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Pest oder Cholera

In Irland wird am Freitag ein neues Parlament gewählt

Von Christian Bunke, Manchester *

Am Freitag wählt die irische Bevölkerung ein neues Parlament. Die bisherigen Regierungsparteien Fianna Fail und die Grünen werden wohl für ihre neoliberale Politik und den Ausverkauf des Landes an die Weltbank und die Europäische Union abgestraft werden. Dabei könnten die Grünen gänzlich in der Bedeutungslosigkeit versinken. Sie stehen derzeit, je nach Umfrage, zwischen zwei und vier Prozent.

Der Wahlkampf wurde von beginnenden sozialen Auseinandersetzungen begleitet. Aer-Lingus- Flubgegleiter absolvierten über Wochen ihren Dienst nach Vorschrift, weil sie mit geplanten Verschlechterungen ihrer Arbeitsbedingungen nicht einverstanden waren. Etliche Flüge fielen aus. Tausende Studierende, die sich zu Krankenpflegekräften ausbilden lassen, demonstrierten mehrfach gegen die geplante Abschaffung des Praktikantengehalts. Für ihr Praktikum im 4. Studienjahr erhalten sie derzeit 80 Prozent des vollen Pflegekräftelohns, bis 2015 soll dies auf null gesetzt sein. Hotelangestellte streikten gegen die geplante Absenkung des Minimallohnes. Wie die Studierenden sind auch sie von den kommenden drastischen »Sparmaßnahmen« betroffen.

Die Konflikte werden nach der Wahl zunehmen. Am wahrscheinlichsten ist eine Koalition zwischen Fine Gael und Labour. Fine Gael ist eine neoliberale, konservative Partei mit faschistischen Wurzeln. In ihrem Wahlprogramm setzt sie sich für massiven Stellenabbau und weitreichende Privatisierungen ein.

Die Gewerkschaften rufen zur Wahl der Labour-Partei auf. Labour wurde 1912 von James Connolly und James Larkin, legendären sozialistischen Arbeiterführern, gegründet. Davon ist heute nichts mehr zu merken. Rhetorisch werden Fianna Fail und die Grünen scharf angegriffen. In Wirklichkeit akzeptiert die Labour Party die von EU und IWF gestellten Bedingungen. Fine Gael will sechs Milliarden Euro in diesem Jahr kürzen, die Labour-Partei 4,5 Milliarden. Genug Spielraum, um sich in Koalitionsverhandlungen zu einigen.

Die Gewerkschaften sehen in der Labour Party das kleinste Übel und hoffen auf deren abmildernde Wirkung in einer Koalition mit Fine Gael. Fine Gael als Alleinregierung sei eine Katastrophe für die Arbeiter, so der Tenor, unter anderem in der Zeitung Liberty der Gewerkschaft. SIPTU. Die organisiert unter anderem den Gesundheitsbereich. Hier will Fine Gael ein hauptsächlich privates Versicherungsmodell einführen. Auch Labour will ein Versicherungsmodell, allerdings hauptsächlich staatlich, was Fine Gael wiederum als wettbewerbschädlich ablehnt.

Alle Formen von Versicherungsmodellen werden von Sinn Fein abgelehnt. Die Partei führt ein keynesianistisches Programm ins Feld. Ein wichtiger Bestandteil sind die Vorschläge für das Gesundheitssystem. Sinn Fein will den Aufbau einer durch Steuern finanzierten, kostenlosen Gesundheitsversorgung nach britischem Vorbild. Alle Privatisierungen in dem Bereich sollen rückgängig gemacht werden, Hunderttausende Jobs könnten so geschaffen werden, sagt Sinn Fein.

Die Gewerkschaften wissen, daß viele ihrer Mitglieder sich von keiner der etablierten Parteien angesprochen fühlen. Deshalb rühren sie die Werbetrommel zwar in erster Linie für Labour, aber auch für andere Parteien wie Sinn Fein oder die United Left Alliance.

Die United Left Alliance (ULA) präsentiert sich als einzige sozialistische Kraft im Rennen. Sie tritt mit dem Anspruch an, das Sparpaket mit allen Mitteln bekämpfen zu wollen. Die ULA kritisiert Sinn Fein auch deshalb, weil diese Partei in Nordirland an der Regierung sei und dort die Kürzungen der britischen Zentralregierung mit umsetze. Daher sei der Aufbau einer starken, eigenständigen linken Kraft in der Republik Irland nötig.

Die ULA hat große Chancen, mit mehreren Vertretern ins irische Unterhaus einzuziehen. Allerdings wird sie in Umfragen nicht berücksichtigt und den »anderen« zugeschlagen. Die »anderen« liegen in allen Umfragen allerdings vor Sinn Fein. In Munster beispielsweise kommen sie auf 13 Prozent, Sinn Fein auf elf Prozent. In Dublin stehen die anderen bei 16 Prozent, Sinn Fein bei elf Prozent. Die irische Politik ist in einer turbulenten Phase, dies könnte sich nach den Wahlen auf der Straße bemerkbar machen.

* Aus: junge Welt, 24. Februar 2011


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