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Sagen die Iren Ja zum Sparen?

Irlands Bürger tendieren zum Fiskalpakt - bei einem Nein gäbe es keine EU-Hilfen mehr

Von John Stanton, London *

Irlands Bürger stimmen als einzige über den EU-Fiskalpakt ab. Die Regierung wirbt für ein Ja, um die Finanzierung des Staates auch nach 2013 sicherzustellen. Die Gegner fordern, zuerst die deutschen und britischen Banken zur Kasse zu bitten.

Europa weiß inzwischen, wie ernst es die irischen Wähler nehmenmuss. Vor elf Jahren lehnte Irland den Vertrag von Nizza ab und stürzte die EU in eine Krise. Die Regierung ließ ihre Bürger nachsitzen; bei der zweiten Abstimmung stimmten sie zu. Diesmal wäre ein Nein nicht so leicht zu korrigieren.

Zwar könnte der Fiskalpakt ohne eine Ratifizierung durch Irland in Kraft treten - dazu genügt die Ratifizierung durch zwölf der 25 Staaten, die ihn unterzeichnet haben. Aber er wäre geschwächt, bevor er auch nur in Kraft tritt. »Es ist das einzige Mal, dass Bürger über den Fiskalpakt abstimmen. Ein Nein würde ihn extrem beschädigen«, sagt denn auch Hugo Brady, Forscher am Centre for European Reform, einer proeuropäischen Denkfabrik in London. »Es würde den Investoren signalisieren, dass der Pakt auch in anderen Ländern nicht von den Bürgern unterstützt wird.« Damit würde das Gefühl verstärkt, dass die Sparpolitik zunehmend auf Widerstand stößt. Derzeit sieht es allerdings nicht schlecht aus für den Fiskalpakt. In einer Umfrage der »Irish Times« vom Samstag stimmen ihm 39 Prozent der Befragten zu. 30 Prozent lehnen ihn ab. 31 Prozent sind unentschieden oder wollen sich enthalten.

Irland hängt am Tropf der ausländischen Hilfe. Die EU und der Internationale Währungsfonds (IWF) haben 2010 insgesamt 85 Milliarden Euro gewährt. Der irische Staat, der bis dahin die Maastricht-Kriterien zur öffentlichen Verschuldung eingehalten hatte, übernahm sich 2008/2009 mit der Rettung seiner Banken. Es ist unwahrscheinlich, dass die bisherige Hilfe reichen wird. Doch zusätzliche EU-Mittel gibt es nur, wenn das Land den Fiskalpakt ratifiziert. »Wir sind bis Ende 2013 finanziert«, sagte Irlands Ministerpräsident Enda Kenny am Samstag. »Ein Ja zum Pakt garantiert den Zugang zur Hilfe auch danach. Ein Nein verhindert das.« Am Sonntag legte er in einer Fernsehansprache nach. Die Zustimmung zum Pakt würde wieder Sicherheit für Investoren bringen und damit Arbeitsplätze schaffen.

Die Kritiker, angeführt von der linksrepublikanischen Sinn Féin, sehen das anders. Wenn das Volk den Pakt ablehnt, müssten die deutschen und britischen Banken ihre irischen Staatsanleihen einfach abschreiben. Eine Annahme des Paktes dagegen würde zu weiteren Sparmaßnahmen zwingen, welche die Arbeitslosigkeit erneut in die Höhe trieben.

Sinn Féin, die in der Irischen Republik lange ein Schattendasein geführt hat, reitet mit diesen Argumenten derzeit auf einer Erfolgswelle. In den neuesten Umfragen erreicht sie mit 24 Prozent den zweiten Platz hinter Fine Gael von Ministerpräsident Kenny mit 32 Prozent. Die mitregierende Labourpartei, die mit Sinn Féin um linke Wähler konkurriert, aber den Fiskalpakt unterstützt, fällt auf zehn Prozent.

Die Haltung der Wähler zum Pakt scheint stark von ihrer eigenen sozialen Stellung abzuhängen. Die Mittelschicht dürfte im Pakt das einzige Mittel sehen, die Wirtschaft wieder voranzubringen. »Wir werden wohl wieder ein Rettungspaket brauchen«, sagt Graham Parker. Der 32-Jährige lebt in Clongriffin, einem der besseren Vororte Dublins. »Wenn wir Brüssel vor den Kopf stoßen, wird das nicht helfen.« Auch Tom Cleary, der in einem Tourismusunternehmen in Dublin arbeitet, sieht den Pakt als die wirtschaftlich bessere Lösung. Ein Nein im Referendum würde den zaghaften Aufschwung stoppen.

Die Mehrheit der Arbeiter scheint es anders zu sehen. »Die Regierung kümmert sich nur um die reichen Banker«, sagt Joe Redmond, Pfleger in einem Krankenhaus. »Mein Lohn ist um fast tausend Euro im Monat gefallen, weil keine Überstunden mehr möglich sind. Jetzt soll ich für ein System stimmen, in dem Europa uns das Budget vorschreibt und verhindert, dass ich jemals wieder mehr verdiene.« Andere lehnen den Pakt ab, solange nicht auch die reichen Investoren zur Kasse gebeten werden. »Ich habe nichts Unvernünftiges vor der Krise getan«, sagt Teresa McNulty, Angestellte eines Ingenieurunternehmens. »Die Regierung hätte zuerst diejenigen zur Kasse bitten müssen, die den Banken Geld gegeben haben.«

* Aus: neues deutschland, Donnerstag, 31. Mai 2012


Irland am Scheideweg

Ein Kommentar zur Volksabstimmung über den Fiskalpakt

Von Eugene McCartan **


Irland steht bei der heutigen Volksabstimmung über den Fiskalpakt vor einer Richtungsentscheidung. Unterstützen wir die weitere Beschneidung unserer politischen und ökonomischen Souveränität? Begeben wir uns und künftige Generationen unter die Kontrolle des »Stabilitätsvertrages«, der den Interessen deutscher und französischer Banker Priorität einräumt gegenüber unseren Kindern, unseren Kommunen und unserem Land?

Wenn die Regierungen der Europäischen Union und die Vertreter der EU-Kommission davon sprechen, daß sie durch eine »wettbewerbsfähigere« EU »Wachstumsbedingungen« schaffen wollen, dann geht es darum, Arbeitsrecht, -verträge und -bedingungen zu unterminieren. In Deutschland setzen sich Billiglöhne und prekäre Beschäftigung immer stärker durch. Genau das wollen die europäischen Großkonzerne und insbesondere die deutschen Monopole für die gesamte EU.

Es ist eine Illusion zu glauben, daß die EU offen für eine progressive Veränderung ist. Mittlerweile ist mehr als deutlich geworden, daß die Sparprogramme genauso funktionieren, wie sie von Beginn an geplant waren. Es war die Strategie der herrschenden Kräfte in den Mitgliedsstaaten, den EU-Institutionen und den Konzernen, die arbeitenden Menschen für die Systemkrise bezahlen zu lassen. Jüngste Statistiken zeigen, daß genau das auch passiert. Wir sehen eine massive Umverteilung der Vermögen von unten nach oben, von den Menschen zu den Eliten in Irland und zum Finanzkapital und den Großkonzernen überall in der EU. Genau das war mit den Sparprogrammen beabsichtigt. Bei diesen handelt es sich nicht um eine falsche Medizin, wie manche glauben, sondern sie sind die Antwort der Eliten auf die Widersprüche im Herzen des Systems.

Wenn wir für den Fiskalpakt stimmen und den Vertrag über den Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) ratifizieren, werden wir weitere budgetäre Anpassungen vornehmen müssen – weitere Kürzungen. Die Essenz dieses Vertrages ist es, die Bedienung der Schulden zur obersten Priorität der Regierungspolitik zu machen – nicht nur in Irland, sondern überall in der EU, speziell aber in den stark verschuldeten Peripherieländern, die dadurch in eine unentrinnbare Schuldenfalle gesperrt werden.

Fiskalpakt und ESM werden im Zusammenspiel mit anderen Maßnahmen die Überwachung und Kontrolle nationaler Regierungen durch EU-Institutionen weiter verstärken. Der ESM-Vertrag würde eine Regierungsstruktur etablieren, die über dem Gesetz, jenseits rechtlicher Kontrolle und vor allem jenseits demokratischer Verantwortlichkeit stehen würde. Dies bedeutet praktisch das Ende der budgetären Unabhängigkeit der Mitgliedsländer.

Die geschwächten, abhängigen Staaten an der Peripherie würden sich zu Protektoraten der Zentralmächte entwickeln, inklusive ständig verfügbaren Reserven an billigen Arbeitskräften und mit demokratischen und ökonomischen Regeln, die im Sinne der Interessen der Großkonzerne zurechtgebogen werden.

Der Monopolkapitalismus kann keine Lösungen im Interesse der Bevölkerung entwickeln. Ohne Zweifel wird sich diese Krise noch verschärfen, während das politische Establishment weiterhin das Volk dafür bezahlen läßt. Ihre Forderungen nach Opfern bedeuten, daß die Interessen der herrschenden Eliten unangetastet bleiben sollen.

Es ist nun an der Zeit, die Richtung zu ändern und die dabei auftauchenden Schwierigkeiten vereint zu meistern. Das Ergebnis wird eine gerechte, ökonomisch und ökologisch nachhaltige Gesellschaft sein – ein Irland, das auf Gleichheit, aktiver Beteiligung und der Kontrolle der arbeitenden Menschen über alle politischen, ökonomischen und kulturellen Lebensbereiche beruht.

** Eugene McCartan ist Generalsekretär der Kommunistischen Partei Irlands.

Aus: junge Welt, Donnerstag, 31. Mai 2012



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