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Euphorie ist vorbei

Island: Angesichts milliardenschwerer Entschädigungsforderungen für britische und niederländische Privatanleger schwindet die Zustimmung für einen raschen EU-Beitritt

Von Tomasz Konicz *

Noch vor wenigen Wochen sah es so aus, als ob der Beitritt Islands zur Europäischen Union nur noch eine Frage der Zeit wäre. Nach langen und kontroversen Diskussionen votierte das isländische Parlament Mitte Juli mit 33 zu 28 Stimmen für die Aufnahme der Beitrittsverhandlungen mit der EU. Am 27. Juli leiteten die EU-Außenminister das Aufnahmegesuch des gerade mal 320000 Einwohner zählenden Inselstaates einstimmig an die Europäische Kommission weiter. Gemäß der Brüsseler Regelungen liegt es nun an der EU-Kommission, eine Empfehlung für die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen auszusprechen. Island drängt darauf, diese schon Anfang 2010 zu initiieren. Ein formeller Beschluß zur Verhandlungsaufnahme mit dem schwer verschuldeten Inselstaat könnte frühestens auf dem EU-Gipfel Mitte Dezember erfolgen.

Die Finanzkrise hat Island besonders hart getroffen, da dieser Sektor dieses Landes in Relation zur gesamten Ökonomie eine besonders heftige, spekulative Blasenbildung erlebte. Der Absturz war umso desaströser, so daß inzwischen nahezu der gesamte Bankensektor Islands zusammengebrochen ist. Durch einen raschen Beitritt zur Europäischen Union hoffte man in Rekjavik, zumindest einige Härten des dem Land aufgenötigten Sanierungskurses abmildern zu können.

Doch inzwischen ist selbst die Aufnahme von Verhandlungen fraglich. Viele Isländer rebellieren derzeit gegen ein Entschädigungsgesetz, das die neu gewählte, »rot-grüne« isländische Regierung erlassen hat. Auf diesem Wege sollen die britischen und niederländischen Kunden der zusammengebrochenen isländischen Banken entschädigt werden. Dieses Gesetzespaket, das derzeit noch in parlamentarischen Gremien beraten wird, wurde auf Druck des Internationalen Währungsfonds (IWF) und der EU erlassen und gilt als unabdingbare Voraussetzung zur Aufnahme von Beitrittsverhandlungen zwischen Brüssel und Rekjavik.

Für den kleinen Inselstaat handelt es sich hierbei um astronomische Summen. Den Haag und London fordern umgerechnet 4,1 Milliarden Euro von Rekjavik. Alle drei Parteien haben sich im Juni auf einen entsprechenden, langfristigen Kreditvertrag geeinigt. Demnach sollten Großbritannien und die Niederlande Island das zur Rückzahlung notwendige Geld leihen. Nach einer Schonfrist von gut sieben Jahren hätte dann Island über 15 Jahre die Summe zu einem Zinssatz von 5,55 Prozent abstottern sollen. Dies wären zirka 225 Millionen Euro jährlich, wie das Handelsblatt berichtet. Genau diese Vertragsbestimmung trifft nicht nur bei Demonstranten auf der Straße, sondern auch im isländischen Parlament auf zunehmenden Widerstand. Durch den Kredit würde die Staatsverschuldung Islands von 200 auf 240 Prozent des Bruttoinlandsproduktes steigen. Zusammen mit den bereits gegenüber dem IWF eingegangenen Verpflichtungen sei diese Belastung einfach zu groß, monieren Kritiker. Bereits jetzt hat Islands Regierung aufgrund harter Sparmaßnahmen die Staatsausgaben um 30 Prozent binnen der nächsten drei Jahre kürzen müssen.

Auch der IWF hat die Daumenschrauben angezogen. Der zur Abwendung des Staatsbankrotts gewährte Notkredit von Zirka zehn Milliarden Euro wurde in mehreren Tranchen freigegeben, um die tatsächliche Auszahlung – wie beim IWF inzwischen üblich – vom politischen Wohlverhalten des Empfängerlandes abhängig machen zu können. So hat Island die erste Tranche dieses Kredits bereits empfangen, die zweite Überweisung härte Anfang August erfolgen müssen. Die Regierung in Rekjavik vermute nun, daß der ungelöste Konflikt um die Entschädigungen der Grund für die Verzögerung sei, kommentierte das Handelsblatt.

Gegenüber der Financial Times erklärte die neugewählte Regierungschefin Johanna Sigurdardottir, daß die zusätzlichen Belastungen aus dem Kreditvorhaben »enorm« seien und bis zu 50 Prozent des Bruttoinlandsproduktes des Inselstaates entsprechen. Die Isländer seien »wütend, die Last der Kompensation für die Einlagen von Landsbanki übernehmen zu müssen – einer bankrotten, privaten, kommerziellen Bank, die ªhunderttausende von niederländischen und britischen Sparern durch hohe Zinsen anlockte.« Island habe »wichtige Fortschritte bei der Refinanzierung des Bankensystems gemacht« klagte Sigurdardottir. Während Rekjavik alle Bedingungen des IWF-Kredits erfülle, sei es »sehr bedauerlich«, daß der Währungsfonds seine Zustimmung zur weiteren Mittelfreigabe nun vertagt habe.

Inzwischen hat zwar das umstrittene Gesetzespaket den Finanzausschuß passiert, doch bei der nun anstehenden parlamentarischen Abstimmung könnte es für die Regierung nochmals sehr knapp werden. Doch selbst bei einer Verabschiedung der Vorlage bliebe eine Mitgliedschaft Islands in der Europäischen Union weiterhin fraglich. Die brutale Verhandlungstaktik Brüssels, Londons und Den Haags, ließen die anfänglich große Zustimmung zum Beitritt rasch absinken. Laut aktuellen Umfragen sind nur noch 35 Prozent aller Isländer für einen raschen EU-Beitritt. Bei dieser raschen Renaissance der traditionellen Europaskepsis spielt natürlich auch der Fischfang einer gewichtige Rolle, der mehr als zwei Drittel aller isländischen Exporte ausmacht. Bei einem Beitritt zur Europäischen Union müßten sich Islands Fischer der Brüsseler Bürokratie fügen und ihre nach heftigen Ausdeinandersetzungen besonders mit Großbritannien auf 200 Seemeilen ausgedehnte Fischereizone auch europäischer Konkurrenz öffnen.

* Aus: junge Welt, 24. August 2009


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