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Der Streit geht weiter

Die veröffentlichten Erklärungen über die getroffenen Abmachungen zum iranischen Atomprogramm lassen Raum für Interpretationen

Von Knut Mellenthin *

Waren die tagelangen Gespräche über das iranische Atomprogramm in Lausanne, die sieben Außenministern kaum Zeit zum Schlafen ließen, nur Theater? Nicht einmal eine Woche nach der großen Show sieht es ganz danach aus. Eine »Deadline«, die sich die Beteiligten vor einigen Monaten selbst gesetzt hatten, musste eingehalten werden: Bis zum 31. März sollte die Einigung auf die »politischen Grundsätze« eines Langzeitabkommens vollbracht sein, um dann im nächsten Arbeitsgang bis Ende Juni die »technischen Einzelheiten« auszuhandeln. Iran und die Sechsergruppe – bestehend aus den fünf ständigen Mitgliedern des UN-Sicherheitsrats und Deutschland – gönnten sich eine Verlängerung von zwei Tagen, bevor sie am Donnerstag mit der Behauptung vor die Presse traten, sich tatsächlich fast termingerecht auf die »Schlüsselparameter« eines Vertrags geeinigt zu haben.

Jedoch: Über diese »Parameter« gibt es offenbar keine schriftliche Vereinbarung. Das State Department der USA veröffentlichte eine Version, das iranische Außenministerium eine andere. Die Unterschiede zwischen beiden Texten sind auffallend groß. Am Sonntag behauptete Teherans Außenminister Dschawad Sarif nicht nur, dass die US-amerikanische Veröffentlichung »falsch« sei, sondern teilte zugleich überraschend mit, es gebe gar keine iranische Fassung der »Parameter«. Das muss die Pressestelle seines Ministeriums zuvor anders gesehen haben.

Die iranische Regierung will als verbindliches Konsenspapier nur die
»gemeinsame Stellungnahme« gelten lassen, die am Donnerstag von Sarif und der EU-Außenpolitikchefin Federica Mogherini als Sprecherin der Sechsergruppe auf einer Pressekonferenz zum Abschluss der Lausanner Gespräche bekanntgegeben wurde. Abgesehen davon, dass dieser Text äußerst knapp war und keine konkreten Details enthielt, gibt es jedoch ein weiteres Problem: Was Mogherini auf Englisch vortrug und was Sarif anschließend in der iranischen Landessprache Farsi verlas, ist trotz seiner beruhigenden Versicherung »Es ist dieselbe Erklärung« keineswegs ein identischer Text. Die Unterschiede sind erheblich. Sie betreffen insbesondere die Frage, wie künftig mit den Sanktionen gegen Iran umgegangen werden soll. Sarif scheint aber auch wesentliche Aussagen über die grundsätzlich vereinbarten Beschränkungen des iranischen Atomprogramms weggelassen zu haben.

Trotzdem hat die iranische Seite dem englischen Text, der von der italienischen Europapolitikerin vorgetragen wurde, bisher nicht widersprochen. Es ist sogar davon auszugehen, dass er zuvor mühsam Wort für Wort mit den Vertretern Irans ausgehandelt wurde. Nach dieser Version der gemeinsamen Stellungnahme hat sich die US-Regierung lediglich bereit erklärt, die Anwendung aller »nuklearbezogenen« Strafmaßnahmen zu unterlassen, sobald die Internationale Atomenergiebehörde IAEA bestätigt, dass Iran »seine zentralen nuklearen Verpflichtungen« – so, wie sie im angestrebten Langzeitabkommen definiert werden sollen – erfüllt hat.

Präsident Hassan Rouhani und die iranische Regierung bevorzugen statt dessen die Behauptung, dass den Lausanner Vereinbarungen zufolge »alle Sanktionen« – nicht nur diejenigen, die mit dem iranischen Atomprogramm begründet wurden – »am ersten Tag« des Inkrafttreten eines Vertrages »aufgehoben« und »beendet« werden sollen. Das ist mit Sicherheit falsch.

Viele der US-amerikanischen Strafmaßnahmen – und zwar gerade die, die dem Iran besonders schweren Schaden zufügen – haben Gesetzesform und könnten nur vom Kongress aufgehoben werden. In dessen beiden Häusern hat Barack Obama aber keine Mehrheit und will unbedingt eine Abstimmung vermeiden. Die US-Administration kann daher gar nicht mehr anbieten als die »Suspendierung« der Sanktionsbestimmungen. Praktisch würde das bedeuten, dass Obama ihren Vollzug vorübergehend aussetzen könnte. Dieser Akt müsste jedoch, um gültig zu bleiben, alle sechs Monate erneuert werden. Die damit verbundene Unsicherheit stünde einer Normalisierung der internationalen Wirtschafts- und Finanzbeziehungen zum Iran im Wege.

* Aus: junge Welt, Dienstag, 7. April 2015


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