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62,6 Prozent für Ahmadinedschad - Konkurrent Mussawi erhält 33,8 Prozent

Rekordbeteiligung bei den Wahlen im Iran - Opposition spricht von "Betrug" und "Manipulation" - Demonstrationen und Verhaftungen in Teheran - Drei Todesopfer

Am Freitag (12. Juni) waren 46 Millionen stimmberechtigte Iraner zur Wahl eines neuen Präsidenten aufgerufen. Knapp 50 Prozent waren jünger als 30 Jahre.

Wie das Innenministerium in Teheran am 13. Juni mitteilte, errang Ahmadinedschad 62,6 Prozent der Stimmen und vermied so eine Stichwahl in einer Woche. Sein aussichtsreichster Kontrahent, Ex-Regierungschef Mussawi, kam nach diesen Angaben auf einen Stimmenanteil von 33,8 Prozent. Weit abgeschlagen landete der frühere Chef der Revolutionsgarden, Mohsen Rezai, mit 1,7 Prozent auf dem dritten Platz. Ex-Parlamentspräsident Mehdi Karroubi kam mit 0,9 Prozent auf den vierten Platz. Der geistliche Führer des Landes, Ajatollah Ali Chamenei, bezeichnete Ahmadinedschads Sieg als ein "wahres Fest" und rief die Bevölkerung zur Ruhe auf. Die Wahlbeteiligung lag nach Angaben des Innenministeriums bei 85 Prozent – einem Rekordwert in der Geschichte der Islamischen Republik.

Verlierer Mussawi protestierte "scharf gegen zahlreiche und sichtbare Unregelmäßigkeiten" bei der Wahl. Das Volk werde sich nicht einer Führung beugen, die "durch Betrügen an die Macht" gekommen sei, sagte er. Auch der Reform-Geistliche Karroubi nannte die Wahlergebnisse "inakzeptabel" und "nicht rechtmäßig".

In Teheran kam es nach Korrespondentenberichten am Samstag zu Protesten gegen das Ergebnis. Die Polizei soll gewaltsam gegen die Demonstranten vorgegangen sein. Auch Beobachter im Ausland stellten die Deutlichkeit von Ahmadinedschads Wahlsieg zur Diskussion.

Er sei ebenfalls überrascht über den großen Vorsprung des Amtsinhabers Ahmadinedschad, räumt der SPD-Politiker Rolf Mützenich ein. Dennoch legitimiere die Wahl den iranischen Präsidenten für eine weitere Amtszeit. "Wir wären klug beraten, zu schauen, ob es gemeinsame Interessen gibt", sagte Mützenich im Deutschlandfunk. Dem Iran empfahl er, auf "die ausgestreckte Hand von Obama" nun angemessen zu reagieren.

Der Wissenschaftliche Direktor des Instituts für Friedensforschung und Sicherheitspolitik, Michael Brzoska, befürchtet, dass die Verhandlungen über das Atomprogramm des Iran nach der Wahl schwierig bleiben werden. Auch der Konflikt zwischen dem Iran und Israel wird sich verschärfen, prognostizierte Brzoska.

Bei den Unruhen im Iran nach der Präsidentschaftswahl sind nach Angaben des arabischen Senders "Al-Arabiya" drei Menschen ums Leben gekommen. Es habe sich um Gegner der Regierung von Präsident Mahmoud Ahmadinejad gehandelt, berichtete der Sender in der Nacht zum Sonntag auf seiner Homepage.

Über 100 iranische Reformpolitiker seien am Samstagabend (13. Juni) nach der Präsidentenwahl festgenommen worden, darunter auch der Bruder des ehemaligen Präsidenten Mohammed Khatami - das berichtete der führende Reformpolitiker Ali Abtahi am Sonntag gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters. "Sie wurden in der Nacht in ihren Wohnungen verhaftet, sagte Abtahi. Er rechne mit weiteren Festnahmen bzw. Verhaftungen.

Laut "Al-Arabiya" haben die iranischen Behörden angesichts der Unruhen ausländische Journalisten aufgefordert, das Land zu verlassen, zumal auf dem Fatimi Platz in der Nähe des Innenministeriums Schüsse gefallen seien. Der unterlegene Präsidentschaftskandidat Mir-Hossein Moussavi forderte den Klerus auf, Regierungskritiker zu schützen. Seine Anhänger seien geschlagen und misshandelt worden, klagte er.

Wie der in Dubai ansässige Sender weiter meldete, trat der frühere iranische Präsident Hashemi Rafsanjani aus Protest gegen das offiziell verkündete Wahlergebnis als Vorsitzender der Expertenversammlung und als Chef des Schlichtungsrates zurück. Die beiden Institutionen zählen zu den einflussreichsten in der Islamischen Republik.

Al-Arabiya TV sendete Aufnahmen von Polizisten, die Demonstranten attackierten. Sicherheitskräfte umstellten das Jamran-Viertel in Teheran, in dem viele Reformpolitiker, darunter Ex-Präsident Mohammad Khatami, wohnen.

Den Angaben zufolge wurden bei den schwersten Unruhen seit einem Jahrzehnt am Samstag in Teheran mehrere Menschen verletzt, darunter auch Mitglieder eines italienischen TV-Teams. Im Zuge ihrer Berichterstattung über die Unruhen wurden die Journalisten in Teheran von Polizisten attackiert werden. Es handelte sich um ein von der Journalistin Lucia Goracci geleitetes Team, das für die Nachrichtensendung Tg3 arbeitete, berichtete die italienische Zeitung "La Repubblica" in ihrer Internetausgabe.

Quellen: Der Tagesspiegel, 14. Juni 2009; Deutschlandfunk; AP, AFP; Der Standard (Wien)

Stellungnahmen - Pressestimmen

Zum Iran schreibt der in Berlin erscheinende TAGESSPIEGEL AM SONNTAG:
"Die Islamische Republik lieferte sich den härtesten und offensten Wahlkampf ihrer Geschichte, den die ganze Welt mit atemlosem Staunen mitverfolgte. Und dann präsentieren seine Behörden nach dem Urnengang mit Rekordbeteiligung ein Ergebnis, das so zum Himmel stinkt, dass es selbst sowjetischen Kremlherrn – gäbe es sie noch – peinlich wäre. Bereits eine halbe Stunde vor Schließung der Wahllokale erklärte die staatliche Nachrichtenagentur Irna Amtsinhaber Ahmadinedschad zum klaren Sieger. Kurz danach präsentierte der oberste Wahlleiter ein erstes Zwischenergebnis mit einer Zwei-Drittel-Mehrheit für den Präsidenten – nach der angeblichen Auszählung von rund 10 Prozent der Stimmen. Zudem gab es jede Menge Unregelmäßigkeiten: Wahlbeobachter der Gegenkandidaten wurden am Zugang zu den Wahllokalen gehindert. SMS und Internet, die beiden wichtigsten Kommunikationsformen der Reformer, funktionierten in den letzten Tagen nur noch eingeschränkt. Das schließt nicht aus, dass Amtsinhaber Ahmadinedschad in der ersten Runde tatsächlich die meisten Stimmen auf sich vereinigen konnte. Doch wollte das Regime offenbar auf keinen Fall eine Stichwahl riskieren", konstatiert der TAGESSPIEGEL AM SONNTAG.

Die dänische Zeitung BERLINGSKE TIDENDE stellt fest:
"Die eigentlichen Wahlgewinner sind die iranischen Mullahs mit ihrem religiösen Oberhaupt Ayatollah Chamenei. Eine Wahlbeteiligung von mehr als 80 Prozent war die höchste in der 30-jährigen Geschichte der Islamischen Republik und der Wahlkampf an sich einer der freiesten. Durch die Wahl am Freitag hat das Regime so eine dringend nötige neue Legitimität erhalten. Die Mullahs wurden in ihrer Behauptung bestätigt, dass eine islamische Demokratie mit breitem Mandat des Volkes kein Widerspruch in sich sein muss. Der Iran wirkt damit nach außen hin weitaus demokratischer als Ägypten, Saudi-Arabien und der Rest der arabischen Welt, die der Westen einspannen möchte in dem Versuch, den Iran zu isolieren." Wir zitierten die Kopenhagener Zeitung BERLINGSKE TIDENDE.

Die französische Zeitung DERNIERES NOUVELLES D'ALSACE erwartet:
"Nach der Wiederwahl von Präsident Ahmadinedschad dürfte der staatliche Extremismus des Iran noch zunehmen. Unter diesen Voraussetzungen wird die ausgestreckte Hand von US-Präsident Barack Obama niemals ergriffen werden. Der Sieg Ahmadinedschads bestätigt nicht nur den Status quo im Nahen Osten, er trägt auch den Keim der Konfrontation in sich. Dabei läge es im Interesse des Iran, den Dialog mit Europa und den USA aufzunehmen, aus wirtschaftlichen wie aus politischen Gründen. Doch Gespräche mit einer Diktatur, selbst im Bereich der Realpolitik, sind schon ein Ding der Unmöglichkeit. Und Gespräche mit einer Theokratie, die ihre Anweisungen angeblich direkt von Gott erhält, sind eine 'Mission Impossible'", glaubt das in Straßburg erscheinende Blatt DERNIERES NOUVELLES D'ALSACE.

Die FRANKFURTER ALLGEMEINE SONNTAGSZEITUNG beschreibt die Lage im Iran so:
"Der Wahlkampf hat ein tief gespaltenes Land gezeigt, eine moderne, städtische Bevölkerung, die persönliche Freiheiten und demokratische Rechte einfordert. Viele dieser Iraner meinen mit Veränderung auch ein säkulares politisches System. Und auf der anderen Seite die konservative Anhängerschaft Ahmadinedschads, einfache, religiöse Menschen, denen seine Versprechen von Gerechtigkeit offenbar weiterhin glaubwürdig scheinen. Bei ihnen sind die Geldgeschenke des Präsidenten nicht ohne Wirkung geblieben. Die Niederlage Mussawis könnte das endgültige Aus für die islamische Reformbewegung in Iran bedeuten. Viele von denen, die ihm zugejubelt haben, werden nun vollends die Hoffnung aufgeben, dass Reformen innerhalb des islamischen Systems möglich sein können. Sie werden sich getäuscht, betrogen und missbraucht fühlen. Das innenpolitische Klima dürfte sich nach den Wahlen noch einmal verschärfen", befürchtet die FRANKFURTER ALLGEMEINE SONNTAGSZEITUNG.

Ähnlich sieht es die SUNDAY TIMES aus London:
"Dieser Wahlausgang sollte allen Illusionen ein Ende bereiten, dass sich die politische Strategie des Landes durch eine innere Revolution mit friedlichem Protest verändert. Seit die Mullahs im Jahr 1979 die Macht ergriffen, ist das Land zerrissen zwischen seinen Ambitionen als eine Kraft des wiedererstarkten Islamismus einerseits und seinen Interessen als Nationalstaat andererseits. Der nun gescheiterte Präsidentschaftskandidat Mussawi hatte Hoffnungen aufkommen lassen, dass der Iran künftig ein stärkeres Gewicht auf seine nationalstaatlichen Interessen legt. Der Sieg Ahmadinedschads symbolisiert stattdessen die Entschlossenheit, den revolutionären Aspekt der iranischen Identität zu betonen - auch wenn dies bedeutet, einige jener nationalstaatlichen Interessen zu opfern", erläutert die britische SUNDAY TIMES.

Das SYDSVENSKA DAGBLADET aus Schweden dagegen sieht trotz der Niederlage Mussawis Anlass für Hoffnung auf Veränderungen im Iran:
"Die lebhafte Unterstützung für Mussawi während der letzten Wochen zeigt, dass auch im Iran neue Zeiten angebrochen sein könnten. Wichtige demokratische Fragen wie Meinungsfreiheit und Gleichberechtigung wurden in den Wahlkampf getragen, und Mussawi und seine Frau Zahra Rahnavard traten mit für iranische Verhältnisse überaus offenen Worten an die Öffentlichkeit. Aus internationaler Perspektive ist der Sieg von Ahmadinedschad kein Traumergebnis. Aber es bleibt zu hoffen, dass die Unterstützung für Mussawi nicht unbeachtet bleibt. Der Druck auf den Iran, eine neue Politik einzuleiten, ist berechtigt und wird weitergehen. Und der Dialog mit Teheran muss auch die Forderung enthalten, auf den Reformdruck im eigenen Land besonnen zu reagieren", fordert das SYDSVENSKA DAGBLADET aus Malmö.

Quelle: Deutschlandfunk, 14. Juni 2009; www.dradio.de


EU-Präsidentschaft besorgt

Moskau hofft auf besseren Stil Ahmadinejads - Israel: Lieberman fordert internationales Vorgehen *

Moskau/Prag/Wien - Die tschechische EU-Ratspräsidentschaft hat sich wegen "angeblicher Unregelmäßigkeiten bei den Präsidentschaftswahlen im Iran und wegen der Gewaltausbrüche nach Verkündung der Wahlergebnisse besorgt" gezeigt. In einer auf der Homepage der Ratspräsidentschaft in der Nacht auf Sonntag veröffentlichten Erklärung heißt es weiter, die EU habe den Verlauf des Urnengangs im Iran aufmerksam verfolgt, bei dem Präsident Mahmoud Ahmadinejad nach offiziellen Angaben wiedergewählt wurde.

"Die Ratspräsidentschaft hofft, dass der Ausgang der Präsidentschaftswahlen die Gelegenheit eröffnet, den Dialog über die Atomfrage wieder aufzunehmen und die diesbezüglich Position des Iran klarzustellen", wird in der Erklärung betont. Die Ratspräsidentschaft erwarte zudem, dass die Regierung der Islamischen Republik Iran ihre Verantwortung gegenüber der internationalen Gemeinschaft wahrnehmen und ihre internationalen Verpflichtungen einhalten werde.

Lieberman fordert internationales Vorgehen

Die europäischen Staaten hielten sich zunächst mit Reaktionen ganz zurück. Auch von Außenminister Michael Spindelegger war keine Stellungnahme zu erhalten. Ein Sprecher verwies auf das EU-Außenministertreffen am Montag.

Der israelische Außenminister Avigdor Lieberman forderte nach der offiziellen Wiederwahl Ahmadinejads ein entschlossenes internationales Vorgehen gegen das Teheraner Atomprogramm. "Besonders nach dem Sieg und der andauernden Herrschaft Ahmadinejads muss die internationale Gemeinschaft weiterhin kompromisslos handeln um den Iran davon abzuhalten Atommacht zu werden, Irans Unterstützung für Terrororganisationen und sein Untergraben der Stabilität im Nahen Osten zu stoppen", sagte der als ultranationalistisch geltende Lieberman am Samstag in einer in Jerusalem veröffentlichten Erklärung.

Moskau hofft auf besseren Stil Ahmadinejads

Der russische Außenpolitiker Konstantin Kossatschow hofft nach der Wiederwahl von Mahmoud Ahmadinejad hofft auf eine kompromissbereitere Amtsführung des umstrittenen Staatsoberhaupts. "Er war in seiner abgelaufenen Amtszeit oft zurecht kritisiert worden und auch für Russland nicht jener angenehme Partner, den wir uns wünschen", sagte der Vorsitzende des außenpolitischen Ausschusses der Staatsduma am Samstag in Moskau.

Er hoffe, dass Ahmadinejad künftig häufiger die Zusammenarbeit mit der internationalen Gemeinschaft suche, sagte Kossatschow nach Angaben der Agentur Interfax. "Es wird auch wichtig sein, zu prüfen, ob die Präsidentenwahlen tatsächlich frei und demokratisch waren."

Ahmadinejad reist bereits zu Wochenbeginn nach Russland. In der Stadt Jekaterinburg im Ural will er am Gipfeltreffen der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit (SOZ) und der BRIC-Staaten (Brasilien, Russland, Indien und China) als Beobachter teilnehmen.

Die Beziehungen zwischen Moskau und Teheran gelten als eng, aber nicht konfliktfrei. So besteht der Kreml auf einer ausschließlich diplomatischen Lösung des Konflikts um mögliche Atomwaffenpläne des Iran. Russische Firmen bauen das erste iranische Atomkraftwerk in Bushehr, das 2010 ans Netz gehen soll. Die von Teheran gewünschte Lieferung von russischen Raketenabwehrsystemen lehnt Moskau aber ab. (APA/dpa/red)

* Quelle: Der Standard (Wien) - online, 14. Juni 2009; http://derstandard.at/




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