Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Verlängerung im "Palais Coburg"

Iranische Seite wartet auf konkrete Zusagen für Lockerung der Sanktionen

Von Knut Mellenthin *

Die Verhandlungen über das iranische Atomprogramm werden trotz großer Differenzen bis zum 24. November fortgesetzt.

In den seit zwölf Jahren geführten Streit um das iranische Atomprogramm schien in der vergangenen Woche Bewegung zu kommen, als die »New York Times« über einen Vorschlag von Irans Außenminister Mohammed Dschawad Sarif berichtete: Iran sei bereit, die Anreicherung von Uran für einen Zeitraum von bis zu sieben Jahren in ihrem jetzigen Umfang zu belassen, wenn es anschließend so behandelt würde wie jede andere Nation mit einem friedlichen Atomprogramm.

Das Angebot kam kurz vor Toresschluss. Am Sonntag endete die Frist, die sich die Islamische Republik Iran und die Sechsergruppe – bestehend aus den fünf ständigen Mitgliedern des UN-Sicherheitsrats und Deutschland – gesetzt hatten, um sich auf ein Abkommen zur Lösung des Konflikts zu einigen. Der Vertrag soll für einen noch zu vereinbarenden Zeitraum genau die Höchstmenge der Urananreicherung und sogar die Standorte einzelner Anlagen festlegen. Die USA und ihre europäischen Partner wollen unter anderem die Schließung der Produktionsstätte Fordo erzwingen, die fast unangreifbar in einem Bunkersystem unterhalb eines Bergmassivs liegt.

Sarifs jüngstes Angebot blieb nicht lange unbeantwortet. US-Außenminister John Kerry sagte am Dienstag bei einer Pressekonferenz, dass Iran seine derzeitige Anreicherungskapazität nicht nur einfrieren, sondern deutlich verringern müsse. Der tiefe Gegensatz in dieser zentralen Frage zeigt, wie weit die Positionen der verhandelnden Staaten auseinander liegen. Das hinderte sie aber nicht, ihre Verhandlungen auch über den 20. Juli hinaus fortzusetzen. Dass eine Seite die Verantwortung für den Abbruch der Gespräche auf sich nehmen würde, war auch kaum vorstellbar. Zumal jetzt, wo alle Beteiligten die »positive, konstruktive Atmosphäre« der Verhandlungen im historischen Wiener Luxushotel »Palais Coburg« hervorheben und unbestimmt sogar von »Fortschritten« sprechen. Wesentlich mehr zu sagen ist eigentlich nicht gestattet, da die sieben Staaten Vertraulichkeit vereinbart haben. Dieses System hat bisher erstaunlich gut funktioniert, zeigt aber erste Risse.

So griff Irans religiöser Führer Ajatollah Ali Khamenei vor Kurzem öffentlich in die Debatte ein, indem er die von Iran benötigte Anreicherungskapazität mit 190 000 SWU (spezielle Maßeinheit bei der Urananreicherung) pro Jahr bezifferte. Die Zahl steht in einem allgemein zugänglichen Fachartikel, war genau genommen also kein Geheimnis. Sie bezieht sich auf den Brennstoffbedarf eines Atomkraftwerks wie die von russischen Firmen gebaute Anlage bei Buschehr.

Zum Verständnis der Dimension: Iran führt die Anreicherung zur Zeit mit 15 500 Gaszentrifugen durch, von denen jedoch aus technischen Gründen immer nur etwa die Hälfte in Betrieb ist. Es handelt sich ausschließlich um Geräte eines in den 70er Jahren entwickelten, veralteten Typs, die wenig effektiv und sehr störanfällig sind. Die Kapazität liegt bei 15 000 SWU pro Jahr. Die USA-Regierung will durchsetzen, dass Iran noch weniger Zentrifugen einsetzen darf als gegenwärtig. Experten, die den Republikanern nahe stehen, wollen den Iranern weniger als 5000 SWU pro Jahr gestatten. Das wäre eine rein symbolische Größenordnung ohne praktischen Wert. Irans ohnehin schon stark reduziertes Ziel, wenigstens die Brennelemente für ein einziges AKW selbst zu produzieren, um Unabhängigkeit zu demonstrieren, wäre damit gestorben.

Gleichzeitig ist ungewiss, mit welchen Sanktionserleichterungen Iran wirklich rechnen kann, falls es dem Westen Zugeständnisse macht. Die Grundsatzvereinbarung der sieben Staaten vom 24. November sieht zwar vor, dass nach Unterzeichnung eines Vertrages zur Begrenzung des iranischen Atomprogramms alle »nuklearbezogenen« Strafmaßnahmen aufgehoben werden sollen. Viele Sanktionen der USA – und das sind bei weitem die schwerstwiegenden – wurden aber auch mit der angeblichen Unterstützung Irans für Terrorismus, einer »Destabilisierung des Nahen Ostens« oder dem iranischen Raketenprogramm begründet.

* Aus: neues deutschland, Montag 21. Juli 2014


Streit um Urananreicherung und Leichtwasserreaktoren

Nach Chatami und Ahmadinedschad ist Ruhani bereits als dritter Präsident der Islamischen Republik mit dem Atomkonflikt beschäftigt

Der Streit Irans mit dem Westen beschäftigt die Welt schon seit Jahren. Ein Überblick über die wichtigsten Ereignisse seit 2003

Im August 2003 berichtet die in Wien ansässige Internationale Atomenergiebehörde (IAEA) erstmals über Spuren angereicherten Urans in der iranischen Anlage Natans, wo auf Satellitenbildern der USA zuvor eine Atomanlage entdeckt worden war.

Im Oktober 2003 willigt Irans Chefunterhändler Hassan Ruhani – heute Präsident – bei Verhandlungen mit Deutschland, Frankreich und Großbritannien in die Aussetzung der Urananreicherung und die Zulassung unangekündigter Kontrollen der Atomanlagen ein.

Im August 2005 nimmt Irans Präsident Mahmud Ahmadinedschad die Urananreicherung wieder auf. Deutschland, Frankreich und Großbritannien brechen die Gespräche ab. Im April 2006 verkündet Ahmadinedschad die erfolgreiche Anreicherung von Uran.

Im Juni 2006 bietet die 5+1-Gruppe (fünf UN-Vetomächte und Deutschland) im Gegenzug für den Stopp der Urananreicherung Hilfe beim Bau von Leichtwasserreaktoren zur Stromerzeugung sowie Handelsvorteile an. Im August 2006 lehnt Teheran das Angebot ab.

Im Dezember 2006 verhängt der UN-Sicherheitsrat Handels- und Wirtschaftssanktionen, die später mehrmals verschärft werden. Die USA und nach ihr die EU beschließen zusätzliche eigene Sanktionen.

Im April 2009 wird in Isfahan eine Fabrik für die Herstellung schwach angereicherter Kernbrennstoffe fertiggestellt. Im September heißt es aus Frankreich, Großbritannien und den USA, Iran betreibe eine geheime Urananreicherungsanlage in Fordo.

Im Oktober 2009 wird bei Gesprächen mit der 5+1-Gruppe eine Grundsatzeinigung erzielt, wonach das für den Forschungsreaktor in Teheran benötigte, auf 20 Prozent angereicherte Uran im Ausland produziert werden soll. Ein abschließendes Abkommen bleibt aber aus.

Im Februar 2010 beginnt Iran in Natans laut IAEA mit der Urananreicherung auf 20 Prozent. Im Mai schließt Iran ein Abkommen mit Brasilien und der Türkei über eine gemeinsame Urananreicherung im Ausland. Westliche Länder weisen dies als für sie unakzeptabel zurück.

Im Januar 2011 scheitern neue Verhandlungen mit der 5+1-Gruppe. Im September geht das erste Atomkraftwerk Irans in Buschehr ans Netz.

Im Januar 2012 beginnt laut IAEA die Urananreicherung auf 20 Prozent in Fordo. Die EU beschließt einen Importstopp für iranisches Erdöl.

Im Februar 2013 werden die Verhandlungen in Almaty (Kasachstan) wieder aufgenommen, bleiben aber bis April ohne Fortschritte. Im Juni wird Ruhani zum Präsidenten gewählt. Am 24. September 2013 versichert er vor der UN-Vollversammlung, von Iran gehe keine Bedrohung aus. Nach einer weiteren Verhandlungsrunde wird am 24. November in Genf von den Außenministern ein Durchbruch erzielt und ein Übergangsabkommen unterzeichnet.

Am 20. Januar tritt das auf sechs Monate angelegte Abkommen in Kraft. Es sieht im Gegenzug für die Lockerung gewisser Sanktionen vor, dass Iran die Urananreicherung einfriert, seine Bestände höher angereicherten Urans reduziert und verschärfte Kontrollen zulässt.

Am 18. Februar beginnen in Wien Gespräche zwischen Iran und der 5+1-Gruppe über ein abschließendes Abkommen. Ab 10. Juli laufen die Endberatungen. Trotz mehrerer Gesprächsrunden zwischen US-Außenminister John Kerry und seinem iranischen Kollegen Mohammed Dschawad Sarif gelingt jedoch kein Durchbruch.

(nd, 21.07.2014)



Wir haben noch zu tun

Ashton soll Verhandlungen bis zum Ende führen **

Irans Präsident beschwört eine Gewinnsituation für alle Seiten, der deutsche Außenminister eine »letzte und beste Chance«.

»Die Atomverhandlungen sollen letztendlich für alle Beteiligten zu einer Win-Win-Situation führen«, hatte der iranische Präsident Hassan Ruhani noch am Donnerstag erklärt. Um dieses Ziel zu erreichen, könnten die Unterhändler die Verhandlungszeit auch über den 20. Juli hinaus verlängern. Und auch US-Präsident Barack Obama hatte sich auf nichts festlegen wollen und von weiterem Klärungsbedarf gesprochen: »Wir haben noch mehr zu tun.«

Tatsächlich wurde die Frist für eine Einigung bis Ende November verlängert. Es gebe zwar »bei einigen Themen greifbare Fortschritte«, jedoch auch noch »bedeutende Differenzen« in anderen Punkten, erklärten die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton und Irans Außenminister Mohammed Dschawad Sarif in der Nacht zum Sonnabend in Wien. Ashton bestätigte, dass die Vertreter Irans und der 5+1-Gruppe bereits an einem Text für das endgültige Atomabkommen arbeiteten. Ashton, deren Amtszeit als Außenbeauftragte bereits Anfang November endet, soll die Verhandlungen jedoch noch zu Ende führen, verlautete aus Wien.

US-Außenminister John Kerry bestätigte die Fristverlängerung und verkündete eine Fortschreibung der Übergangsregelungen bis zum 24. November. Demnach wollen die USA sukzessive 2,8 Milliarden Dollar von den weltweit etwa 125 Milliarden Dollar gesperrten iranischen Öleinnahmen freigeben. Im Gegenzug solle Iran ein Viertel seines auf 20 Prozent angereicherten Urans in atomaren Brennstoff zur Energiegewinnung umwandeln.

Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier erklärte, man habe in den letzten Monaten »spürbare Fortschritte« erzielt und den Eindruck, dass »die Differenzen in der verbleibenden Zeit noch überwunden werden können«. Allerdings könnten die Verhandlungen »nicht endlos fortgesetzt werden«, warnte Steinmeier. »Diese wenigen Monate bis November könnten für lange Zeit die letzte und beste Chance sein, den Nuklearstreit friedlich beizulegen.«

** Aus: neues deutschland, Montag 21. Juli 2014

Hohes Kriegspotential

Eine Broschüre über den Atomstreit des Westens mit dem Iran Was ist dran an den Vorwürfen, die unisono aus Washington, Paris, London und dem NATO-Hauptquartier gegen Teheran erschallen? Geht es bloß darum, den ungeliebten »Gottesstaat« zu diskreditieren, seine Rolle als Regionalmacht anzugreifen, einen Regimewechsel herbeizuführen? Der Konflikt um das iranische Nuklearprogramm mit seiner enormen Brisanz veranlaßte die Rosa-Luxemburg-Stiftung Brandenburg, im November 2012 ihr 14. Friedens- und Sicherheitspolitisches Symposium durchzuführen. Ziel war es, in Deutschland über die tatsächlichen Ziele aufklären zu helfen, die Iran mit seinen Forschungen und praktischen Handlungen auf nuklearem Gebiet verfolgt. Jetzt liegt dieses Material in einer hochinteressanten Broschüre vor. Zehn Autoren, unter ihnen iranische Wissenschaftler, geben Antworten. Der Bogen spannt sich von den tieferen politischen Ursachen der Konfrontation zwischen den USA und dem Iran bis hin zur offenbar bewußt betriebenen Zuspitzung des Atomkonflikts seit den allerersten Jahren des neuen Jahrhunderts. Der Leser findet die Einbettung der Auseinandersetzungen in die Gesamtsituation des Nahen und Mittleren Ostens und kann sich ein recht konturiertes Bild davon machen, wo Gewißheiten, Mutmaßungen und Wissenslücken zu diesem Programm liegen – auch über seine schon in der Schahzeit liegenden Ursprünge, die Rolle der Unterstützung von USA und BRD dabei und die nachfolgenden Entwicklungen bis heute. Er erfährt, welche Auswirkungen die scharfen Sanktionen des Westens gegen den Iran haben: Sie treffen die einfache Bevölkerung, können das Land aber wirtschaftlich nicht in die Knie und zum Nachgeben zwingen. Aufschlußreich, weil in der Presse viel zu wenig beleuchtet, ist nicht zuletzt eine rein fachliche Analyse, ob der vom Westen und Israel häufig geforderte »Militärschlag« gegen den Iran militärisch sinnvoll bzw. überhaupt machbar ist. Politisch ist er ja ohnehin gegen jede Vernunft. Birgit Irmgard Jung

Lothar Schröter (Hrsg.): Sicherheitsrisiko Iran? Zwischen nuklearer Bedrohung und friedlicher Nutzung der Kernenergie, WeltTrends: Potsdam 2013

(jW, 21.07.2014)




Zurück zur Iran-Seite

Zur Iran-Seite (Beiträge vor 2014)

Zurück zur Homepage