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Zweifelhafter Erfolg

Jahresrückblick 2013. Heute: Iran. Beilegung des Streits zwischen Washington und Teheran sehr viel schwieriger, als es zunächst den Anschein hatte

Von Knut Mellenthin *

Einen Monat nach dem Abschluß des Genfer Abkommens ist in den USA der Streit um die Politik gegenüber Iran in vollem Gange. Teile beider großen Kongreßparteien lassen sich für das erklärte Ziel der israelischen Regierung instrumentalisieren, das Abkommen möglichst rasch scheitern zu lassen und damit zugleich auch das Ende der Verhandlungen mit dem Iran zu provozieren. Die Folge wären wahrscheinlich nicht nur zusätzliche, noch erheblich schärfere Sanktionen, sondern auch die wachsende Gefahr einer militärischen Konfrontation.

26 Senatoren, je zur Hälfte Demokraten und Republikaner, haben am Donnerstag den Entwurf eines neuen Sanktionsgesetzes mit dem Titel »Nuclear Weapon Free Iran Act« auf den Weg gebracht. Initiatoren sind die Demokraten Robert Menendez und Chuck Schumer sowie der Republikaner Mark Kirk. Menendez ist Vorsitzender des einflußreichen Außenpolitischen Ausschusses des Senats. Zu den Unterstützern des Antrags gehören die republikanischen Hardliner John McCain und Lindsey Graham. Das geplante Gesetz sieht eine Reihe zusätzlicher Strafmaßnahmen gegen den Iran und seine ausländischen Handelspartner vor. Neben der Ölindustrie sollen auch der Bergbau, der Maschinenbau und die Bauwirtschaft des Landes unter einen totalen Boykott gestellt werden. Das bedeutet, daß auch kein Ausländer zu diesen Bereichen irgendeine Form geschäftlicher Beziehungen unterhalten kann, ohne schwerste Nachteile auf dem US-amerikanischen Binnenmarkt und hohe Geldstrafen zu riskieren.

In Genf wurde dem Iran zugesichert, für die Dauer eines sechsmonatigen Moratoriums keine neuen Sanktionen zu beschließen. Die Befürworter des »Nuclear Weapon Free Iran Act« behaupten, das von ihnen angestrebte Gesetz stelle keinen Bruch dieser Vereinbarung dar, da es erst nach Ende der sechs Monate wirksam werde. Das ist jedoch in mehrfacher Hinsicht eine Lüge. Aus dem Text des Entwurfs geht eindeutig hervor, daß die dort formulierten Sanktionen sofort nach Verabschiedung des Gesetzes in Kraft treten sollen. Präsident Barack Obama hätte dann lediglich die Möglichkeit, die praktische Anwendung der Strafmaßnahmen maximal 180 Tage lang – also während der Laufzeit des Moratoriums – abzuwenden. Dazu müßte er dem Kongreß alle 30 Tage offiziell bestätigen, daß der Iran in dieser Zeit erstens seinen Verpflichtungen aus dem Genfer Abkommen vollständig nachgekommen ist, daß er zweitens weder direkt noch durch ausländische »Hilfskräfte« Terrorhandlungen gegen die USA, US-Bürger oder US-Eigentum durchgeführt, unterstützt, finanziert oder geplant hat, und daß Teheran drittens keine Raketen mit einer Reichweite von mehr als 500 Kilometern getestet hat. Weder die Terrorhandlungen – irgendein Fall von »indirekter Unterstützung« läßt sich wahrscheinlich leicht konstruieren – noch die Raketentests sind Gegenstand des Genfer Abkommens.

Außerdem müßte der Präsident in diesen Berichten dem Kongreß darlegen, daß er »auf eine endgültige Vereinbarung hinarbeitet, die die unrechtmäßige nukleare Infrastruktur des Irans demontiert«. Ein solcher Begriff kommt jedoch im Genfer Abkommen nicht vor und ist auch nicht Verhandlungsthema. Aus dem Kontext wird eindeutig sichtbar, daß die Betreiber des Gesetzes damit vor allem die Anlagen zur Urananreicherung und den noch im Bau befindlichen Schwerwasserreaktor in Arak meinen. Der Langzeitteil des Genfer Abkommens geht jedoch davon aus, daß dem Iran beides erlaubt werden soll – in gewissen noch auszuhandelnden Grenzen und mit strikten internationalen Kontrollen. Obama könnte also nicht einmal den ersten derartigen Bericht an den Kongreß abliefern, ohne entweder die Bedingungen des Gesetzes nicht zu erfüllen oder gegenüber den Iranern vertragsbrüchig zu werden. Bestandteil des Gesetzes ist darüber hinaus eine – den Präsidenten nicht juristisch verpflichtende – Meinungserklärung des Senats. Sie besagt, daß die USA israelische »Präventivschläge« gegen den Iran mit diplomatischen, militärischen und wirtschaftlichen Mitteln unterstützen sollten.

Obama kündigte sofort an, daß er sein Veto gegen das Gesetz einlegen würde, falls es wirklich von beiden Häusern des Kongresses beschlossen werden sollte. »Die Verabschiedung neuer Sanktionen zu diesem Zeitpunkt würde unsere Anstrengungen untergraben, eine friedliche Lösung zu erreichen«, sagte der Pressesprecher des Weißen Hauses, Jay Carney. Das Veto des Präsidenten könnte unwirksam gemacht werden, wenn sowohl der Senat als auch das Abgeordnetenhaus das Gesetz mit mindestens einer Zweidrittelmehrheit bestätigen. Das Thema spaltet die Demokratische Partei. Die Vorsitzenden von zehn Senatsausschüssen – diese Position geht stets an Mitglieder der stärkeren Fraktion, derzeit also die Demokraten – haben sich in einem offenen Brief von ihren Parteikollegen, die das Gesetz unterstützen, distanziert. Sie verweisen auf eine gemeinsame Stellungnahme der US-Geheimdienste vom 10. Dezember. Dort heißt es, daß »neue Sanktionen die Aussichten für eine erfolgreiche umfassende Atomvereinbarung mit dem Iran untergraben würden«. Zugleich forderten die zehn einflußreichen demokratischen Parlamentarier von ihrem Fraktionschef im Senat, Harry Reid, sie zu konsultieren, bevor er den Gesetzentwurf zur Debatte im Senat freigibt. Genau das hat Reid jedoch am Sonnabend getan – ohne seine Kollegen hinzuzuziehen. Es wird nun damit gerechnet, daß die Parlamentskammer sich damit befassen wird, sobald sie nach den Weihnachts- und Neujahresferien am 6. Januar die Arbeit wieder aufnimmt.

Die Genfer Einigung zwischen dem Iran und der Sechsergruppe – USA, Rußland, China, Frankreich, Großbritannien und Deutschland – wurde verständlicherweise weltweit als großer Schritt nach vorn wahrgenommen. Erst allmählich wird sichtbar, daß die Außenminister der sieben Staaten viele umstrittene Fragen »ausgeklammert« und offengelassen haben, um diesen scheinbaren Erfolg präsentieren zu können. Die praktische Umsetzung des bisher nur grob skizzierten sechsmonatigen Moratoriums – das im gegenseitigen Einvernehmen auf ein Jahr verlängert werden könnte – ist so kompliziert und voller Probleme, daß sie lange Gespräche zwischen Experten beider Seiten erfordert. Bisher ist kein Zeitpunkt geplant oder absehbar, zu dem das Moratorium wirklich in Kraft treten könnte. Der stellvertretende iranische Außenminister Abbas Araqchi, der meist anstelle seines Chefs als Verhandlungsführer agiert, hat am Sonnabend beklagt, daß es bei den derzeit in Genf geführten Diskussionen »wenig Fortschritt« gebe. Das ist ungewöhnlich, da die iranische Regierung normalerweise gern »Optimismus« zur Schau stellt.

Die sieben verhandelnden Staaten haben sich im Genfer Abkommen das ehrgeizige Ziel gesetzt, innerhalb eines Jahres eine »umfassende Lösung« aller mit dem Streit um das iranische Atomprogramm zusammenhängenden Probleme zu finden. Falls das nicht gelingt, droht eine neue Runde der Konfrontation, aber erheblich verschärft. Es ist zu befürchten, daß westliche Politiker und Medien dann – angesichts überwiegend desinteressierter oder schlecht informierter »Öffentlichkeiten« in ihren Ländern – leichtes Spiel hätten, dem Iran die Schuld am Scheitern der »diplomatischen Lösung« zuzuweisen. Die US-Regierung hat bereits erklärt, daß der geplante Reaktor in Arak für sie »nicht akzeptabel« sei und der Iran »kein Recht auf Urananreicherung« habe. Beides steht im Widerspruch zum Text des Genfer Abkommens. Doch es kommt den Forderungen Israels und seiner US-Lobby gefährlich weit entgegen.

* Aus: junge Welt, Montag, 23. Dezember 2013


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