Eine erzwungene Liebe zu Europa
In Island mehren sich die Rufe nach einem Beitritt des Landes zur Gemeinschaft
Von Andreas Knudsen, Kopenhagen *
Islands sozialdemokratische Ministerpräsidentin Jóhanna Sigurdardóttir
und ihr Koalitionspartner von den Links-Grünen wollen zügig klären, ob
und wann ihr Land ein Beitrittsgesuch zur EU einreichen kann.
Das isländische Wirtschaftswunder basierte auf ungehemmter Deregulierung
und dauerte ein halbes Dutzend Jahre. Erst der Fast-Staatsbankrott
setzte dem neoliberalen Fest ein Ende und brachte erstmals eine linke
Regierung an die Macht, die nun die unpopulären Sparbeschlüsse fassen
muss. Die Koalitionspartner Sozialdemokratische Allianz und Links-Grüne
konnten sich in ihrem Regierungsprogramm jedoch nicht auf eine
gemeinsame Strategie einigen, die eine zentrale Zukunftsfrage für die
Insel betrifft: Soll Island Aufnahmegespräche mit der EU beginnen oder
will man sich ohne im Ausland anerkannte Währung aus der Krise
herausarbeiten?
Die beiden frischgebackenen Regierungsparteien fanden eine vorläufige
Lösung. Die sozialdemokratische Ministerpräsidentin Jóhanna
Sigurdardóttir wird einen Gesetzesvorschlag einbringen, der den Weg
bahnt für Aufnahmeverhandlungen. Doch wenn es um die endgültige
Zustimmung zu einer EU-Mitgliedschaft geht, sollen die Parteien ihre
eigenen Wege gehen und die Entscheidung den Abgeordneten im Althing, dem
isländischen Parlament, überlassen. Vermutlich wird es anschließend eine
Volksabstimmung geben.
Der Gesetzesvorschlag wird voraussichtlich eine knappe Mehrheit im
Parlament finden und von den wichtigsten Arbeitgeber- und
-nehmerorganisationen unterstützt werden. In der Mehrzahl der Parteien
und Organisationen sowie in der Mehrheit der Bevölkerung setzt sich
offensichtlich die Ansicht durch, dass die isländische Ökonomie eine
starke internationale Verankerung benötigt. Einerseits braucht man
sichere Absatzmärkte. Andererseits hat das Versagen des einheimischen
politischen Establishment bewiesen, dass andere institutionelle
Kontrollorgane hermüssen, um einer Verfilzung von Staat, Wirtschaft und
Politik vorzubeugen. Für die Isländer ist es eine böse Erkenntnis, dass
es möglich war, Abermillionen verschwinden zu lassen, um damit die
Privatökonomie der Finanzmogule am Laufen zu halten.
Schweden hat bereits offiziell befürwortet, dass Island EU-Mitglied
wird, doch ansonsten ist die Reaktion in den anderen Mitgliedsländern
zurückhaltend. Nach den Erweiterungen der letzten Jahre und den
laufenden Aufnahmeverhandlungen ist der Wunsch nach neuen Mitgliedern
stark zurückgegangen -- zumal Island zunächst ein »Zuschussland« sein
würde. Für den Inselstaat spricht jedoch, dass dank des
Assoziationsabkommens und überhaupt der engen wirtschaftlichen
Beziehungen zur Europäischen Union mindestens 70 Prozent der
EU-Gesetzgebung bereits implementiert wurden, Verwaltung, Infrastruktur
und Industrie sind die eines modernen Landes.
Allerdings ist die neue EU-Begeisterung von der Not diktiert.
Insbesondere fürchtet Island um die reichen Fischbestände -- die
Fangquoten müssten nach einem EU-Beitritt zwischen den Mitgliedstaaten
ausgehandelt werden. Aber die Gegner einer EU-Lösung haben bisher kein
alternatives Konzept anbieten können, wie Island in die europäische und
internationale Wirtschaft zu integrieren wäre. Eine bereits diskutierte
Währungsunion mit Norwegen ist ein schöner Gedanke mit historischem
Hintergrund, aber keine realpolitische Alternative. Genauso wenig
realistisch wäre ein Beitritt zur NAFTA-Freihandelszone und die
Übernahme des US-Dollar als Währung.
Die Befürchtung der Beitrittsgegner ist, dass das gegenwärtige
wirtschaftliche Diktat, das der Internationale Währungsfonds auf Island
ausübt, nur durch ein permanentes aus Brüssel ersetzt wird. Lieber ein
paar harte Jahre in Kauf nehmen als dauerhaft Souveränitätsrechte
abzugeben, lautet das Motto der Kritiker. Die Frage ist jedoch, ob die
isländische Wirtschaft diese Durststrecke überstehen könnte. Schließlich
hat auch sieben Monate nach der großen Pleitewelle niemand einen
wirklichen Überblick, wie groß die angehäuften Schulden sind und wie
viel gespart werden muss. Export und Import sind um mindestens 20
Prozent zurückgegangen und die zeitweilige Auswanderung insbesondere in
die skandinavischen Länder und die USA hat deutlich zugenommen. Vieles
deutet also darauf hin, dass die Isländer in wenigen Jahren Ja sagen
werden zur Mitgliedschaft in der EU.
* Aus: Neues Deutschland, 22. Mai 2009
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