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"Das ist das Ende der Neutralität von Irland"

Nach dem Ja zum Lissabonner Vertrag wird die Inselrepublik in die Militärpolitik der EU eingebunden. Ein Gespräch mit Aengus O’Snodaigh

Aengus O’Snodaigh (45) ist irischer ­Parlamentsabgeordneter und Europa­verantwortlicher von Sinn Féin.



Frage: Nach einem Nein im Juni 2008 haben die Iren dem Lissaboner Vertrag nun im zweiten Anlauf doch noch zugestimmt. Was bedeutet das?

Aengus O’Snodaigh: Dieser Vertrag verhilft einer Europa-Idee zum Durchbruch, die wir nicht wollen, die die Macht von den normalen Menschen entfernt und sie in die Hand einer Elite von Lobbyisten und Politikern der Europäischen Union in Brüssel legt.

Ist das Thema Lissabonner Vertrag damit ein für allemal durch?

Nein. Die Auseinandersetzung über das Schicksal Europas ist damit keineswegs zu Ende. Es wird weitere Verträge und weitere Kämpfe dagegen geben. Auf die müssen wir uns ab heute schon vorbereiten, wenn wir irgendwann die herrschende Vorstellung von einem Europa im Dienste des Marktes kippen wollen.

Ihre Partei hatte darauf gebaut, daß auch dieses Referendum mit einem Nein ausgehen würde. Ist das gegenteilige Ergebnis für die Gegner dieses Vertrages eine schmerzhafte Niederlage?

Dies ist keine Niederlage für Sinn Féin alleine. Die Befürworter des Vertrages hatten die Bevölkerung in einer wirksamen Kampagne eingeschüchtert, die Abstimmung ist somit eine Niederlage für ganz Irland. Das ist das Ende unserer Neutralität – die für unser Land einen sehr hohen Stellenwert hat! Durch den Beitritt zum Lissaboner Vertrag wird Irland gezwungen sein, einen Beitrag zur gemeinsamen Verteidigungspolitik zu leisten. Es muß also seine Streitkräfte verstärken, was aber Gelder aus Bereichen abzieht, in denen sie dringend gebraucht werden. Das heißt: aus der Sozialpolitik, dem Gesundheitssektor und dem Bildungswesen. Außerdem wird nach den neuen Regeln Irlands Stimmenanteil bei den Entscheidungen auf nur noch 0,8 Prozent reduziert. Deutschland kommt hingegen auf 17 Prozent. Irland wird infolgedessen bei den EU-Beschlüssen nur noch ein sehr geringes Gewicht besitzen.

Die Mehrheit der Iren hat bei der Abstimmung vielen Kommentatoren zufolge mehr an die Wirtschaftskrise als an die Verteidigung der Souveränität und Neutralität gedacht. Sie sah in der EU offenkundig eine Hilfe bei der Bewältigung der Krise.

Ob diese Hoffnung in Erfüllung geht, hängt davon ab, welcher Weg auf europäischer Ebene eingeschlagen wird, um aus der ökonomischen Krise herauszukommen. Der Weg, den dieser Vertrag empfiehlt, ist der der Verteidigung des Marktes und der multinationalen Konzerne bis zum Äußersten, und zwar auf Kosten einer Aushöhlung der Arbeiterrechte. Die EU wird von einer Ideologie dominiert, die im Markt und in der Privatisierung weiterhin die Lösung aller Probleme sieht. Wir müssen uns statt dessen dem Projekt eines sozialen Europas zuwenden, von dem vor vielen Jahren einmal die Rede war. Um es klarzustellen: Wir sind für Europa, solange das keine Zentralisierung der Macht bedeutet.

Innenpolitisch hatten viele Mitglieder von Sinn Féin und andere Parteien der radikalen Linken darauf gehofft, daß das Referendum zu einem Sturz der unpopulären Regierung von Fianna-Fáil-Parteichef Brian Cowen führen würde. Sitzt die jetzt fester im Sattel?

Ich glaube, daß sich diejenigen, die dachten, man könne die Regierung mit Hilfe dieses Referendums loswerden, getäuscht haben, weil es dabei nicht um die Exekutive ging. Aber egal wie man das sieht, meiner Einschätzung nach wird die Regierung sehr bald vor unüberwindlichen Hindernissen stehen, wenn sie weiter den verrückten Versuch unternimmt, die normalen Menschen für die Fehler der Bankiers bezahlen zu lassen. Die Gewerkschaften haben bereits Streiks und Proteste gegen die Kürzungspolitik angekündigt.

Interview: Raoul Rigault

* Aus: junge Welt, 6. Oktober 2009


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