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Iran wählt

Sechs Kandidaten sind noch im Rennen um das Präsidentenamt. Wahrscheinlich wird ein zweiter Wahlgang erforderlich

Von Knut Mellenthin *

Annähernd 50,5 Millionen Iranerinnen und Iraner sind am heutigen Freitag aufgerufen, ihren Präsidenten für die nächsten vier Jahre zu wählen. Obwohl die Teheraner Führung eine hohe Wahlbeteiligung anstrebt und intensiv für eine solche geworben hat, wird sie inländischen Prognosen zufolge voraussichtlich unter 70 Prozent liegen und damit deutlich hinter der 85prozentigen Wahlbeteiligung des Jahres 2009 zurückbleiben.

Dazu könnte beigetragen haben, daß die Auswahl diesmal enger begrenzt ist. Von über 600 Bewerbern ließ der Wächterrat – ein nicht demokratisch gewähltes Gremium, das keine öffentlichen Begründungen für seine Entscheidungen liefern muß – nur acht zur Kandidatur zu. Ein Vertreter der »grünen Oppositionsbewegung«, die vor vier Jahren noch Hunderttausende auf die Straßen und Plätze zu bringen vermochte, ist nicht darunter. Deren damalige Führer Mir Hussein Musawi und Mehdi Karrubi stehen unter Hausarrest. Unter den von der Wahl Ausgeschlossenen sind sowohl Haschemi Rafsandschani, der von 1989 bis 1997 Präsident gewesen war, als auch der Berater des jetzigen Amtsinhabers Mahmud Ahmadinedschad, Esfandiar Rahim Maschaei. Ahmadinedschad selbst darf nach zwei Amtszeiten nicht noch einmal antreten.

Zwei der acht zugelassenen Kandidaten, Gholam Ali Haddad Adel und Mohammad-Resa Aref, haben sich Anfang der Woche aus taktischen Gründen zurückgezogen, um anderen Bewerbern ihrer jeweiligen Richtung keine Stimmen wegzunehmen. Der ehemalige Parlamentssprecher Adel hatte sich mit zwei anderen Bewerbern, Ali Akbar Welajati und Mohammad Baqer Ghalibaf, zum Bündnis »2 + 1« zusammengeschlossen, das zur Strömung der sogenannten Prinzipialisten gehört. Sie behaupten, die Prinzi­pien der »Islamischen Revolution« von 1979 zu verteidigen, und stehen dem »Obersten Revolutionsführer« Ali Khamenei nahe, der formal in wesentlichen Fragen die höchste Autorität ist, aber davon nur selten öffentlich Gebrauch macht. Alle Mitglieder dieses Dreierbündnisses schafften es unter die zugelassenen acht.

Der zweite zurückgetretene Kandidat, Aref, gehört zu den sogenannten Reformisten. Er war von 2001 bis 2005 Erster Vizepräsident unter Mohammad Khatami, der ebenfalls diese Richtung vertritt. Während Adel seinen Rückzug nicht mit der Empfehlung für einen anderen Kandidaten verband, hat Aref ausdrücklich zur Wahl von Hassan Rouhani aufgerufen, der sowohl von Khatami als auch von dessen Vorgänger Rafsandschani unterstützt wird. Seine Veranstaltungen wurden von Anhängern der »grünen Oppositionsbewegung« genutzt, um ihre Forderungen zu artikulieren. Rouhani war von 2003 bis 2005 Chefunterhändler im Streit um das iranische Atomprogramm. Seinen Wahlkampf bestritt er hauptsächlich mit Polemik gegen seinen gegenwärtigen Nachfolger Said Dschalili, der ebenfalls für das Präsidentenamt kandidiert. Rouhani wirft seinem Konkurrenten »Extremismus« und »mangelnde Flexibilität« in den Verhandlungen vor, was ihn bereits zum Liebling der westlichen Medien gemacht hat.

In der letzten, am Dienstag vom englischsprachigen Fernsehsender Press TV veröffentlichten Umfrage führt allerdings Teherans Bürgermeister Ghalibaf, ein wegen seines Pragmatismus relativ populärer Prinzipialist. Mit 23,4 Prozent der prognostizierten Stimmen liegt er allerdings weit unterhalb der erforderlichen absoluten Mehrheit. Das würde einen zweiten Wahlgang am 21. Juni erforderlich machen. Ungewiß ist, ob Rouhani, den die Prognose mit 13,2 Prozent nur an dritter Stelle sieht, es ins Stechen schaffen wird.

* Aus: junge Welt, Freitag, 14. Juni 2013


Kandidaten unter Wächteraugen

Nach dem Antrittsverbot für den Wunschkandidaten der Reformer droht der Sieg eines Hardliners

Von Behrouz Khosrozadeh **


Die offizielle Registrierung der Kandidaten für die Präsidentschaftswahl endete am 11. Mai; 686 Personen hatten sich eingeschrieben, zugelassen wurden am Ende ganze acht, davon treten sechs an.

Der Wächterrat, die religiöse Aufsicht der Islamischen Republik Iran, hat nur acht Männern die Kandidatur erlaubt. Von ihnen haben zwei, darunter der Reformer Mohammad Reza Aref, ihre Kandidatur zurückgezogen. Es verbleiben fünf Khamenei-treue und der reformistische Kandidat Hassan Rowhani. Unter den Islamisten werden Ex-Minister Mohammad Garazi, dem Ex-Kommandeur der Revolutionswächter Mohsen Rezai und dem Teheraner Oberbürgermeister Mohammad Baqer Qalibaf nur geringe Chancen eingeräumt.

Hoch gehandelt werden dagegen der langjährige Außenminister Ali Akbar Velayati und der 47-jährige Chefunterhändler für Nuklearangelegenheiten Said Dschalili. Beide gelten als absolut gehorsam gegenüber dem geistlichen Oberhaupt Irans, Ayatollah Ali Chamenei. Bis vor kurzem schienen die Chancen des unerfahrenen, den Revolutionswächtern und dem Sicherheitsapparat sehr nahe stehenden Irak-Kriegsveteranen Saeed Dschalili sehr gut zu stehen. Doch in den drei TV-Duellen ist zuletzt Velayati durch seine harsche Kritik am Nuklearkurs des Landes den Zuschauern aufgefallen. Velayati kritisierte die unflexible und für Iran ökonomisch immens schädliche Atompolitik der Regierung von Präsident Mahmud Ahmadinedschad sowie die Diplomatie Dschalilis, dem er mangelnde diplomatische Reife attestierte. Velayati, nach seinem Ausscheiden aus dem Amt des Außenministers seit 1997 außenpolitischer Berater und enger Vertrauter Chameneis, verfolgt einen ausgewogenen Kurs zwischen Bewahrung des iranischen Atomprogramms und Zufriedenstellung der 5+1-Staaten – den fünf ständigen Mitgliedern des UN-Sicherheitsrates plus Deutschland.

Der Westen wirft Iran vor, mit seinem Atomprogramm Nuklearwaffen herstellen zu wollen und hat deshalb ein umfangreiches Boykottsystem gegen die Republik, vor allem gegen deren Ölexport verhängt. Im Mai verkaufte Iran 700 000 Barrel Öl, ein Jahr zuvor waren es noch 2,2 Millionen Barrel.

Nachweislich ist die Ära Ahmadinedschads, der nach zwei Wahlperioden nicht wieder antreten darf, eines der dunkelsten Kapitel der neuzeitlichen Geschichte Irans. Er brachte das Land trotz lange Zeit astronomischer Erdöleinnahmen an den Rand des wirtschaftlichen Ruins. Außenpolitisch geriet Iran in seiner Regierungszeit in eine beinahe totale Isolierung, einschließlich einer latenten Kriegsgefahr. Daher standen bei den TV-Duellen diese beiden Themen bei allen Kandidaten außer bei Dschalili ganz oben auf der Agenda.

Velayati beschuldigte Ahmadinedschads Außenministerium, vor Jahren seine verheißungsvollen Verhandlungen mit Frankreichs Präsidenten Nicolas Sarkozy über eine Entspannung im Nuklearstreit torpediert zu haben. Würden die Äußerungen Velayatis stimmen, so würde die bisherige Annahme, Chamenei lenke im Alleingang die Atompolitik, erschüttert. Fakt ist jedoch, dass Ahmadinedschads Regierung sich seit gut einem Jahr nicht mehr in Nuklearverhandlungen zu Wort meldet. Der Präsident hat selbst eingeräumt, er sei in die Einzelheiten des Nuklearstreits nicht mehr eingeweiht. Es ist gut möglich, dass es sich um ein Szenario handelt, bei dem Chamenei einen moderateren Politiker nach oben puschen will.

Dschalili warf Velayati vor, bei den Verhandlungen in der kasachischen Metropole Almaty im April die Kompromissbereitschaft der 5+1-Staaten unnütz verspielt zu haben. Der 67-jährige Velayati wird vor allem von der »Gesellschaft der Dozenten der religiösen Seminare von Qom«, der »Gesellschaft der Kämpfenden Geistlichkeit« und der »Vereinigung der Islamischen Koalition« – Chamenei-treuen Einrichtungen – unterstützt. Am Montag sagten außerdem 160 Parlamentsabgeordnete Velayati ihre Unterstützung zu.

Eigentlich müsste der Reformer Hassan Rowhani aussichtsreichster Kandidat sein, da er als einziger Reformkandidat gegen sich gegenseitig blockierende Konservative ins Rennen geht. Gestützt wird der 65-jährige von den Ex-Präsidenten Ali Akbar Rafsandschani (78), den der Wächterrat für zu alt für eine erneute Kandidatur befand, und Mohammad Chatami; des Weiteren von der größten Reformgruppe, der Partizipationspartei, der »Gemeinschaft der Kämpfenden Geistlichen« sowie der »Gesellschaft für Frauen der Islamischen Republik«. Am Dienstag haben außerdem 140 prominente populäre Künstler und Literaten ihre Unterstützung für Rowhani bekundet. Ein erheblicher Teil der Oppositionellen, die nach Rafsandschanis Disqualifikation keinen Sinn mehr in halbwegs freien Wahlen sehen, will aber an den Wahlen nicht teilnehmen. Es ist gut möglich, dass Dschalili und Velayati das Rennen unter sich ausmachen.

Die etwa 55 Millionen Wahlberechtigten Iraner haben im Allgemeinen wenig Ansprüche. Die 35 Jahre lang bestehende Islamische Republik hat aufgrund ihrer erdrückenden gesellschaftspolitischen Repressalien und des sozioökonomischen Missmanagements die Erwartungen und Forderungen niedrig gehalten. Die Bevölkerung wäre froh, wenn die Lage des Landes auf den Stand von August 2005, dem Amtsantritt von Ahmadinedschad, zurückfallen würde.

** Aus: neues deutschland, Freitag, 14. Juni 2013


Aufbruchstimmung passé

An eine »Grüne Bewegung« wie 2009 ist derzeit nicht zu denken

Von Roland Etzel ***


Die iranischen Präsidentschaftswahlen vor fast genau vier Jahren, am 12. Juni 2009, standen im Blickpunkt der Weltöffentlichkeit, noch mehr die Tage danach. Mahmud Ahmadinedschad hatte seine Amt mit fast 63 Prozent der Stimmen verteidigt. Expremier Mir Hossein Mussawi, dem Favoriten der städtischen Jugend, blieben 34 Prozent. Begründete Zweifel gab es allenfalls an der Höhe des Sieges.

Dennoch setzte in den folgenden Wochen eine bunte und lautstarke Protestbewegung ein, die unter dem Vorwurf des Wahlbetrugs zumindest Wahlwiederholungen verlangte. »Wo ist meine Stimme?« und »Nieder mit der Diktatur!« – das waren 2009 die Schlachtrufe der »Grünen Bewegung« auf den Straßen der Großstädte des Landes. In den westlichen Staaten – Heimat Tausender Exiliraner – wurde die Opposition nach Kräften unterstützt.

Bei einigen Protestaktionen kam es zu Straßenschlachten und Vandalismus. Die Staatsmacht nahm dies zum Anlass, erbarmungslos zurückzuschlagen. Hunderte Personen wurden vor allem bei einer zweiten Verhaftungswelle zum Ende jenes Jahres festgenommen und danach in nicht wenigen Fällen zu willkürlich hohen Gefängnisstrafen verurteilt. Dutzende wurden sogar hingerichtet.

Die heutige Wahl steht nicht annähernd unter diesen Vorzeichen, spätestens seit sich der regionale Fokus in den vergangenen Tagen eindeutig auf das Nachbarland Türkei gerichtet hat. Die Dauerkonfrontation mit dem Westen, die Härten des ökonomischen Boykotts, die Kriegsdrohungen Israels, die Verwicklung in den syrischen Krieg – das alles hat offenbar zur Folge, dass in Iran derzeit alles andere als Aufbruchstimmung herrscht.

*** Aus: neues deutschland, Freitag, 14. Juni 2013

Oberster Führer und Präsident

In Iran herrscht das sogenannte Weljat'e-Faghih-System, also die Führerschaft des Klerus und des auserwählten obersten Führers. Dieses System ist auch Grundlage der iranischen Verfassung. Nach der islamischen Revolution bekleidete Großajatollah Ruhollah Chomeini dieses Amt, seit seinem Tod 1989 ist es Ajatollah Ali Chamenei. Der Expertenrat, ein Verfassungsorgan mit 86 hochrangigen Klerikern, wählt den obersten Führer auf Lebenszeit und überwacht seine Arbeit.

Laut Verfassung ist der oberste Führer nicht nur Oberbefehlshaber der Streitkräfte, sondern er hat auch das letzte Wort in allen politischen Belangen – sowohl in der Regierung als auch im Parlament oder in der Justiz. Besonders in strategischen Fragen wie Krieg oder Frieden, Atompolitik, Verfassungsänderung oder Amnestie für Gefangene trifft der oberste Führer die endgültige Entscheidung.

Dementsprechend ist der vom Volk gewählte Präsident zwar Staatsoberhaupt. Er ist aber gehalten, die politische Linie umzusetzen, die vom obersten Führer vorgegeben wird. Das führt bisweilen im Ausland zu Irritationen, weil nicht klar ist, ob der Präsident oder ein Minister überhaupt die notwendige Autorität für Entscheidungen haben.

Auch Personalentscheidungen des Präsidenten kann der oberste Führer anfechten. Als Präsident Mahmud Ahmadinedschad im Sommer 2009 den Schwiegervater seines Sohnes, Esfandiar Rahim Maschaei, zum Vizepräsidenten ernannte, lehnte Chamenei dies ab. Westliche Kommentatoren sahen den Grund dafür in Maschaeis Bemerkung, Iran sei mit der Regierung, aber nicht mit den Menschen in Israel verfeindet.




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