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Schatten und Phantome

Die Meldungen über iranische Luftangriffe im Irak sind nicht belegt - doch machten sie weltweit die Runde

Von Knut Mellenthin *

Iranische Kampfflugzeuge haben Stützpunkte der Islamisten im Nordirak bombardiert? Sprecher der US-Regierung haben das Stattfinden dieser Angriffe bestätigt? Das iranische Außenministerium hat die Meldungen über eine Beteiligung am Luftkrieg gegen den »Islamischen Staat« (IS) dementiert? Das berichtet der Mainstream. Aber die erste Behauptung ist unbewiesen, und die beiden anderen sind definitiv falsch. Entsprechend substanzlos sind die Vermutungen über eine enge militärische Zusammenarbeit der »Erzfeinde« in Washington und Teheran.

Auslöser der jüngsten Spekulationen waren Videoaufnahmen, die in der vorigen Woche vom Sender Al-Dschasira ausgestrahlt wurden, der im kleinen Fürstentum Katar beheimatet ist. Die angeblich am 23. November aufgenommenen Bilder zeigten laut Originalkommentar »irakische Düsenjäger«, die in der Nähe der Stadt Al-Saadija Luftunterstützung für eine von kurdischen und schiitischen Milizen sowie regulären Streitkräften getragene Offensive gegen den IS leisteten. Am Sonntag wies das Militärmagazin Jane's Defence Weekly auf seinen Internetseiten darauf hin, dass eine der im Film gezeigten Maschinen eine »Phantom F-4« sei. Die aber werde nicht von der irakischen Luftwaffe geflogen, sondern in der Region nur vom Iran und von der Türkei. Wegen der Nähe der Kampfhandlungen zur iranischen Grenze und wegen der erklärten Abneigung der Regierung in Ankara, sich militärisch am Kampf gegen den IS zu beteiligen, habe es sich wahrscheinlich um ein iranisches Flugzeug gehandelt.

Richtig aufmerksam wurden internationale Nachrichtenagenturen und Medien freilich erst, als sich am Montag die israelische Presse des Themas annahm. Am Dienstag antwortete Pentagon-Sprecher John Kirby während seiner routinemäßigen Pressekonferenz auf eine Frage: »Ich habe die Berichte gesehen. Wir haben keine Anzeichen, dass die Berichte nicht wahr sind.« Auf Nachfragen lehnte er es jedoch ausdrücklich ab, die Meldungen als wahr zu bestätigen. Er betonte außerdem, dass es keine Zusammenarbeit mit dem Iran gebe und dass für die Regulierung der Flugbewegungen im irakischen Luftraum ausschließlich der Irak selbst zuständig sei.

Ebenfalls am Dienstag widersprach die Sprecherin des Teheraner Außenministeriums, Marzieh Afkham, lediglich den Meldungen über eine Kooperation oder Koordination mit den USA. Die angeblichen Luftangriffe wollte sie weder dementieren noch bestätigen. In gleicher Weise äußerten sich auch Vertreter des iranischen Militärs.

Die »Phantom F-4« ist ein US-amerikanisches Flugzeug, dessen Produktion in den 1950er Jahren begann und 1979 eingestellt wurde. Iran hatte zur Zeit des Schah-Regimes mehrere hundert davon gekauft. Viele davon werden trotz des totalen Mangels an Ersatzteilen von der iranischen Luftwaffe immer noch geflogen. Internationale Militärexperten bezeichnen die Iraner als »Weltmeister« im Warten, Reparieren und Modernisieren von altem Kriegsmaterial.

Aber auch die türkische Luftwaffe setzt die »Phantom F-4« immer noch ein. Beispielsweise in der jüngeren Vergangenheit für Luftangriffe gegen Stützpunkte der PKK im nordirakischen Kurdengebiet. Also ungefähr dort, wo sich der Zwischenfall am 23. November ereignet haben soll. Auch das türkische Militärflugzeug, das am 22. Juni 2012 abgeschossen wurde, nachdem es in den syrischen Luftraum eingedrungen war, war eine »Phantom F-4«. In dem von Al-Dschasira gesendeten Video ist das Kampfflugzeug nur als unscharfer Schatten zu sehen, ohne dass die Kennzeichen identifizierbar wären.

Dass Iran in Absprache mit der Regierung in Bagdad eine wesentliche Rolle im Kampf gegen den IS spielt, ist dennoch eindeutig. Kürzlich sagte der irakische Ministerpräsident Haider Al-Abadi in einem Fernsehinterview: »Als Bagdad bedroht war, haben die Iraner nicht gezögert, uns zu helfen, und sie zögerten auch nicht, den Kurden zu helfen, als Erbil in Gefahr war.« Die Iraner seien »anders als die Amerikaner«, die dem Irak monatelang direkte Unterstützung verweigerten.

* Aus: junge Welt, Samstag, 6. Dezember 2014


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