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Wechselfieber in Dublin

Irland: Kaum Chancen für amtierende Regierung bei den Wahlen

In Irland steht nach der Parlamentswahl am heutigen Freitag (25. Feb.) ein Regierungswechsel bevor. Alle Umfragen sagen eine Niederlage der Fianna Fail von Premier Brian Cowen voraus.

Die Iren sehen das von Cowen mit der EU vereinbarte Rettungspaket für den einstigen »keltischen Tiger« als nationale Schmach. Mit einem absehbaren Regierungswechsel droht allerdings der EU Ärger: Cowens wahrscheinlicher Nachfolger Enda Kenny hat bereits angekündigt, die Bedingungen der Milliardenhilfe neu verhandeln zu wollen. Brüssel allerdings lehnte das am Donnerstag noch einmal ab.

Irland, das mit seinen gut vier Millionen Einwohnern ab den 90er Jahren von einem der ärmsten zu einem der reichsten Länder Europas aufstieg, trudelte seit 2007 in die Krise. Das auf niedrigen Unternehmensteuern, einer schwach regulierten Bankenbranche und einem Immobilienboom aufgebaute Wirtschaftswunder brach mit der Finanzkrise zusammen. Die Banken blieben auf Milliardenschulden sitzen. Im vergangenen November musste Dublin deshalb ein Hilfspaket von EU und Internationalem Währungsfonds (IWF) in Höhe von 85 Milliarden Euro annehmen – verbunden mit der Zusage zu einem radikalen Sparkurs.

Der Spitzenkandidat der oppositionellen Fine Gael, Enda Kenny, hat praktisch seinen ganzen Wahlkampf auf der Ankündigung aufgebaut, als neuer »Taoiseach« (Premier) die Konditionen der Hilfen in Frage zu stellen. Schon vor der Wahl hat Kenny die Runde bei EU-Regierungschefs gemacht. Im Falle seines Wahlsieges wolle er »zurück nach Brüssel und diesen schlechten Deal neu verhandeln«, sagt er. Kenny hat dabei Rückendeckung der Iren: 82 Prozent wollen, dass über das Paket mit der hohen Zinslast von 5,8 Prozent noch einmal gesprochen wird.

Der frühzeitige Auftritt auf Europas Bühne hat Kenny Punkte bei den Wählern gebracht. Umfragen sehen Fine Gael bei 38 bis 40 Prozent. Cowen wiederum tritt nach einer partei- und koalitionsinternen Revolte gar nicht mehr als Spitzenkandidat der Fianna Fail an. Die Grünen hatten die Koalition Ende Januar platzen lassen und erzwangen so Neuwahlen. Fianna Fail, die Irlands Geschicke über Jahrzehnte bestimmt hat, kommt in Umfragen nur noch auf klägliche 14 bis 16 Prozent.

Im Kampf um die 165 Sitze im irischen Unterhaus, dem Dail, wurden der ebenfalls oppositionellen Labour-Partei 17 bis 20 Prozent zugestanden. Das wäre genug, um mit Fine Gael eine Regierungskoalition zu bilden. Die linke Sinn Fein sehen die Demoskopen bei zehn bis elf, die Grünen gerade noch bei ein bis drei Prozent.

Trotz der harten Kritik an Cowen führt für Kennys Fine Gael an einem harten Sparkurs kein Weg vorbei. Die Partei hat sein Ziel akzeptiert, das Haushaltsdefizit von 32 Prozent im vergangenen Jahr bis 2014 auf die EU-Vorgabe von drei Prozent zu drücken. Die Aussicht auf jahrelange Budgetkürzungen und eine Arbeitslosenquote von mehr als 13 Prozent lässt Experten bereits einen neuen Exodus von der grünen Insel erwarten. Rund tausend Menschen würden Irland voraussichtlich jede Woche in den kommenden beiden Jahren verlassen, schätzen Wissenschaftler. Irland würde damit wieder zu einem Land der Auswanderer – wie schon in den Jahrhunderten vor dem Wirtschaftsboom.

Parteien in Irland

Fianna Fáil: Die 1926 gegründete konservative Partei stellte mehrere Regierungschefs. Sie hatte zuletzt 78 Parlamentssitze.

Fine Gael: Mit 51 Abgeordneten ist Fine Gael (1933 gegründet) zweitstärkste bürgerliche Partei im Parlament.

Labour Party: Die sozialdemokratische Partei (20 Sitze) entstand 1912 als politischer Arm des Gewerkschaftsbundes.

Green Party: Die irischen Grünen wurden 1981 gegründet. 1989 zog die Partei erstmals ins Parlament ein, wo sie bis jetzt sechs Abgeordnete hat.

Sinn Fein: Die Partei ist 1905 im Freiheitskampf gegen Großbritannien entstanden. Fianna Fáil und Fine Gael sind Abspaltungen Sinn Feins. Die Partei besteht in heutiger Form seit 1970 und versteht sich als links; sie hat vier Parlamentsitze. (dpa/ND)



* Aus: Neues Deutschland, 25. Februar 2011


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