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Wikileaks' isländische Revolution

Enthüllungen über die Kaupthing-Bank brachten Schwung in die Aufklärung der Finanzkrise

Von Andreas Knudsen, Kopenhagen *

In vielen Ländern wurde im Zuge der Bankenkrise nur halbherzig ermittelt oder Skandale wurden unter den Teppich gekehrt. Ganz anders in Island, wo die Internetplattform Wikileaks die Aufklärung mit vorangebracht hat.

Die Veröffentlichung geheimer Dokumente schreibt nicht unbedingt die Geschichte um, aber sie kann ihr interessante Nuancen hinzufügen. Veröffentlichungen seit dem Herbst 2008 durch die Internetplattform Wikileaks über die Vorgänge bei isländischen Großbanken rissen den Schuldigen und Nutznießern der gigantischen Spekulationsblase die Maske vom Gesicht. Enthüllt wurde, dass Islands größte Bank, Kaupthing, noch kurz vor Bankrott und Verstaatlichung Kredite in Höhe von fünf Milliarden Euro ohne Sicherheiten an eigene Großaktionäre und deren engste Geschäftsfreunde bewilligte. Eine gigantische Summe, wenn man berücksichtigt, dass das isländische Nationaleinkommen nur etwa 8,5 Milliarden Euro beträgt. Insgesamt wurde durch die Kreditpolitik der Großbanken Kaupthing, Glitnir und Landsbanki eine Auslandsschuld von etwa 50 Milliarden Euro angehäuft, für die jetzt der Staat geradestehen muss.

Die isländische Öffentlichkeit war empört – über den Umfang der Bankgeschäfte und über die Missachtung jeglicher Geschäftsethik. Die Wikileaks-Veröffentlichungen belegten, dass die Verantwortlichen sich der Gesetzesbrüche bewusst waren. Die Dokumente aus den Giftschränken der Banken ermöglichten es auch der vom Parlament eingesetzten Untersuchungskommission, die verschachtelten Geschäftsbeziehungen offenzulegen und schneller zu Ergebnissen zu gelangen.

Dabei hatte die damalige konservative Regierung zunächst versucht, die Veröffentlichung der Dokumente auf dem Gerichtsweg zu verhindern. Vermutlich spielte der Umstand eine Rolle, dass Fehler und Versäumnisse staatlicher Organe zur explosiven, unkontrollierten Ausweitung des isländischen Banksektors beitrugen und lieber das Mäntelchen des Schweigens darüber gedeckt werden sollte, als die umfängliche Verfilzung bekannt werden zu lassen. Dies misslang kläglich – die neue Regierung trieb den politischen und juristischen Prozess der Aufklärung voran, der Mitte 2011 abgeschlossen sein soll. Bis dahin dürften auch die Prozesse gegen die verantwortlichen Banker begonnen haben.

Seit den Veröffentlichungen stößt Wikileaks in Island auf breite Anerkennung. Im Sommer diesen Jahres fasste das Parlament – übrigens nach Beratungen mit Wikileaks-Gründer Julian Assange – einen prinzipiellen Beschluss, Island zu einer einzigartigen Insel der Informationsfreiheit zu machen. Die Komplexität der Problemstellung macht die Annahme von insgesamt 13 Gesetzen notwendig. Wenn diese in Kraft treten, wird das kleine Land eine Medienlandschaft mit dem größten Freiheitsgrad und dem besten juristischen Schutz haben sowie zum »sicheren Hafen« für investigativen Journalismus und unbequeme Meinungen werden. »Whistle Blowers« – Informanten, die geheime Interna weitergeben – werden vor Strafverfolgung geschützt und können ihrerseits gegen Medien klagen können, die versprochene Anonymität und Quellenschutz verletzen. Zudem soll es für Firmen oder Privatpersonen aus dem Ausland nicht mehr möglich sein, Gerichtsprozesse gegen missliebige Veröffentlichungen oder Medien anzustrengen, nur weil eine Verbindung zu Island konstruiert werden kann. Es gibt seit einigen Jahren einen Trend zum sogenannten »Libel Tourism«. So haben insbesondere Diktaturen aus aller Welt vor britischen Gerichten Verleumdungsklagen durchgesetzt und gewonnen – wegen in Großbritannien publizierter Internetartikel.

Auch aktuell gibt es Unterstützung aus Island für Wikileaks. So hat die Firma DataCell EHF rechtliche Schritte gegen MasterCard und Visa angekündigt. Durch deren Sperre von Wikileaks' Spendenkonten seien dem Unternehmen Einnahmen entgangen. DataCell betreibt seit zwei Monaten einen Spendenkanal für Wikileaks.

* Aus: Neues Deutschland, 17. Dezember 2010


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