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Dead end der EU

Irland retten" heißt, die Deutsche Bank retten und Lohndumping für Exportbranchen durchsetzen. Die Alternativen sind Entschuldung und Demokratie

Von Werner Rügemer *

Josef Ackermann ist Schweizer und Chef der Deutschen Bank. Die gehört angelsächsischen Investoren und der United Bank of Switzerland (UBS) und macht ihre Hauptgeschäfte in London, New York und auf den Cayman Islands. Ackermann spielt jetzt den glühenden Europäer. »Europa muß als Einheit bewahrt werden und darf nicht kurzfristigen ökonomischen Erwägungen zum Opfer fallen, « ließ er verlauten, nachdem er Ende November durch Brüssel tourte und den EU-Kommissionspräsidenten, den EU-Ratspräsidenten und den EU-Binnenmarktkommissar heimgesucht hatte. Lutz Raettig, Aufsichtsratschef der deutschen Niederlassung der US-Investmentbank Morgan Stanley, sagt es so: »Die Forderungen der deutschen Banken an Irland sind wichtig genug, um dem Land zu helfen.« Irland retten – das hört sich für das Wählervolk besser an als »deutsche« Banken retten.

Die EU hat Irland zum Modellstaat gemacht. Sie hat den Aufbau einer Finanzoase in Dublin gefördert – eine Finanzoase aus der Retorte. Hier mußte nicht erst die Bankenaufsicht dereguliert werden, es gab und es gibt keine. Hier wickelten europäische Banken, Auto- und Pharmafirmen ihre zudem steuerbegünstigen Transaktionen ab. Hier versteckten diese in ihren »Zweckgesellschaften« die riskantesten Spekulationen, die zur Finanzkrise beitrugen.. Dortzulande betrieb die deutsche Depfa ihre Schneeball-Syteme, wurde 2008 von der Hypo Real Estate aufgekauft und verursachte damit den größten Bankenbankrott und die teuerste Bankenrettung in der BRD-Geschichte.

In welchem Maße die behauptete 130-Milliarden-Euro-Verschuldung des Staates Irland gefälscht ist, spricht sogar ein neoliberaler Prediger wie Hans-Werner Sinn offen aus: »Diese Aussage ist falsch, weil hinter dieser Zahl etwa 100 Milliarden Euro Ansprüche gegenüber eigenen Zweckgesellschaften der deutschen Banken stehen, deren Risiken mit der Bonität des irischen Staats und der irischen Banken nichts zu tun haben«. (Handelsblatt 29.11.2010)

Im Zentrum der irischen Verschuldung steht wie in Spanien der spekulativ hochgepushte Immobilienmarkt. Einheimische Institute wie die Anglo Irish Bank finanzierten Bürohäuser, Luxusappartments und Eigenheimsiedlungen. Die Kredite wurden ohne strenge Auflagen vergeben, wie in den USA. Wer ein Haus oder eine Geschäftsimmobilie baute, konnte damit Steuern sparen. Zwischen 1996 und 2006 vervierfachten sich die Immobilienpreise. Zwischen 2000 und 2008 erweiterte sich der Bestand an neuen Bauten um mehr als ein Drittel auf 1,9 Millionen Immobilien – weit am Bedarf und an der Kaufkraft vorbei. Seit dem Absturz 2008 stehen gläserne Büropaläste ebenso leer wie 350000 Häuser. Geisterstädte voller Eigenheime und Appartments gammeln vor sich hin. Der Staat nahm den 16 irischen Banken und Immobiliengesellschaften 90 Milliarden an faulen Krediten ab, gründete dafür die Immobilien-Bad-Bank Nama. Sie soll auch verpfändete und halbfertige Häuschen notdürftig unterhalten – man hofft, wenigstens ein paar an Touristen zu verkaufen; die meisten wird man abreißen müssen.

Um den Boom zu finanzieren, nahmen die winzigen irischen Banken Kredite vor allem bei englischen und deutschen Banken auf, direkt oder indirekt über deren irische Zweckgesellschaften. Ganz vorn mit dabei neben Deutscher Bank und Commerzbank: die Hypo Real Estate. Der Staat Irland hat selbst also keineswegs die vielen Schulden gemacht – die entstanden vor allem durch die Rettung der irischen Banken und letztlich der europäischen Großbanken.

Die EU förderte über den Zauberlehrling Irland auch das Dumping bei den Unternehmenssteuern: Hier liegt der Satz bei konkurrenzlosen 12,5 Prozent. Zusätzlich gewährte die EU üppige Zuschüsse zur Gründung von Firmen, europäische Banken gaben Kredite. Siemens, Intel, Google, Microsoft, Vodafone, Pharmariesen wie Glaxo­SmithKline und die Automobilbranche nutzten die Niedriglöhne und siedelten Zuliefer-Werkbänke an. 1000 ausländische Firmen ließen hier für den Export arbeiten. SAP läßt von hier aus online weltweit Softwarekunden beraten und Software verkaufen.

Beschäftigte auspressen, billiges und subalternes Produzieren für den Export der internationalen Konzerne, spekulativ finanzierter Boom: Wenn das Kartenhaus zusammenbricht, werden die Kosten auf die Mehrheit der Bevölkerung abgewälzt. Indem die EU »Irland« rettet, haben die Banken doppelten Gewinn. Sie brauchen ihre spekulativ vergebenen Kredite nicht abzuschreiben, und es wird noch sicherer, an Irland und an andere EU-Staaten weiter Geld zu verleihen. Die Konzerne freuen sich auch schon: Zum Sparprogramm gehört die Absenkung der Mindestlöhne. Die ersten Konzerne kommen zurück, und das Spiel beginnt von neuem.

Die rigorosen Maßnahmen der Regierung führen in wirtschaftliche Depression, wie in Griechenland. Die Ratingagenturen wiederum stuften Irland auf Ramschstatus herab, auch wegen der schlechten wirtschaftlichen Aussichten, und schon steigt der Zins auf die Staatsschulden noch weiter – die tödliche Medizin nach EU- und Weltbank-Rezept. Und weil die »starken« Staaten die Hauptlast der neuen Kredite tragen – gleichgültig ob über EU-Anleihen oder über den bisherigen 750 Milliarden-Rettungsschirm –, verlangen die Banken auch für die Staatsanleihen der starken Staaten höhere Zinsen, und die Gebühren für die Kreditausfallversicherungen werden ebenfalls teurer. Auch deswegen soll die deutsche Bevölkerung sparen, zusätzlich.

Die aus dem Niedergang der sozialistischen Staaten gespeiste EU-Euphorie hat ihre Legitimation verloren und zeigt ihr wahres Gesicht. Dabei ist nicht der Euro als Währung das Problem, sondern die damit verbundene Wirtschafts- und Steuerpraxis. Nicht der Staatsbankrott ist die Lösung, sondern die Nichtbezahlung unseriös vergebener Kredite. Die Großbanken würden nicht pleite gehen, wenn sie die vergleichsweise kleinen Beträge in Irland abschreiben. Sie fürchten das Exempel. Beispiele gibt es schon: vor Jahren Argentinien, jetzt Island. Da braucht es aber Regierungen, die keine Lakaien sind. Nicht nur europaweiter Widerstand gegen Sparprogramme steht an, sondern der Aufstand für ein demokratisches Europa.

* Aus: junge Welt, 15. Dezember 2010


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