Ostjerusalem lebte. Er wurde von einem Soldaten, der in der Nähe lebt und nach den ersten Schüssen herbeieilte, erschossen. (mg)

** Quelle: Deutsche Welle, 8. März 2008; www.dw-world.de


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