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"Die Iren sind bereit zu kämpfen"

Großdemonstration gegen "Sparpolitik" und Arbeitslosigkeit in Dublin. Ein Gespräch mit Paul Murphy *


Paul Murphy lebt in Dublin und ist Europaabgeordneter der irischen Sozialistischen Partei.

Irland gilt als Musterschüler unter den verächtlich als »PIIGS« bezeichneten Krisenstaaten der Euro-Zone. Den bürgerlichen Medien zufolge befinden Sie sich, dank der Kürzungspolitik, auf einem guten Weg. Stimmt das?

Ministerpräsident Enda Kenny meint sogar, mit der EU-Präsidentschaft, die Irland seit dem 1. Januar turnusgemäß für sechs Monate innehat, führe »ein Land des Aufschwungs einen Aufschwung in Europa an«. Tatsächlich gab es wie seit fünf Jahren schon auch 2012 eine Rezession in Irland, in Europa insgesamt ist die Wirtschaft ebenfalls weiter geschrumpft.

Es ist also nicht mehr als leeres Geschwätz. Die »Sparpolitik« hat den Lebensstandard der Menschen zerstört, Massenarbeitslosigkeit produziert und viele in tiefe Armut gestürzt. Gelohnt hat sie sich nur für die Besitzer von Anleihen, die im laufenden Jahr 26 Milliarden Euro aus Steuergeldern einsacken können. Natürlich auch für Teile der Großunternehmen. Aber ein Wirtschaftsaufschwung ist das nicht.

Was erwarten Sie von diesem irischen Halbjahr, in dem zum ersten Mal seit Ausbruch der Krise einer der »Underdogs« an der Spitze der EU steht?

Die irische Regierung wird der EU-Kommission dabei helfen, die gescheiterte »Sparpolitik« fortzusetzen. 2013 wird das erste volle Jahr, in dem die Staatshaushalte der Brüsseler Kommission und dem Europäischen Rat vorgelegt werden müssen, bevor sie in den jeweiligen Parlamenten überhaupt diskutiert werden können. Das Ziel ist klar: Die demokratischen Rechte sollen weiter unterminiert und frühzeitig Druck auf Regierungen ausgeübt werden, die angeblich notwendigen Austeritätsprogramme umzusetzen.

Was ist konkret geplant?

Während der irischen Präsidentschaft wird darüber verhandelt, wie die EU-Kommission bei der »Überwachung von Haushaltsplänen« noch mehr Macht bekommt.

Das irische Kabinett hat außerdem das Problem der Jugendarbeitslosigkeit auf die Tagesordnung gesetzt, die mit 30 Prozent noch nie so hoch war wie heute – und das trotz einer Emigrationswelle. Man möchte den Jugendlichen zwar einen Arbeitsplatz garantieren, da aber keine Investitionen in echte Jobs vorgesehen sind, bleibt das ein leeres Versprechen.

Anders als in Südeuropa gab es in Irland bislang wenig Proteste. Für diesen Samstag nun ruft der Gewerkschaftsbund ITUC zu einem landesweiten Aktionstag auf und erwartet 100000 Teilnehmer. Ist das der Beginn einer neuen Dynamik?

Die lohnabhängigen Iren sind bereit zu kämpfen – das zeigt sich alleine schon daran, daß sich die Hälfte der Iren einer Kampagne meiner Partei angeschlossen hat, die verhaßte Haushaltssteuer nicht zu zahlen. Diese Abgabe hatte uns die Troika aus Internationalem Währungsfonds, EU und Europäischer Zentralbank aufgenötigt.

Wenn sich nicht mehr Widerstand entfaltet, liegt das daran, daß die Gewerkschaftsführer weder Entschlossenheit zeigen noch über Führungskraft verfügen. Nicht einmal die erwähnte Demonstration richtet sich gegen diese Regierung, die nur die Diktate der Troika umsetzt.

Gibt es Perspektiven über diesen Aktionstag hinaus?

Es wird noch mehr Massenproteste geben, weil die Regierung auch eine »Eigentumssteuer« einführen will. Darüber hinaus gibt es eine weit verbreitete Unzufriedenheit – vor allem bei jüngeren Frauen – über das fehlende Recht auf Abtreibung. Auslöser war der Tod von Savita Halappanavar, der ein lebensrettender Schwangeschaftsabbruch verweigert wurde. Das hatte 20000 Menschen auf die Straße gebracht.

Was sind Ihrer Ansicht nach die wichtigsten Aufgaben der Linken heute – in Irland wie in Europa?

Die Gewerkschaften und die sozialen Bewegungen brauchen Persönlichkeiten, die die nötigen Kämpfe gegen die »Sparpolitik« ihres jeweiligen Landes anführen. Diese Aktionen auf nationaler Ebene müssen europaweit koordiniert werden – einschließlich eines 24stündigen Generalstreiks.

Welches Potential für einen solchen Paukenschlag vorhanden ist, haben wir am 14. November gesehen, als in Südeuropa Generalstreiks und große Kundgebungen stattfanden. Die Lohnabhängigen brauchen darüber hinaus eigene Massenparteien, die und eine sozialistische Alternative zur kapitalistischen Krise bieten.

Interview: Raoul Rigaul

* Aus: junge Welt, Samstag 9. Februar 2013


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